Ditib:Die Tür ist zugeschlagen

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Hessen stoppt die Einführung eines islamischen Religionsunterrichts in Verantwortung des Moscheevereins Ditib. Der Beschluss löst Enttäuschung und Kritik aus.

Von Matthias Drobinski, Frankfurt

In ihrer Enttäuschung sind sich Stefan Löwer, Sprecher des Hessischen Kultusministeriums, und Onur Akdeniz, Landesgeschäftsführer des türkisch-islamischen Moscheeverbandes Ditib, immerhin einig. "Es ist eine Entscheidung gegen die Kinder, die Religionslehrer, die Eltern muslimischen Glaubens - ausgerechnet zum Ramadan", sagt der Ditib-Vertreter. "Irgendwann war die Tür halt zu", sagt der Mann aus dem Kultusministerium.

Vergangene Woche hat Hessen das bundesweit ehrgeizigste Projekt zur Einführung eines islamischen Religionsunterrichts zum Ende des Schuljahres gestoppt. Für alle vergleichbaren Pläne, wie sie etwa in Rheinland-Pfalz betrieben werden, ist das ein herber Rückschlag. Seit 2014 gibt es, an zuletzt 56 Grundschulen und zwölf weiterführenden Schulen, einen Islam-Unterricht, der dem evangelischen und katholischen Religionsunterricht gleichgestellt ist. Das Angebot liegt in der Verantwortung der kleinen Ahmadiyya-Gemeinde, vor allem aber der Ditib, des größten Moscheevereins in Deutschland. Der aber ist eng verbunden mit der türkischen Religionsbehörde Diyanet, die seit dem Putsch in der Türkei 2015 den autokratischen Kurs des Präsidenten Erdoğan stützt - gerade erst hat ihr Chef Ali Erbaş mit homophoben Äußerungen für Empörung gesorgt. Steht die hessische Ditib dafür, dass Erdoğans Arm nicht bis in Hessens Klassenzimmer reicht? Kultusminister Alexander Lorz (CDU) glaubte das am Ende nicht mehr.

Die Ditib bekommt aus Ankara Imame, Geld und Weisungen geschickt, das wusste die Landesregierung auch schon 2012, als die damalige FDP-Kultusministerin Nicola Beer den islamischen Religionsunterricht auf den Weg brachte. Allerdings erschien der liberale Vorstand der hessischen Ditib dem Ministerium ausreichend verlässlich. Der Islam-Unterricht sollte von den Moscheen an die Schulen geholt werden, mit staatlich kontrollierten Lehrplänen und an der Uni ausgebildeten Lehrkräften, akzeptiert von den muslimischen Eltern.

Aber nach dem Putsch in der Türkei wurde Hessens Ditib-Vorstand ausgetauscht, zwischen Verband und Ministerium begann ein Kleinkrieg. Die Staatsvertreter wünschten eine klare Trennung vom Ditib-Bundesverband, der Landesverband änderte die Satzung, jedoch ohne sie ins Vereinsregister einzutragen. "Wir mussten immer nachhaken, und immer blieben Defizite", sagt Ministeriumssprecher Löwer. Zwei Gutachten bildeten dann die Basis für die Entscheidung des Kultusministeriums: Der Turkologe Günter Seufert beschrieb, wie die Religionsbehörde Diyanet in Ankara personell und ideologisch zunehmend zum Instrument der Regierungspartei AKP wird. Und der Verfassungsrechtler Josef Isensee stellte heraus, wie die hessische Ditib vom Bundesverband und damit von der Diyanet abhängt: "In dieser Organisationseinheit verfügt der Landesverband nicht über jenes Minimum an institutioneller Unabhängigkeit, dessen er bedarf, um selbstbestimmt seine Aufgabe als Religionsgemeinschaft erfüllen zu können."

Die Absage sei ein Affront gegen die junge Generation in der Ditib, sagt ein Wissenschaftler

Ein drittes Gutachten zeichnet ein anderes Bild. Der Erlanger Islamwissenschaftler Mathias Rohe schreibt, dass "keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine politische Einflussnahme auf den islamischen Religionsunterricht durch Gliederungen von Ditib oder türkische Stellen erfolgt ist" - und dass der hessische Verband einiges getan habe, um unabhängiger von der Kölner Zentrale zu werden. Auch Isensee würdigt dies, doch das strukturelle Grundproblem heilt das für ihn nicht.

Eben das ist die Quelle für den Frust von Onur Akdeniz: "Wir können strukturell und vereinsrechtlich tun, was wir wollen - es bleibt die Herrschaft des faktisch unbegründeten Verdachts." Akdeniz gibt anfängliche professionelle Defizite bei der Lehrerfortbildung und der Geschäftsstellenorganisation zu. Die seien nun weitgehend behoben, und vor allem gebe es "die vielen guten Erfahrungen von Lehrkräften, Schulkindern und Eltern, die offenbar nichts zählen". Irgendwann habe die Landesregierung den Gesprächsfaden abreißen lassen; erst zwei Tage, nachdem Lorz das Ende der Kooperation verkündet hatte, habe es ein Gespräch im Ministerium gegeben, das wenig tröstend verlaufen sei.

Auch die Wissenschaftler, die an den Unis Frankfurt und Gießen islamische Religionslehrer ausbilden, kritisieren den Beschluss. "Mit gutem Willen hätte man - bei allen Problemen mit der Ditib - dieses Ende vermeiden können", sagt der Frankfurter Erziehungswissenschaftler Harry Harun Behr. Aber die Kooperation mit der Ditib sei irgendwann politisch nicht mehr opportun gewesen. Viele Studierende seien nun verunsichert, auch wenn das Land zugesichert hat, dass sie das neue Fach Islamkunde künftig unterrichten können.

Das soll es nämlich nach den Sommerferien für 3300 Schülerinnen und Schüler statt des bisherigen Islamunterrichts geben. Eine solche - rein staatlich verantwortete - Islamkunde gibt es schon in Bayern oder Nordrhein-Westfalen, in Hessen aber ist die verfassungsrechtliche Lage knifflig: Darf der Staat den bekenntnisgebundenen Religionsunterricht einfach übernehmen, mit den gleichen Schülern und Lehrkräften und ähnlichen Lehrplänen? Ministeriumssprecher Löwer betont die Unterschiede, so werden die Schüler im Unterricht nicht mehr beten. Harry Harun Behr sagt dagegen, es ändere sich zu wenig, er sieht die Gefahr eines Verfassungsbruchs und sagt: "Den Preis des Streites zahlt die junge Generation in der Ditib, die eine engere Bindung an Deutschland wünscht. Die ist nun vor den Kopf geschlagen." Onur Akdeniz gehört zu dieser Generation. Er sagt, sein Verband erwäge nun eine Klage vor dem Verwaltungsgericht.

© SZ vom 11.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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