Egon Krenz:Immer im Recht

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Der frühere SED-Chef Egon Krenz hat nie um Gnade oder Amnestie gebeten. Über den Seiten seiner jetzt veröffentlichten "Gefängnis-Notizen" liegt jedoch ein Hauch von Wehleidigkeit.

Renate Meinhof

Sekunden nur braucht es, schon klingt seine Stimme so dringlich und laut, wie die Erinnerung sie gespeichert hat. Aus Schusseligkeit, ruft Egon Krenz, habe Günter Schabowski am 9.November 1989 im Alleingang die Öffnung der Grenze verkündet.

Der frühere SED-Chef Egon Krenz stellt seine "Gefängnis-Notizen" vor. (Foto: Foto: dpa)

Um Stunden zu früh, und in welche Gefahr er ganz Berlin damit gestürzt habe. Er sagt: "Jeder hat das Recht, sich so an die DDR zu erinnern, wie er sich erinnern will." Wie Balsam fließen seine Worte in den Saal, über graue Köpfe fließen sie. Er nennt die Köpfe "Liebe Genossen", und die Genossen lohnen die Salbung mit Klatschen.

Ein paar Hundert Menschen sind in das Redaktionsgebäude des Neuen Deutschland in Berlin gekommen, denn Egon Krenz, einst einer der Mächtigen in der DDR, stellt sein Buch vor. "Gefängnis-Notizen" heißt es.

Kluge, verfolgte und gepeinigte Menschen haben im Angesicht des Todes ihre Gedanken in der Haft aufgeschrieben. Vermächtnisse sind das, Dichtung manchmal, Märtyrerzeugnisse. In Berlin Moabit waren es Widerständler wie Albrecht Haushofer und Klaus Bonhoeffer, die die Nazis noch kurz vor Kriegsende ermordeten.

Und in der DDR? Hätte ein entlassener politischer Häftling gewagt, über das zu sprechen oder zu schreiben, was ihm im Zuchthaus Brandenburg, in Bautzen oder Hoheneck widerfahren war - Dunkelhaft, Wasserzellen, Folter - er wäre dieses Vergehens wegen sofort wieder abgeholt worden.

Das Leben im Gefängnis

Vielleicht hätte er zehn Jahre gekriegt. Vielleicht zwei. Vielleicht hätte man ihn für Westgeld in den Westen abgeschoben. Manches konnte schnell und lautlos gehen in einer Diktatur wie die DDR sie war, wo die Justiz im Dienst der Politik gestanden hat.

Egon Krenz sagt: "Ich will jene, die mal an mich geglaubt haben, nicht allein lassen mit dem Satz: Es war alles nichts wert." Der Saal tobt. Krenz, Erich Honeckers Nachfolger, und also der letzte DDR-Staats- und Parteichef, hat nun auch aufgeschrieben, was er in Moabit, in Hakenfelde und Plötzensee erlebt und gedacht hat.

Er beschreibt das Waschbecken in seiner Zelle, "in das sich jemand erbrochen hat". Er schreibt, dass das Abendbrot "kurz nach 15.30 Uhr" kam. "Dreißig Gramm Margarine, drei Scheiben Graubrot und einen undefinierbaren Salat." Die Margarine war schon flüssig, wegen der Hitze.

Dass Wärter durchs Guckloch guckten, schreibt er, solche Sachen. Seine politischen Ansichten, auch das. Egon Krenz schreibt auf, was ein Mann für wichtig erachtet, der sich immer im Recht wähnte. Nie hat er um Gnade oder Amnestie gebeten. Über den Seiten seines Buches aber liegt der Hauch der Wehleidigkeit, wie sie alternden Männern oft zu eigen ist.

In seinem letzten Interview, das er der SuperIllu vor dem Haftantritt im Januar 2000 gab, sagte er auf die Frage, ob er sich in Deutschland gut behandelt fühle, dass er "nie Illusionen" gehabt habe, "wie die Mächtigen der BRD mit DDR-Verantwortlichen umgehen würden, wenn sie Zugriff auf die DDR haben. Insofern wundere ich mich nicht, dass die Justiz in meinem Falle im Dienste der Politik steht".

Mit Nelken zum Gefängnis

Nur grau ist er geworden, wie er da sitzt, vorn auf dem Podium, umringt von Fotografen. Und sonst? Sonst nichts. Der ewige Berufsjugendliche der DDR war er, oft mit diesem ins Grinsen rutschenden Lachen, das seine mächtigen Zähne entblößte. Im blauen Hemd der Freien Deutschen Jugend stand er vorn in der Riege der Regierenden, vorn auf den tuchbespannten, nelkenbesteckten Tribünen.

Mit Nelken in der Hand hatten seine Kampfgefährten ihn auch zum Gefängnis begleitet. Wegen der Todesschüsse an der Mauer war er nach langem Gezerre zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt worden.

Die Toten an der Grenze, hallt es nun in den Saal, seien "die Niederlage meines Lebens", aber wie "wir sie angesichts des militärischen Charakters dieser Systemgrenze hätten verhindern können", er wisse es bis heute nicht.

Im Dezember 2003 wurde Egon Krenz, zweieinhalb Jahre vor dem regulären Ende seiner Haftstrafe, wegen einer "günstigen Sozialprognose" in die Freiheit entlassen. Den Rest der Strafe setzte man zur Bewährung aus.

Er habe viele Autogramme verteilt, sagte er damals, als er in Freiheit kam, das Tor im Rücken, in die Mikrofone, die ihm pelzig entgegenstakten. Sogar ihre Kopfkissen hätten ihm manche für den Schriftzug hingehalten. Bald darauf versteigerte ein Unbekannter die signierten Bezüge, in denen angeblich Egon Krenz genächtigt haben sollte, bei eBay im Internet.

Ach ja, Geld. Mag sein, dass Egon Krenz Geld verdient mit seinem Buch. Vielleicht viel. Vielleicht ganz wenig. Eher viel. Erich Honeckers "Moabiter Notizen" waren ja auch ein Bestseller. Wenn ein Schrecken vorbei ist, liebt man den Schauer.

© SZ vom 12.02.2009/gal - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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