Diskussion:Auf die Couch

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Eigentlich wirkt es ganz harmlos, das „Sachsensofa“, auf dem Politiker und Bürger ins Gespräch kommen sollen. Aber das Möbel ist nicht unumstritten. (Foto: Oliver Killig)

Bürgerdialog oder Vorwahlkampf - wozu dient dieses Sofa? Warum sich Politiker in Sachsen um ein scheinbar harmloses Möbelstück streiten.

Von Ulrike Nimz

Wenn es um geordneten politischen Meinungsaustausch geht, fällt einem nicht zuallererst das Bundesland Sachsen ein. Aus der Ferne mag der Freistaat als Hort der Unzufriedenen erscheinen, wo der Draht zwischen Volk und Volksvertretern nicht mehr glüht, bestenfalls glimmt. Doch der Eindruck täuscht. Inzwischen müssten sich die Sachsen schon zu Hause einschließen, um nicht mit Landespolitikern ins Gespräch zu kommen, so lang ist die Liste der Dialogveranstaltungen im Wahljahr 2019. Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) reist mit dem Format "Direkt" durchs Land. Begleitet von der kompletten Ministerriege stellt er sich bei den "Sachsengesprächen" brennenden Bürgerfragen. Es gibt die "Bürgerwerkstatt", wo Ehrenamtliche von Alltagshürden berichten. Integrationsministerin Petra Köpping (SPD) bietet Bürgersprechstunden an, in denen sich vorwiegend Männer ihren Nachwendefrust von der Seele reden. Und der stellvertretende Ministerpräsident Martin Dulig (SPD) lädt schon seit dem Landtagswahlkampf 2014 an seinen Ikea-Küchentisch. Der ist inzwischen mit Stahlwinkeln verstärkt.

Man kann sich den Freistaat als eine Art Wohngemeinschaft vorstellen, in der ausdauernd debattiert wird, wer denn nun wie den Müll rausbringt. Inzwischen ist die WG teilmöbliert: Das neueste Angebot heißt "Sachsensofa", ein Projekt der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen. An vorerst sechs Abenden sollen jeweils zwei Vertreter aus Politik und Gesellschaft mit Besuchern plaudern, über Mitbestimmung und schwindendes Vertrauen. Ziel sind Gemeinden mit weniger als 5000 Einwohnern. Orte also, an denen es lange wahrscheinlicher war, Wölfe zu treffen als Wahlkämpfer.

Erfahrene Sofa-Talker wie Wolfgang Bosbach und Norbert Lammert sind dabei, aber auch der Politikwissenschaftler Werner Patzelt (alle CDU), der das Wahlprogramm der sächsischen Christdemokraten mitschreiben soll und laut Recherchen der Zeit auch der AfD beratend zur Seite stand. Nicht auf der Couch: Oppositionspolitiker. Die monierten die einseitige Auswahl der Gäste, und dass das "Sachsensofa" mit 90 000 Euro aus dem Programm "Weltoffenes Sachsen" gefördert wird. Die Grünen sprachen von "Vorwahlkampf aus Mitteln der Staatsregierung", die Linken von "Selbstgesprächen". Auch der Ministerpräsident wünschte sich mehr "Meinungsvielfalt" von den Verantwortlichen. Die Katholische Akademie sprach ein "Mea culpa", lud auch den sächsischen Linken-Chef Rico Gebhardt und die Grüne Franziska Schubert ein.

Man habe keine Lagerdiskussion gewollt, so Direktor Thomas Arnold. Es sei darum gegangen, die Debatte um den gesellschaftlichen Zusammenhalt nicht allein in den Großstädten zu führen. Die Menschen auf dem Land seien weder demokratieverdrossen noch demokratieunfähig. "Wir wollen etwas anstoßen, das über den 1. September hinaus währt."

Tatsächlich gibt es beim Sachsensofa mehr zu gewinnen als eine Landtagswahl: ein signiertes "Sachsenkissen" zum Beispiel. Das Sofa selbst habe man auf Ebay-Kleinanzeigen erstanden und für 1100 Euro neu beziehen lassen, so Arnold: Velours, bedruckt mit dem schwarz-gelben Landeswappen. Das wiederum darf laut Wappenverordnung nicht ohne Weiteres verwendet werden und veranlasste die Sächsische Zeitung zur Frage: "Ist das neue Sachsensofa illegal?" Die Staatskanzlei gab daraufhin im Eilverfahren die Genehmigung und ein Experten-Duo sein Debüt auf dem umstrittenen Möbelstück: Ex-Innenminister Heinz Eggert (CDU) und Ex-Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) ließen sich unter dem Dach der "Windmühle Seifhennersdorf" tief in Polster und Gespräche sinken. Über blühende Landschaften und die Frage, was die Wiedervereinigung den Sachsen neben viel Gesprächsstoff eigentlich gebracht hat. Der Abend endete wie der Herbst 1989: friedlich.

© SZ vom 22.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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