Ein Jahr "Kenia"-Koalition:Magdeburger Mitte

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In Sachsen-Anhalt ist die AfD so stark wie in keinem anderen Landtag. Das gegen sie gebildete "Kenia"-Bündnis regiert seit einem Jahr. Die drei Parteien arrangieren sich - und geraten doch oft aneinander.

Von Cornelius Pollmer

Mit etwas Mut zum falschen Verb lässt sich dieser Tage wahrheitsgemäß feststellen, dass Sachsen-Anhalt für die Zukunft bestens bewappnet ist. Der Landtag hat vor Kurzem das neue Hoheitszeichengesetz beschlossen, demnach darf die schwarz-gelbe Landesflagge samt Wappenschild künftig von allen genutzt werden, vom Kleingartenpächter bis zum Burgherren. Im Innenministerium freute man sich schon mal vor auf die "identitätsstiftende Wirkung", die von der Reform zweifellos ausgehen werde.

Die kleine Flaggen-Novelle darf durchaus als Posten in die Bilanz aufgenommen werden, wenn es gilt, die Regierungsarbeit in Sachsen-Anhalt nach einem Jahr "Kenia" zu bilanzieren. Es war nach der Wahl im Februar 2016 ja eher damit zu rechnen gewesen, dass die Folie der Identität nun über fast jedes Thema gelegt werden würde. Nirgendwo sonst war die AfD bis dato so stark in den Landtag eingezogen wie in Magdeburg, nirgendwo anders ist sie es danach wieder: 24,3 Prozent erreichte die Partei des tendenziell höckeschen Landeschefs André Poggenburg, ein beachtlicher Wert, der noch beachtlicher erscheint, wenn man ihn umrechnet: 29 Prozent der Mandate im Landtag entfallen auf die AfD.

Wie es so läuft in der Regierung? Der Wirtschaftsminister sagt: "Ganz gut."

Dieses Ergebnis wurde zum Bezugspunkt vor allem der Regierungsbildung. Wenn Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) das schwarz-rot-grüne Bündnis eine "Koalition der Mitte" nennt, dann stimmt das auch deswegen, weil diese Mitte sich schon komplett verbrüdern musste, um eine Regierung gegen die AfD zu ermöglichen. Die Zwischenbilanz dieser Koalition beschreiben die Protagonisten in traditionell mittelgelungenen Sprachbildern. Haseloff sagte, am Lagerfeuer von Kenia sei es immer schön warm. Katja Pähle, Fraktionschefin der SPD, erkannte der Koalition "Achterbahnqualität" zu. Am lustigsten und wohl auch ehrlichsten resümierte Wirtschaftsminister Armin Willingmann, ebenfalls SPD. Ein Jahr "Kenia", wie finden wir das?

"Ganz gut", sagte er. Ganz gut heißt, dass eine Autobahn endlich weitergebaut werden kann, es beim Hochwasserschutz vorangeht, auch dass Wanderungssaldo und Arbeitsmarkt ordentlich sind. Ganz gut heißt, dass sich die kulturell enorm unterschiedlichen Partner trotz enormer Betriebsgeräusche in der Sache bislang recht oft zusammengefunden haben. Das bleibt insofern bemerkenswert, als die osteoporöse CDU gerade mit den eifrigen 5,2-Prozent-Grünen menschlich und kommunikativ immer wieder aneinandergerät - und dass die SPD als seelisch weiterhin arg verwundete Kraft nicht stets zu schlichten sich berufen fühlt.

Ganz gut heißt natürlich auch, dass es nicht richtig gut ist. Doch gibt es mehr Meinungen als Koalitionspartner, wenn es an die Frage geht, woran genau es denn fehle. Nennen ließen sich konkrete Vorkommnisse wie die bedrückende abermalige Pleite des Fahrradherstellers Mifa in Sangerhausen, an der sich neben vielem anderen letztlich die Ohnmacht von Politik studieren lässt. Zu nennen wäre auch der aktuelle und sogenannte Seilbahn-Streit um eine Investition im Harz, bei dem Grüne und CDU Stellung beziehen an alten Vorrang-Fronten zwischen den Interessen der Wirtschaft und der Umwelt.

