Digitalwährung:Das Sein des Scheins

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Für den Handel mit digitaler Währung sind riesige Rechenzentren nötig, und die verbrauchen sehr viel Strom. (Foto: Qilai Shen/Bloomberg)

Seit Tagen knackt der Bitcoin-Kurs eine Rekordmarke nach der anderen. Greifbar ist diese Währung nicht, sie existiert nur in Form komplizierter Algorithmen. Doch deren Wert ist sehr real.

Von Christoph Behrens und Jan Willmroth

Die virtuelle Währung Bitcoin löst gerade weltweit Euphorie aus. Über Nacht springt der Kurs auf immer neue Höhen, buchstäblich. Von der 14 000-Dollar-Marke am Vorabend dauerte es nur bis zum Donnerstagmorgen - da war der Wert eines Bitcoin bereits um weitere 1000 Dollar gestiegen. Seit Anfang des Jahres ist der Kurs um mehr als 1400 Prozent gestiegen. Warum glauben plötzlich so viele Menschen an den Wert von Bitcoin? Die wichtigsten Antworten auf die Fragen zu einem rätselhaften Phänomen:

Gibt es Bitcoin in Münzenform?

Bitcoin existiert rein digital, es gibt also keine Münzen oder Scheine, die man anfassen kann. Es ist virtuelles Geld. Das Bitcoin-System muss man sich wie ein sehr langes, fälschungssicheres Buch vorstellen, in dem alle vergangenen Transaktionen mit der Währung ebenso vermerkt sind wie die Informationen darüber, welchem Nutzer welche Menge an Bitcoin gehört. Dieses Blockchain genannte Hauptbuch wird nicht zentral verwaltet, sondern ist auf den Computern von Tausenden Bitcoin-Nutzern gleichzeitig gespeichert. Die Rechner sind über das Internet miteinander verbunden und schreiben das Buch mit allen neuen Überweisungen fort. Das soll verhindern, dass jemand betrügen kann.

Wer hat das System Bitcoin erfunden?

Auf dem Höhepunkt der Finanzkrise im Jahr 2008, als Zentralbanken und Staaten weltweit Banken vor dem Zusammenbruch bewahren mussten, erschien unter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto ein neunseitiges Thesenpapier, das die Grundlagen für das System Bitcoin festlegte. Bis heute ist nicht geklärt, ob es ein Einzelner oder eine Gruppe von Personen geschrieben hat. Das Ziel war, eine neue Form von Geld zu schaffen, das ohne die Kontrolle durch zentrale Stellen und ohne Intermediäre wie Banken oder Kreditkartenfirmen auskommt. Seither ist auch festgelegt, dass die Zahl der Bitcoin begrenzt ist, um Inflation zu verhindern. Von Nakamoto hörte man zuletzt im Jahr 2011. Damals verkündete er nur, sich von nun an anderen Dingen widmen zu wollen.

Was ist eine Blockchain?

Die Blockchain ist das Herz von Bitcoin und eine vielfältig einsetzbare Technologie im digitalen Zeitalter. Am einfachsten lässt sie sich mit einer Analogie erklären: Man stelle sich sehr viele aneinandergereihte Kisten vor, die Informationen enthalten. Die Container liegen in einer zeitlichen Abfolge hintereinander. Ist eine Kiste voll, wird sie verschlossen, und eine neue, leere Kiste wird an die nächstältere angehängt. Das System lässt sich nur theoretisch fälschen, da alle Kisten miteinander verkettet sind (daher der Name, wörtlich übersetzt, Blockkette). Wollte jemand die Information in einer alten Kiste ändern, müsste er gleichzeitig auch alle neueren Container öffnen und manipulieren. Das wäre nur mit unbegrenzter Rechenleistung machbar - und würde trotzdem lange dauern.

Taugt Bitcoin als Zahlungsmittel?

Die einfachste Antwort ist: nicht mehr. Vom ursprünglichen Gedanken, eine alternative Währung als Ersatz für Dollar oder Euro zu schaffen, ist nicht viel geblieben. Das hat technische Gründe. Weil die Zahl der Nutzer im Bitcoin-Netzwerk so rasant gestiegen ist, dauert es immer länger, bis Transaktionen bestätigt sind. Je voller das Netzwerk, desto teurer sind außerdem Überweisungen. Für eine einzelne Zahlung in Bitcoin werden bis zu 20 Euro an Gebühren fällig, die diejenigen erhalten, die die Transaktion überprüfen und im Netzwerk abspeichern.

Wie kauft und verkauft man Bitcoin?

Bislang findet der Handel auf spezialisierten, häufig wenig regulierten Marktplätzen im Netz statt, auf denen sich herkömmliche Währungen in Bitcoin tauschen lassen, vergleichbar mit dem Devisenhandel. Dabei handelt es sich um Websites, die börsenähnlich den Handel organisieren. Das System erlaubt Stückelungen von bis zu neun Dezimalstellen, man muss Bitcoin also nicht in ganzen Einheiten erwerben oder verkaufen.

Wie entstehen neue Bitcoin?

