Dienstleistungsgewerkschaft:Er geht. Wirklich

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Nie gab es einen anderen Verdi-Chef. Aber nun, nach 18 Jahren, übergibt Frank Bsirske an Frank Werneke. Der trat schon als 15-Jähriger der Gewerkschaft bei, was ihn verdächtig machte.

Von Detlef Esslinger

Man weiß ja nie, aber möglicherweise war zumindest teilweise die Frage im Spaß gemeint. "Du willst dich nicht wieder als Vorsitzender zur Wahl stellen", hub die Chefredakteurin der Gewerkschaftszeitung an in ihrem Abschiedsinterview. Und fügte hinzu: "Sicher?" Wie solle es "also weitergehen ohne Frank Bsirske", wollte sie später noch wissen, von Frank Bsirske.

Jeder, der einen Job anfängt, muss ihn irgendwann auch wieder abgeben. Nun ist damit einer dran, der 18 Jahre lang seinen Job besaß. Verdi-Chef Frank Bsirske, das ist eine Wortkopplung wie Schwedische Königin Silvia oder früher mal Bahnchef Mehdorn; Bezeichnung und Name gehören zusammen wie Bein und Fuß, und ein großer Unterschied zwischen Schweden, der Bahn sowie der Gewerkschaft Verdi ist: Es gab dann doch schon mehrere Königinnen in Stockholm wie auch Bahnchefs in Berlin. Es gab aber noch keinen Verdi-Chef außer Bsirske. Als die Organisation im März 2001 aus fünf anderen Gewerkschaften hervorging, war der damals 49-Jährige derjenige, auf den man sich als Chef verständigen konnte. Also mag man in der Tat leicht ungläubig werden, im eigenen Laden: Geht der jetzt wirklich, beim Bundeskongress, der am Sonntag in Leipzig beginnt?

Verdi hat knapp zwei Millionen Mitglieder, nach der IG Metall handelt es sich um die größte Gewerkschaft im Land - und um die mit Abstand komplizierteste. Sie organisiert Beschäftigte bei Versicherungen, Druckereien, Kaufhäusern, Kindergärten, Banken, Altenheimen, Friseurläden, Post, Behörden und so weiter und so fort. Irgendjemand hat ausgerechnet, dass es an die 1000 Berufe sind, für die die Gewerkschaft zuständig ist. Die Kunst für Bsirske und für seinen designierten Nachfolger Frank Werneke war, respektive wird es sein: gleichermaßen die Interessen von Arbeitnehmern zu verkörpern, die bei Lebensgefühl und -realität wenig gemein haben.

Für geschätzt 1000 Berufe ist die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft zuständig: Für die bei einem Warnstreik pfeifende Klinik-Mitarbeiterin auf dem Foto ebenso wie für Friseure, Bestatter oder Verkäuferinnen. Gegründet wurde Verdi im Jahr 2001. (Foto: Daniel Bockwoldt/dpa)

Das ist nicht nur mental eine Herausforderung, sondern das verlangt auch ganz unterschiedliche Herangehensweisen: Bei den Kommunen hat Verdi es gut, da gibt's relativ viele Mitglieder, da ist man in Tarifrunden eine Macht. Bei Ersatzkassen, bei der Telekom oder in Druckereien war die Gewerkschaft dies lange, doch dort wird seit Längerem Beschäftigung abgebaut; die Organisation verliert Mitglieder und muss sich mühen, ihren Einfluss zu halten. Und dann gibt es die zahllosen Dienstleistungsberufe, die auch für eine Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft - so der ausgeschriebene Name von Verdi - grundsätzlich schwer zu organisieren sind: Friseurinnen, Verkäuferinnen oder auch Bestatter arbeiten in der Regel in Kleinbetrieben, oft in Teilzeit, mitunter befristet, oft handelt es sich um Frauen. Womit die vier Faktoren genannt sind, die traditionell einem Beitritt zu Gewerkschaften entgegenstehen. Eine Industriegewerkschaft mit ihren größeren Betrieben und überwiegend Männern im Personal hat es da einfacher. Das große Thema, auch des kommenden Verdi-Chefs, bleibt daher: Wie schafft er es, dass seine Gewerkschaft gegenüber Arbeitgebern etwas durchsetzt?

