Entführter BBC-Journalist:Die Angst vor der Befreiung

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Alan Johnston, der entführte britische Journalist, ist zum Spielball verfeindeter palästinensischer Truppen geworden. Es geht nicht nur um das Leben eines Menschen, sondern auch um Dollars, Macht und Image.

Tomas Avenarius

Das Video zeigt einen blassen, offensichtlich verängstigten Mann. Um den Leib hat man ihm eine Sprengstoffweste geschnallt, wie sie sonst Selbstmordattentäter tragen.

Alan Johnston, der entführte BBC-Journalist, bangt um sein Leben. (Foto: Foto: dpa)

Alan Johnston bittet die Hamas, jeden Gedanken an einen Befreiungsversuch zu unterlassen: "Wie Sie sehen, trage ich einen Sprengstoffgürtel. Die Kidnapper wollen diese Bombe zünden, sollte man das Haus stürmen." Die Entführer, fährt er fort, würden das Versteck "in eine Todeszone verwandeln, wenn man mich mit Gewalt befreien wollte".

Die erschütternden Bilder und Worte auf dem weniger als zwei Minuten langen Video sind das vorläufig letzte Lebenszeichen von Johnston, einem Reporter des britischen Senders BBC.

So, wie es aussieht, rechnen die Kidnapper schon bald mit einem Befreiungsversuch durch die Hamas. Denn die islamistische Terrororganisation Hamas, die die Alleinherrschaft über den Gaza-Streifen gerade erst in einem Drei-Tage-Krieg gegen ihren früheren Koalitionspartner Fatah übernommen hat, riskiert mit jedem Tag größeren Imageschaden: Hamas steht für hundertprozentiges Law and Order islamistischer Art im Gaza-Streifen.

Eingegraben hinter Barrikaden

Von den Johnston-Kidnappern aber wird sie als machtlos vorgeführt. Und das, obwohl die Hamas mehrmals die rasche Freilassung des Reporters versprochen hat.

Die Hamas wollte sich der Welt entgegen ihrem Image als Terror- und Staatstreich-Partei als verantwortungsvolle Kraft präsentieren. Doch die Kidnapper - eine militante Gruppe aus der in Gaza-Stadt mächtigen Großfamilie der Doghmushs - haben sich eingegraben: Das von ihnen beherrschte Stadtviertel Sabra in Gaza ist verbarrikadiert, die Seitenstraßen sind mit Müllcontainern, Sand und Steinen blockiert, Taxifahrer mit Ausländern im Wagen fahren weite Umwege um Sabra herum.

Die "Armee des Islam"

Jede Befreiungsaktion von Seiten der Hamas würde einen voraussichtlich blutigen Kraftakt verlangen. Dass der in irgendeinem Keller in diesem Stadtteil versteckte Johnston lebend befreit werden könnte, ist unwahrscheinlich.

Johnston war am 12. März entführt worden. Die Identität seiner Entführer ist lange bekannt: Unterzeichnet ist das jetzt in Englisch und Arabisch veröffentlichte Johnston-Video mit dem Titel "Alans Appell" von der "Armee des Islam", der der 32-jährige militante Mumtaz Doghmush vorsteht. Seine "Armee des Islam" soll dem Terrornetzwerk al-Qaida nahestehen.

Sie fordert für Johnston die Freilassung eines in Großbritannien inhaftierten Islamisten. Der palästinensische Prediger Abu Qatada ist ein enger Weggefährte von Al-Qaida-Chef Osama bin-Laden aus den Zeiten des ersten Afghanistan-Kriegs; damals wurde am Hindukusch die Basis des Al-Qaida-Terrornetzwerks gelegt.

Im nächsten Absatz lesen Sie, wie Kreise in der Fatah versuchen, die Entführung zu instrumentalisieren

Die "Armee des Islam" ist aber nicht nur ein Al-Qaida-Ableger. Sie ist zugleich die mit der Hamas verfeindete Privatmiliz von Mumtaz Doghmush. Doghmush und Teile seiner Familie sind in Gaza berüchtigt für kriminelle Aktivitäten, sie verfügen über eine Kleinarmee mit mehreren hundert Bewaffneten. Die dürfte mit der "Armee des Islams" hundertprozentig identisch sein.

Es geht auch um Dollars

Mumtaz Doghmush scheint nun sein Blatt überreizt zu haben: Doghmush fürchte, dass die Hamas Rache nehmen werde, sobald Johnston frei sei, so der Hamas-Politiker Machmud Zahar.

Hamas habe ihm und seinen Militanten sogar "schriftliche Sicherheitsgarantien" angeboten. "Aber die Kidnapper haben Angst", so Zahar. Wohl nicht ohne Grund: Der Hamas-Parlamentarier Chalil al-Haya hatte schon vor wenigen Tagen gegenüber der SZ klargestellt, dass "allein die Sorge um Johnstons Leben uns hindert, den Fall rasch zu lösen".

Bisher hat die Hamas nach orientalischer Art versucht, die gesamte Doghmush-Großfamilie einzubinden und die militanten Clanangehörigen durch Druck aus den eigenen Reihen zum Einlenken zu bewegen.

Angesichts von dessen Unbeweglichkeit dürfte die Hamas aber bald eine Befreiung Johnstons versuchen, sagen Beobachter in Gaza voraus. Hamas befürchtet, dass Doghmush und seine "Armee des Islam" sonst von außen beeinflusst würden.

Ursprünglich gute Beziehungen

Kreise in der von Hamas aus Gaza vertriebenen Fatah-Partei von Palästinenserpräsident Machmud Abbas versuchten, die "Armee des Islam" in der derzeitigen Krise zwischen Hamas und Fatah als Instrument zur Destabilisierung des Gaza-Streifens zu radikalisieren. So wolle man die Hamas schwächen.

Ursprünglich hatten Mumtaz Doghmush und seine "Armee des Islam" gute Beziehungen zur Hamas. Vor einem Jahr war der israelische Soldat Gilad Schalit an der israelischen Grenze zum Gaza-Streifen entführt worden. Einige, wenn nicht sogar alle Militanten waren Kämpfer der "Armee des Islams". Schalit wird bis heute im Gaza-Streifen festgehalten. Offensichtlich hat Mumtaz Doghmush die Geisel an die Hamas übergeben oder verkauft.

Denn kommerzielle Forderungen sind Doghmush ebenso wichtig wie politische. Im Austausch für Johnston verlangt er nicht nur die Freilassung des Radikalen Abu Qatada aus britischer Haft. Er will auch noch einige Millionen US-Dollar und ein großes Stück Land im chronisch eng besiedelten Gaza-Streifen überschrieben haben.

© SZ vom 26.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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