Die Schöpfung neuer Bitcoin ist eine Kerninnovation der Technik. Sie fußt auf einem Algorithmus, der etwa alle zehn Minuten neue Bitcoin entstehen lässt (aktuell 12,5 Bitcoin pro zehn Minuten). Da dieses Protokoll die Menge der neu erzeugten Bitcoin zudem etwa alle vier Jahre halbiert, ist die Menge insgesamt gedeckelt - auf 21 Millionen Stück; der letzte Bitcoin wird erst in mehr als 100 Jahren entstehen. Ökonomisch betrachtet ist Bitcoin also deflationär. Es kann niemand in die Geldschöpfung eingreifen. Das Ganze funktioniert allerdings nur, wenn sich möglichst viele Computer an dem Algorithmus beteiligen. Diese Rechner werden Miner (Schürfer) genannt. Sie lösen alle gleichzeitig ein mathematisches Rätsel, das der Algorithmus aufgibt. Dieses Rätsel ist so gestrickt, dass es sich nur durch das Probieren von Zufallszahlen lösen lässt. Wer das Rätsel als Erster löst, bekommt die neu erzeugten Bitcoin als Belohnung ausgezahlt. Je besser die eingesetzte Hardware ist, umso höher sind die Chancen auf die Belohnung. Das dient als Anreiz, um teure Rechenleistung in das Bitcoin-Netzwerk zu investieren.

Warum verbraucht Bitcoin so viel Strom?

Ursprünglich ließen sich Bitcoin mit haushaltsüblichen Computern schürfen, doch das ist lange vorbei. Denn das mathematische Rätsel, das die Geldschöpfung steuert, wird mit der Zeit immer komplexer und erfordert immer mehr Rechenleistung. Daher schürfen mittlerweile fast nur noch Profis nach neuen Bitcoin, indem sie spezialisierte Hardware zu großen Rechenzentren, sogenannten Mining-Farmen, zusammenschalten. Am lukrativsten ist dieses Geschäft dort, wo Strom wenig kostet, weshalb die meisten Bitcoin in China entstehen. Auch kalte Orte, an denen sich Rechenzentren einfacher kühlen lassen, eignen sich gut. Deshalb blüht das Bitcoin-Mining etwa in Island - wegen des billigen Stroms, der niedrigen Temperaturen und der schnellen Internetverbindungen. Bitcoin mag innovativ sein; effizient oder gar ökologisch unbedenklich ist die Währung nicht. Eine einzelne Überweisung verbraucht heute so viel Strom wie ein typischer US-Haushalt in einer Woche, schließlich muss sie von allen Minern verifiziert werden, um zu gelten. Das Bitcoin-Netzwerk verschlingt derzeit 32 Terawattstunden Elektrizität pro Jahr, etwa so viel wie Dänemark. Je wertvoller ein Bitcoin wird, umso mehr Strom wird verbraucht.

Kann man Bitcoin wirklich wegschmeißen - sie existieren doch nur digital?

Bei Bitcoin gibt es keine privaten Konten, sondern "öffentliche Adressen", die mit Bitcoin-Guthaben verknüpft sind. Bitcoin zu besitzen, bedeutet lediglich, ein Passwort zu kennen, das diese Adressen kontrolliert - ähnlich wie ein Schlüssel für ein Schloss. Diesen privaten Schlüssel, eine 64-stellige Kombination aus Ziffern und Buchstaben, müssen Bitcoin-Besitzer aufbewahren und geheim halten. Wie sie das tun, ist ihnen überlassen. Man kann den privaten Schlüssel in speziellen Computerprogrammen sichern oder auf einem USB-Stick. Man kann ihn auch ausdrucken und das Blatt Papier unter das Kopfkissen legen. Das erfordert große Sorgfalt, immer wieder gehen daher große Mengen Bitcoin verloren. Wenn Besitzer die Festplatte wegwerfen, auf der ihr privater Schlüssel gespeichert war, verlieren sie den Zugriff auf ihr Guthaben. Die entsprechenden Informationen sind zwar noch auf der Blockchain vorhanden, aber niemand hat mehr Zugriff darauf - wie bei einem (sehr guten) Safe, für den man den Schlüssel verliert. Der britische Telegraph berichtete kürzlich über einen Informatiker, der 2013 eine Festplatte mit 7500 Bitcoin versehentlich entsorgte. Mittlerweile wären diese mehr als 100 Millionen Dollar wert. Nun überlegt der Unglückliche laut der Zeitung, die Mülldeponie aufgraben zu lassen, um nach seinem Schatz zu suchen. Eine Studie der Analyse-Firma Chainanalysis ergab, dass schon mindestens 1,7 Millionen Bitcoin durch Schlamperei verloren gegangen sind.

Wer besitzt die meisten Bitcoin?

Als erste Bitcoin-Milliardäre gelten heute die US-Geschäftsleute Tyler und Cameron Winklevoss. Die Zwillinge lieferten sich einen jahrelangen Rechtsstreit mit Mark Zuckerberg, weil er die Idee für Facebook bei ihnen abgekupfert haben soll. Ein US-Gericht sprach den Brüdern mehr als 65 Millionen Dollar Schadenersatz zu. Elf Millionen investierten sie im Jahr 2013 in Bitcoin. Zuletzt wurde bekannt, dass das Winklevoss-Investment nun mehr als eine Milliarde US-Dollar wert ist, eine Steigerung von rund 10 000 Prozent in vier Jahren. Privatanleger sollten sich davon nicht locken lassen: Spekulationen mit dem digitalen Geld sind riskant. Zu den frühen Bitcoin-Einsteigern, von denen viele inzwischen Millionäre sind, wird man ohnehin nicht mehr gehören. Wirklich gewaltig ist der Reichtum des Bitcoin-Erfinders. Satoshi Nakamoto werden mehr als eine Million Bitcoin zugerechnet. Derzeitiger Marktwert: mehr als 17 Milliarden US-Dollar.

© SZ vom 08.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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