Dschihadisten:Arm, schwach - und anfällig

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Aus einigen der Balkanstaaten kommen besonders viele islamistische Kämpfer. Das liegt nicht nur daran, dass die Rekrutierer dort einen hohen Anteil von Muslimen in der Bevölkerung finden.

Von Nadia Pantel, Belgrad

Am Mittwochabend hat ein Mann in Sarajevo zwei Soldaten erschossen und einen weiteren Soldaten sowie zwei Zivilisten verletzt. Der Mann ging mit einem Sturmgewehr in ein Wettbüro und eröffnete das Feuer auf die Soldaten, die sich dort aufhielten. Danach schoss er auf einen vorbeifahrenden Bus und zielte auf einen Soldaten, der im Bus saß. Durch die Splitter des Fensters wurden nicht nur der Soldat, sondern auch der Fahrer des Busses und ein weiterer Fahrgast verletzt. Der Attentäter flüchtete in seine Wohnung, im Westen Sarajevos und sprengte sich dort schließlich selbst in die Luft, nachdem die Polizei das Haus umstellt hatte.

Als sich die Nachricht von den Toten verbreitete, machten schnell Gerüchte die Runde. Medien berichteten, der Mann habe "Allahu Akbar" gerufen. Am Donnerstag erklärte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft, dass es sich bei dem Attentat um einen Terrorakt handele. Allerdings wurde noch nicht bestätigt, ob die Tat einen islamistischen Hintergrund hatte.

Die religiöse Vielfalt ist den Dschihadisten ein besonderer Dorn im Auge

Der Anschlag ruft die Macht in Erinnerung, die die Rekrutierer des Islamischen Staates auf dem Balkan inzwischen erlangt haben. Bosnien und Herzegowina, aber auch Kosovo sind zu den Hauptherkunftsländern europäischer Dschihadisten in Syrien geworden. Beide ehemals jugoslawischen Länder haben eine wichtige Gemeinsamkeit: Ihre Regierungen sind schwach bis zum Grad der Dysfunktionalität, und die Bevölkerung ist arm. Die Arbeitslosigkeit ist gerade unter den Jüngeren immens. Sowohl in Bosnien und Herzegowina als auch in Kosovo liegt sie bei mehr als 50 Prozent. Es gibt wenig Aussicht, dass sich das ändert. Die Terroristen nutzen das rechtsstaatliche Vakuum und die Hoffnungslosigkeit, um ihre einfachen Lösungen zu verkünden. Und um den Menschen ein attraktives Gehalt zu bieten. Die Terrormiliz hat schließlich nicht nur Selbstmörder-Jobs, sondern auch Milizen-Tätigkeiten, die nicht den eigenen Tod voraussetzen. Ein ehemaliger IS-Kämpfer aus Kosovo erzählte im Oktober anonym dem deutschen Fernsehsender RTL, dass er sich "wegen des Geldes" von den Dschihadisten als Soldat habe anwerben lassen.

Die zurückkehrenden Milizionäre werden für die Balkanstaaten zu einem wachsenden Problem. Laut Medienberichten sollen auch Bekannte des Wettbüro-Schützen in Syrien gekämpft haben. In Bosnien und Herzegowina ist der Mord an den zwei Soldaten der dritte terroristische Akt der vergangenen vier Jahre. Im April hatten Islamisten eine Polizeiwache in Zvornik, an der Grenze zur serbischen Grenze angegriffen und dabei einen Mann getötet. 2011 griff ein Mann in Sarajevo die US-Botschaft mit einem Sturmgewehr an, niemand wurde verletzt.

Von der islamistischen Gewalt auf dem Balkan sind vor allen Dingen die muslimisch geprägten Länder bedroht. Also Kosovo, wo mehr als 90 Prozent der Bevölkerung Muslime sind, Albanien, wo zu mehr als 50 Prozent Muslime leben und schließlich Bosnien und Herzegowina, wo sich mehr als 40 Prozent als Muslime identifizieren. In der Logik der Dschihadisten ist das Zusammenleben verschiedener Religionen nicht erwünscht. Ihre Anschläge richten sich folgerichtig gegen die religiöse Vielfalt der Balkanstaaten. Dies zeigt sich symbolisch auch im Anschlag auf die beiden Soldaten. Einer war Bosniake, also bosnischer Muslim, der andere ein serbischer Bosnier. Ein Vertreter des Innenministeriums kommentierte: "Es wurden nicht ein Serbe und ein Bosniake getötet, sondern ein Jahrgang 81 und ein Jahrgang 89. Der Mörder hat auf die Chance des Zusammenlebens in Bosnien geschossen."

Nach den Anschlägen in Paris war neben einem der Attentäter ein syrischer Pass gefunden worden, der wohl zur Einreise nach Serbien entlang der sogenannten Westbalkan-Fluchtroute verwendet worden war. In der Berichterstattung verquickten sich daraufhin die drei Begriffe Terror, Balkan, Flüchtlinge. Drei Panik-Worte auf einmal. Es sind Begriffe, die insofern zusammen gehören, als zur Zeit täglich Tausende Menschen aus Syrien, Irak und Afghanistan vor Terror und Bürgerkrieg über den Balkan nach Westeuropa fliehen.

Um den Terror auf den Balkan zu bringen brauchte es allerdings keine Flüchtlinge. Die Radikalen sind vor Ort, sie müssen nicht einwandern. Die entscheidende Frage für den Balkan ist nicht, ob sich die Terroristen als Flüchtlinge tarnen. Die entscheidende Frage ist, was in den Hinterzimmern in Kosovo, Albanien und Bosnien und Herzegowina passiert. Nach dem Zerfall Jugoslawiens und der serbischen Aggression gegen Muslime hat der Einfluss wahhabitischer Prediger aus Saudi-Arabien zugenommen. Einige von ihnen grenzen sich nicht ab gegen gewaltbereite islamistische Gruppen.

© SZ vom 20.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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