Doppelporträt von Lafontaine und Gysi:Die west-östlichen Diven

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Der Saarländer Oskar Lafontaine und der Ost-Berliner Gregor Gysi machen im Bundestag die gemeinsame Sache so reibungslos, dass sie nun ihre Parteien vereinen können.

Robert Roßmann

Das also sind die Herzkammern der neuen deutschen Linken: zwei Räume im alten Sitz der Hypothekenbank, direkt unter dem "Goldenen Saal". Als der Bundestag nach Berlin zog, wurde das Gründerzeithaus von einem gewaltigen Neubau für Abgeordnete geschluckt - seitdem ist das Bankgebäude in einem Irrgarten neuer Flure aufgegangen. Wer ihn durchdringt, landet vor den Büros von Gregor Gysi und Oskar Lafontaine, den Herzkammern der Linken.

Was hatten die Auguren nach der Bundestagswahl nicht alles prophezeit. Gysi und Lafontaine als gemeinsame Fraktionschefs, das sei wie zwei Pfaue in einem Gehege. Spätestens nach einem Monat hätten sich die Rivalen ihr Federkleid ramponiert. Doch jetzt sitzen sie schon 18 Monate in der ehemaligen Bank - und haben sich noch immer keine Feder ausgerissen. Am Wochenende wollen Lafontaines WASG und Gysis PDS auf einem Doppelparteitag in Dortmund sogar fusionieren. "Die Linke" soll die gemeinsame Partei heißen, praktisch wird es die Gysi-Lafontaine-Partei sein.

Jetzt fragt sich jeder, wie das möglich war. Schließlich könnten die beiden Ober-Linken kaum unterschiedlicher sein. Lafontaine lehnt die Beteiligung am Berliner Senat ab, Gysi unterstützt sie. Lafontaine wildert auch im Stammtisch-Milieu, der Kultusminister-Sohn Gysi hat"s gern feiner. Die Machtmaschine Lafontaine liebt das schnelle Ergebnis, der ständige Zweifler Gysi die spannende Debatte.

Bei der Klausurtagung der Linksfraktion in Warnemünde im Sommer watschte Lafontaine Kritiker seines Programm-Entwurfs mit der Bemerkung ab, in der SPD-Fraktion hätten sich Nachwuchskräfte keine Einwände erlaubt, "wenn Wehner ein wichtiges Papier vorgelegt hat".

Lafontaine mag sich von Gerhard Schröder und Joschka Fischer verabschiedet haben - ihren testosteronhaltigen Führungsstil hat er beibehalten. Nun schätzt die Linkspartei nach 40 Jahren DDR aber den anti-autoritären Diskurs. Und so hatte Gysi als ständiger Dolmetscher zwischen den Polit-Kulturen ordentlich zu tun. Nicht erst seit Warnemünde heißt es in der Fraktion: "Oskar wird respektiert, Gregor aber geliebt."

Politik der offenen Tür

Warum aber funktioniert die Bürogemeinschaft des Zuchtmeisters mit dem Parteiliebling so reibungslos? Zunächst einmal liegt das wohl an dem direkten Durchgang zwischen ihren Büros. Anders als die grünen Doppelspitzen trennt Lafontaine und Gysi nur eine offene Tür. "Das erleichtert die Absprache", sagt Gysi.

Heikle Themen werden direkt geklärt, der Weg ist ja kurz. Selbst ihre Interviews zeigen sich die beiden inzwischen vorab. Die vertraulichen Hintergrundgespräche mit Journalisten führen sie gleich gemeinsam. "Wandel durch Annäherung" hätte das Egon Bahr genannt. Und irgendwie markiert die Tür zwischen den Räumen 1733 und 1734 ja auch die alte Demarkationslinie.

Rechts sitzt Lafontaine, eine der letzten aktiven Polit-Größen der alten BRD. Hinter seinem Schreibtisch stehen Porträts von Walter Ulbricht und Papst Benedikt. Links residiert Gysi, der letzte SED-Chef, als Politikersohn früh Teil des DDR-Establishments. Als sich die beiden 1995 erstmals trafen, versetzte das noch die ganze Bundesrepublik in Aufruhr.

Edmund Stoiber war "entsetzlich entsetzt", Helmut Kohl sorgte sich ob des Flirts des frisch gewählten SPD-Chefs mit dem Kommunisten gar "um die Zukunft der Republik". Doch die Zeiten haben sich gewandelt. Kein Wunder, dass Gysi am Montag ehrfürchtig zu Bahr pilgerte, um ihm zum 85. Geburtstag zu gratulieren.