"Wir wollen ausreichend Menschen für uns begeistern", sagt Frank Werneke, 52, dessen Wahl zum Nachfolger Bsirskes für Dienstag angesetzt ist. Seit 17 Jahren ist er dessen Stellvertreter und unter anderem fürs Werben von Mitgliedern zuständig. Werneke sagt, man sei darin sehr viel besser geworden. Im vergangenen Jahr traten 122 000 Menschen neu ein, das sei ein Niveau wie zuletzt in Westdeutschland Anfang der Achtziger. Es reicht halt nur nicht ganz, um die Zahl der Verluste durch Austritte (vor allem von Rentnern) oder Tod auszugleichen, und in manchen Branchen, etwa der Altenpflege, ist ohnehin die Frage: Könnte eine Gewerkschaft im Konfliktfall genügend streikbereite Mitglieder aufbieten, um einem Arbeitgeber etwas abzuringen? Und wie geht man eigentlich all die Arbeitgeber an, die gar nicht erst willens sind, Tarifrunden zu führen? Mit solchen Inhabern hatte es Verdi immer zu tun, deswegen geht es auch zu einem großen Teil auf das Fordern, Bohren und Drängen von Frank Bsirske zurück, dass es inzwischen den gesetzlichen Mindestlohn gibt.

Frank an Frank: Bsirske (li.) und sein designierter Nachfolger Werneke. (Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa)

Für den anderen Frank, also Werneke, steht nun an, dort weiterzubohren, wo Bsirske nicht ans Ziel gekommen ist. In Branchen, "in denen anders keine fairen Arbeitsbedingungen sichergestellt werden können", will er, dass der Staat jene Tarifverträge, die Verdi vielleicht in einem kleinen Teil dieser Branche erkämpft hat, für allgemeinverbindlich erklärt. "Die faktische Vetomöglichkeit der Arbeitgeberverbände gehört abgeschafft", sagt er. Und wenn der Staat sowie Firmen in seinem Besitz Aufträge vergeben, sollten sie dies nur noch tarifgebundene Firmen tun. "Dies wäre ein marktwirtschaftlicher Weg, die Tarifbindung zu erhöhen." Einige Länder und Kommunen machen das schon. Öffentliche Aufträge haben ein Volumen von 400 Milliarden Euro, das sind 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Werneke findet, so etwas wäre ein Hebel.

Er stammt aus Westfalen, wuchs auf in Schloss Holte-Stutenbrock, einer Kleinstadt bei Bielefeld. Dort machte er die Mittlere Reife und begann 1983 eine Ausbildung zum Verpackungsmechaniker, in einer Firma, die immerhin so groß und so männlich geprägt war, dass der Beitritt zur Gewerkschaft - damals die IG Druck und Papier, einer der fünf Vorläufer von Verdi - von den dort bereits Beschäftigten mehr oder weniger erwartet wurde. Das übliche Verfahren bestand darin, dass der neue Azubi zum Betriebsratsvorsitzenden gerufen wurde, der übergab ihm dann feierlich den Beitrittsantrag. Was bei diesem 15-Jährigen nicht nötig war: Der stammte aus einem politisch interessierten Elternhaus, Mutter Prospekthelferin, Vater im Außendienst einer Getränkefirma, der war schon von alleine beigetreten. "Dem Betriebsratsvorsitzenden kam das verdächtig vor", erinnert sich Werneke. "Der hielt mich wahrscheinlich für einen Linksradikalen." Das waren noch Zeiten: als man sich um neue Mitglieder nicht einmal bemühen musste. Es wird nun sicher weitergehen bei Verdi, ohne Bsirske, mit Werneke; aber so wie 1983 höchstwahrscheinlich nicht.

© SZ vom 21.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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