Zu nennen aber ist vor allem eine Häufung von Vorfällen der Kategorien misslich bis skandalös. Zu beobachten sind sie in der Regierung, in allen Fraktionen, mitunter noch außerhalb des Landtags - und zu beachten sind sie, weil der Skeptizismus der Bürger gegenüber der Politik und ihren Akteuren nicht nur ausweislich der Leserbriefe in den regionalen Zeitungen Sachsen-Anhalts ungebrochen hoch ist. In dieser Bilanz, die alles andere als "ganz gut" ausfällt, ist jede Partei mit Einträgen vertreten. Bereits im Sommer des vergangenen Jahres trat der CDU-Landtagspräsident Hardy Peter Güssau zurück. Er konnte den Eindruck nicht entkräften, wesentlicher als von ihm dargestellt an einem Wahlbetrug in Stendal beteiligt gewesen zu sein. Immer wieder bekommt es Ministerpräsident Haseloff auch mit Teilen seiner Partei zu tun, die sich angesichts der Regierungskompromisse mit SPD und Grünen koketten Planspielen hingeben, was denn wäre, würde man vielleicht doch mit der AfD ... - soeben hat sich ein "Konservativer Kreis" von CDU-Mitgliedern gegründet, die sich und ihre Positionen nicht hinreichend repräsentiert sehen.

Die zahlreichen Krisen sind ein üppiges Blumengeschenk an die AfD

Die SPD verlor im Herbst ihren ersten Mann. Der damalige Wirtschaftsminister Jörg Felgner war in die Kritik geraten, weil er zuvor als Finanzstaatssekretär mindestens fragwürdige Beraterverträge gezeichnet hatte. Bei den Grünen musste sich der Abgeordnete Sebastian Striegel lange mit einem Verfahren wegen Fahrerflucht und der daraus folgenden Aufmerksamkeit auseinandersetzen - wenn dies zuletzt wieder in den Hintergrund trat, dann weil die CDU in Person ihrer Vize-Fraktionsvorsitzenden Angriffe gegen die Person Striegel und dessen Büro indirekt ihm selbst zuschrieb.

Solche Angriffe seien auch "eine Folge seines Verhaltens", sagte Eva Feußner, implizit verweisend auf Striegels auch demonstrierenden Einsatz gegen Rechtsextremismus sowie seine kritischen Positionierungen gegenüber der Polizeiarbeit im Land. Mit der Aussage, Striegel provoziere, provozierte Feußner dann selbst den nächsten kleinen Koalitionskrach. Will man von derlei Streitereien weiterzappen, bleibt man in der Opposition garantiert wieder hängen: Linken-Fraktionschef Swen Knöchel erhielt eine Anzeige, weil er als Kassenwart eines Kita-Trägervereins über Jahre nicht ordentlich Buch geführt und keine Steuererklärungen abgegeben haben soll.

All diese Vorgänge mögen für sich betrachtet nicht von größter Bedeutung sein. In der Summe ergeben sie ein üppiges Blumengeschenk an die AfD, deren Einzug in den Landtag wesentlich von dem Verdacht getragen worden war, der politische Betrieb sei verkommen und verloren. Was also macht die AfD daraus? Ihr gelingt es zwar, Regierung und andere Fraktionen dann und wann vorzuführen. Realistisch betrachtet sammelt sie aber vor allem selbst Geht's-noch-Punkte und das wird ihr auch von solchen attestiert, die ihr nicht per se ablehnend gegenüber stehen. Konrad Adam, Mitbegründer der AfD, fasste die bisherige Arbeit der Poggenburg-AfD so zusammen: Da gehe es "um Lügen, Bettgeschichten, Erpressungsversuche und Ähnliches". All dies betrachtet, darf man auch als heimatliebender Sachsen-Anhalter die Landesflagge ruhig ein bisschen tiefer hängen - es muss ja nicht gleich auf Halbmast sein.

© SZ vom 24.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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