Nun liegt Eintracht zwar immer auch an passenden Räumen, das ist in der Politik nicht anders als in der Ehe zu Hause. Dass der ehemalige SPD-Vorsitzende und der letzte SED-Chef inzwischen aber auftreten wie ein eingespieltes altes Paar, kann nicht nur an einem Zimmerdurchgang liegen. "Oskar war schon alles, und ich will nichts mehr werden", sagt Gysi, wenn er nach den Gründen gefragt wird. Außerdem belüge man sich nicht - und das sei in der Politik ja schon allerhand.

"In der SPD habe ich mit viel größeren Meinungsunterschieden gelebt", sagt Lafontaine. Außerdem müssten er und Gysi sich nichts mehr beweisen. Gemeinsam kokettieren sie mit der Souveränität des Alters: Gysi wird im Januar 60, Lafontaine ist schon 63.

Falsch ist das alles nicht. Entscheidender ist aber wohl die Erkenntnis, nur auf Bewährung zurück in der Politik zu sein. Das diszipliniert. Lafontaine floh 1999 aus der Verantwortung, drei Jahre später warf auch Gysi überraschend seine Ämter als Berliner Bürgermeister und Wirtschaftssenator hin. Ohne ihr wichtigstes Zugpferd scheiterte die PDS zwei Monate später bei der Bundestagswahl an der Fünf-Prozent-Hürde.

Sollte es den beiden gelingen, die neue gesamtdeutsche Linke dauerhaft im Bundestag zu etablieren, hätten sie nicht nur das deutsche Vierparteien-System gesprengt, sie hätten wohl auch ihren Malus im Geschichtsbuch getilgt. Das motiviert - und das diszipliniert. "Sie sind fest aneinander gebunden", sagt Dietmar Bartsch, der Bundesgeschäftsführer.

Wenn einer von beiden gehe, habe der andere ein Problem. Ohne Gysi würde die Linkspartei den machtvollen Lafontaine nicht akzeptieren - er ist das Gegengewicht und der Dolmetscher.. Lafontaine wiederum ist das West-Gesicht, das der PDS immer gefehlt hat, um auch in den alten Ländern zu reüssieren. Ohne ihn blieben die Linken eine Ost-Partei.

Gysi und Lafontaine stehen aber nicht nur gemeinsam unter Bewährung. Sie haben auch schon beide dem Tod ins Auge geschaut, Lafontaine beim Attentat 1990, Gysi bei einer schweren Gehirnoperation samt Herzinfarkten 2004. Derlei Grenzerfahrungen machen selbst Alphatiere gelassener. Im Bundestag haben sie sich deshalb gar nicht erst um den einzigen Platz in der ersten Reihe gestritten. Da dürfen jetzt Hintersassen sitzen.

Gysi und Lafontaine scherzen lieber in Reihe zwei wie die Schulbuben miteinander. Abends wird die Harmonie-Show in Hintergrundgesprächen fortgesetzt. Diese Woche saßen die beiden im Restaurant Kanzlereck, Lafontaine vor einem Bild seines Mentors Willy Brandt. Während er den Journalisten seine absoluten Wahrheiten darbot, genoss Gysi den Weißwein. Und als Gysi später wie ein Duracell-Männchen nicht endenwollend Anekdoten erzählte, zerlegte Lafontaine sein Schnitzel. So schön kann es sein, links zu sein.

Er fühlt sich überlegen

Doch Lafontaine ist auch ein Meister der Selbstkontrolle, der Mann saß neun Jahre im Klosterinternat. "Beharrliche Selbsterziehung wird die gottgewollte Frucht tragen", stand in den Regeln des Konvikts - das prägt. Und so blitzt sein Unmut darüber, nicht gebührend beachtet zu werden, nur manchmal auf. Etwa, wenn er eine "Mediensperre" beklagt oder daran erinnert, dass er als SPD-Chef nur husten musste, um in der Zeitung zu stehen. Jetzt ist er aber eben nicht mehr SPD-Chef, überlegen fühlt er sich den anderen trotzdem noch.

Er war ja schon Bürgermeister, da hatte Angela Merkel noch 15 Jahre DDR vor sich, Guido Westerwelle kam gerade in die Pubertät und Kurt Beck in den Kreistag "Südliche Weinstraße". Und die Schröder-Memoiren reduziert er auf den Satz des Ex-Kanzlers, "nie wieder einen so begabten politischen Menschen kennengelernt zu haben" wie Lafontaine. Kein Wunder, dass der glaubt, ein Recht auf Wahrnehmung zu haben.

Die wird er jetzt auch bekommen. Im Sommer dürfte Lafontaine Partei- und Fraktionschef der Linken sein, 2009 Ministerpräsidenten-Kandidat im Saarland. So viele Ämter hatte früher nur der andere Saarländer - Erich Honecker.

© SZ vom 23.03.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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