Drei Monate nach der Wahl:Neue österreichische Regierung steht

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Auch in Wien regiert künftig eine große Koalition. Die SPÖ stellt zwar mit Alfred Gusenbauer den Kanzler, muss dafür aber einen hohen Preis zahlen.

Michael Frank

Genau 99 Tage nach der Nationalratswahl vom 1. Oktober haben sich die sozialdemokratische Partei (SPÖ) und die Volkspartei (ÖVP) in Österreich auf eine große Koalition geeinigt.

Am Montag gaben nach einer letzten Plenarsitzung der Verhandlungsdelegationen die Vorsitzenden beider Parteien, Alfred Gusenbauer für die Sozialdemokraten und Wolfgang Schüssel für die Christsozialen, das neue Bündnis bekannt. Die personelle Besetzung der Regierung konnten oder wollten die Bündnispartner am Montag noch nicht bekannt geben, dies soll erst an diesem Dienstag nach der Zustimmung der jeweiligen Parteigremien geschehen.

Fest steht lediglich, dass Alfred Gusenbauer neuer Bundeskanzler wird. Dem Wunsch des Bundespräsidenten Heinz Fischer, die neue Regierung am Donnerstag zu vereidigen - er hatte damit das zögerliche Verhandlungstempo der Parteien wesentlich beschleunigt - steht aber dem Vernehmen nach nichts im Wege.

Sieben zu sieben

Sowohl die Sozialdemokraten als auch die Christsozialen werden in der neuen Regierung durch jeweils sieben Minister und drei Staatssekretäre vertreten sein. Der Gleichstand in der Zahl der Kabinettsmitglieder wird damit begründet, dass die siegreichen Sozialdemokraten nur um ein Prozent vor der Volkspartei liegen. Neben dem Bundeskanzler haben die Sozialdemokraten alle Ressorts für sich reklamiert, die im weitesten Sinne den sozialen und Arbeitsbereich betreffen.

Außerdem übernehmen sie das Verteidigungsressort und das Justizministerium. Dies gilt als Sieg in den Verhandlungen, da seit den Zeiten des legendären Kanzlers Bruno Kreisky in großen Koalitionen das Justizressort stets mit parteifreien Persönlichkeiten besetzt wurde, um es, wie es hieß, aus ideologischen Auseinandersetzungen herauszuhalten.

Gusenbauer erklärte nun, den Sozialdemokraten sei die Justiz als ein wesentliches Gestaltungselement für die Gesellschaft von besonderer Bedeutung. Dafür hat die Volkspartei viele klassische Ressorts an sich ziehen können. Einmal das Finanzministerium, das in Österreich aufgrund besonderer Machtfülle eine Sonderrolle in der Regierung spielt, und das diesmal mit dem Amt des Vizekanzlers gekoppelt werden soll; dann das Außen- und das Innenressort.

In den mehr als drei Monaten, von beleidigten Pausen unterbrochenen Verhandlungen haben sich nach Ansicht der Beobachter in Österreich die Christsozialen und der noch als Kanzler amtierende Schüssel auch in Sachfragen weithin durchgesetzt. Einmal hat man den Streit um die Anschaffung neuer Kampfflugzeuge vom Typ Eurofighter, die Milliarden kosten wird, und die zu verhindern ein zentrales Wahlversprechen der Sozialdemokraten gewesen ist, aus dem Einigungskatalog herausgenommen.

Man will die Ergebnisse eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses abwarten. Von dem Versprechen, den Kauf zu verhindern, blieb nun nach den Worten des künftigen Kanzlers Gusenbauer nur Folgendes übrig: Es gelte eine kostengünstigere Lösung zu finden und auf diese Weise dem Steuerzahler Geld zu ersparen.

Weithin Kopfschütteln hat die Einigung im zweiten, ebenfalls ideologisch hochbelasteten Streitpunkt ausgelöst. Um die von der alten Rechts-Koalition eingeführten Studiengebühren für alle Studierenden an Österreichs Universitäten hatte man wochenlang gefeilscht. Diese Sache galt als eine der Hürden, an der die großen Koalition hätte scheitern können.

Nun wird auch an diese nicht gerührt, was als Niederlage der SPÖ interpretiert wird. Man hat sich darauf geeinigt, dass auf der einen Seite Stipendiensysteme für Bedürftige erheblich ausgebaut werden, dass man außerdem ein System von zinslosen Krediten für Studenten einführen will.

Verblüffung erntete die Absicht, dass sich Studenten künftig auch mit Sozialarbeit von der Begleichung von Studiengebühren freikaufen können: Mit 60 Stunden gemeinnütziger Tätigkeit pro Semester sollen Studierende sich das Geld ersparen können, unabhängig davon, ob sie die Studiengebühren nicht bezahlen wollen oder können. Schon im ersten Augenblick wurde nicht nur von Studentenvertretern Protest laut, zumal damit suggeriert werde, dass Studenten neben ihrer universitären Pflichten genug Zeit für allerlei andere Tätigkeiten hätten.

Spekulationen um Schüssel

An die Besetzung des Außenministeriums knüpften sich bis zum Montagabend Spekulationen um die Person des bisherigen Bundeskanzler Schüssel. Nachdem klar geworden ist, dass er das Finanzministerium nebst Vizekanzleramt, das man ihm zuletzt zugeschrieben hatte, doch nicht übernehmen werde, blieb es bei der Annahme, er könnte doch noch ins Außenministerium einrücken. So wolle er sich öffentliche Präsenz in Europa und damit Referenzen für künftige Führungsaufgaben innerhalb der EU wahren.

Finanzminister und Vizekanzler werde aller Wahrscheinlichkeit nach der bisherige ÖVP-Fraktionsvorsitzende Wilhelm Molterer, hieß es zunächst. Obwohl auch der bisherige Finanzminister Karl-Heinz Grasser sich am Montag noch nicht erklären wollte und kein Name genannt wurde, galt zunächst als sicher, dass der schillernde einstige Protege des Kärntner Landeshauptmannes und FPÖ-Vorsitzenden Jörg Haider in der neuen Regierung nicht mehr vertreten sein werde.

Im Laufe des Nachmittags kam zuletzt allerdings wieder die Version auf, Grasser werde doch auf Wunsch Schüssels Finanzminister. Die Konfusion im Personalkarussell war damit komplett: Denn dies würde bedeuten, dass Grasser, der nicht einmal der Österreichischen Volkspartei angehört, auch Vizekanzler würde.

© SZ vom 9.1.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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