Ein Flüchtlingsschicksal:"Um fünf Uhr aufgestanden und um ein Uhr nachts heimgekommen"

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Flüchtlingskinder in der Türkei: Wie viele von ihnen müssen arbeiten? (Foto: Sedat Suna/dpa)

Flüchtling Mohamad T., der nun in Berlin lebt, erzählt davon, wie er in der Türkei geschuftet hat, um die Familie zu ernähren.

Protokoll von Ruth Eisenreich

Mohamad T., 17, lebt seit einigen Monaten in einer betreuten WG in Berlin:

Ich komme aus der Stadt Ariha in Syrien. Meine Familie und ich sind 2013 geflohen. Wir haben uns zwei Tage lang bei meinem Onkel in Antakya erholt. Dann bin ich alleine weiter nach Istanbul, wo mein Vater schon wohnte. Er hat an der Busstation auf mich gewartet, wir sind direkt zur Arbeit gegangen. Wir haben im Geschäftsviertel Beyazıt gearbeitet. Im Erdgeschoss war ein Laden, im ersten Stock haben wir die Accessoires hergestellt, die der Besitzer unten verkauft hat. Ohrringe, Armbänder und so. Ich habe Metall geschweißt, eine Schutzmaske hatte ich nicht.

Nach einem Monat, als wir unser erstes Gehalt hatten, haben wir meine Familie nachgeholt. Ich habe mit dem Bus zwei, drei Stunden in die Arbeit gebraucht. Die ging von acht bis acht, aber ich bin oft länger geblieben. Ich bin also jeden Tag um fünf Uhr aufgestanden und um ein Uhr nachts heimgekommen. Ich habe 600 türkische Lira pro Monat (etwa 180 Euro) verdient. Insgesamt habe ich drei Jahre lang gearbeitet, in verschiedenen Firmen. In einer Schmuckwerkstatt war ich sechs Monate lang, gemeinsam mit meinem Bruder. Dort habe ich am Montag von acht Uhr früh bis drei Uhr nachts gearbeitet, am nächsten Tag wieder ab sechs Uhr morgens. Von Montag bis Samstag haben wir dort geschlafen, in einem kleinen Nebenraum. Wenn wir Hunger hatten, ist mein Bruder rausgegangen und hat Sandwiches geholt. Dort habe ich 1100 Lira verdient (335 Euro).

Einen Monat lang war ich auf einer Baustelle und habe zum Beispiel Nägel aus Holzbrettern gezogen. Am Ende hat der Chef mir mein Geld nicht gegeben. Einen Vertrag hatte ich nie - ich hätte als Minderjähriger ja offiziell gar nicht arbeiten dürfen. Einen Monat lang war ich in einer Plastikfabrik, Nachtarbeit, von acht Uhr abends bis acht Uhr morgens. Ich bin an einer Maschine gestanden, die diese Plastikteile mit Vertiefungen ausspuckt, in denen Cookies verpackt werden.

Im Juli 2015 beschlossen meine Cousins, sich auf den Weg nach Europa zu machen. Mein Onkel hat meinen Papa überzeugt, auch mich gehen zu lassen. Für meine Eltern war das schwer - ich habe ja meinen ganzen Lohn ihnen gegeben, und wir konnten kaum davon leben. Mein Vater hat sich Geld geliehen für meine Reise. Wir sind auf einem inoffiziellen Boot übers Meer, das war sehr gefährlich. Seit August 2015 bin ich in Deutschland. In Syrien habe ich die neunte Klasse fertig gemacht. Ich lerne jetzt Deutsch, will Abitur machen und Agraringenieurwesen studieren. Ich hoffe, ich kann meine Familie nachholen. Ich konnte erst kürzlich meinen Asylantrag stellen. Ich habe Angst, dass das zu lang dauert und meine Familie dann nicht nachkommen kann, denn bald werde ich 18.

© SZ vom 09.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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