Die Union sucht das Konservative:Bewahren, was sie einst bekämpft haben

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Atomkraft abgeschafft, Wehrpflicht ausgesetzt, und jetzt wackelt auch das Betreuungsgeld: Die Union gibt immer mehr Kernpositionen auf, das verwirrt Wähler und frustriert Konservative. Aber was ist heutzutage noch konservativ? Vielleicht dieses Paradox: das Beharren auf Errungenschaften, die man einst erbittert bekämpft hat.

Joachim Käppner

Gerhard Schröder sprach als Bundeskanzler, wenn er die Union peinigen wollte, gern von "den Konservativen". Konservative waren in dieser Sicht Menschen mit einem Weltbild von gestern, überstrahlt vom Glanz des rot-grünen Reformprojekts. Aber die rot-grüne Bundesregierung war es dann, die Kampfflugzeuge nach Serbien schickte und Soldaten an den Hindukusch. Sie war es, welche die Sozialpolitik in einer Weise verschärfte, wie es Helmut Kohl niemals versucht hatte. Und sie war es, die nach 9/11 eine Politik der inneren Sicherheit nach Gusto des roten Sheriffs Otto Schily entwarf.

Und "die Konservativen"? Unter ihrer Führung beschloss die Regierung den Atomausstieg, den sie stets verteufelt hatte. Sie haben die Wehrpflicht erst als Kind der Demokratie für unentbehrlich erklärt und dann abgeschafft. Sie rücken von der Hauptschule ab, die sie doch bis zum Tag des Jüngsten Gerichts vor linken Bildungsrevoluzzern schützen wollten. In der Debatte um das Betreuungsgeld wankt eine weitere Bastion konservativen Denkens: das Bild der herkömmlichen und als heil betrachteten Familie.

Wenn Linke rechts regieren und Rechte links, bedeutet das, dass sich Parteien und Positionen immer ähnlicher werden. Viele Wähler reagieren verwirrt und verdrossen. Der atemberaubende rasche Wandel der Welt erzwingt aber Realpolitik, auch wenn sie das Gegenteil von dem bedeutet, was die Parteien als ultimative Weisheit verkündet haben. Und die Union leidet darunter besonders, denn gerade sie verstand sich doch als Bollwerk von Vernunft und Prinzipientreue.

Bis 1989 stand sie für das transatlantische Bündnis und für Versöhnung in Europa, für Antikommunismus, Wiedervereinigung und ein Milieu zwischen großbürgerlicher Vorstadtvilla und Bauernstube mit Kruzifix. So hat sie die destruktiven, rückwärtsgewandten Züge des deutschen Konservativismus vor 1945 überwunden, dessen Fixierung auf Nationalismus und Obrigkeitsstaat ersetzt durch das Bekenntnis zum demokratischen Rechtsstaat. Sie war berechenbar und zog, wie es Konservative tun, das Bewahren und das Bewährte den Verführungskräften des Utopischen vor; das praktisch Erreichte galt ihr mehr als das theoretisch Erreichbare.

Die Union verlor dabei aber zweimal, 1969 und 1998, die Macht, weil sie das Ausmaß des gesellschaftlichen Wandels nicht begriff. Heute, da die meisten ihrer großen Themen von einst obsolet geworden sind, ist sie erkennbar bemüht, mit der Zeit zu gehen. Eine Union wie jene, die während der Ära Brandt trotzig die Grenzen von 1937 verlangte und die Entspannungspolitik verdammte, bis diese nur noch von ihr und der KP Albaniens abgelehnt wurde, wird es nicht mehr geben. Aber es gibt auch die Union nicht mehr, die gegen gewaltigen inneren Druck 1982 in der Nachrüstungsdebatte fest zum Westen stand. Der Gedanke ist nicht ohne Reiz, wie die wankelmütige Regierung Merkel damals auf Massendemonstrationen und desaströse Umfragen reagiert hätte.

Die von manchen geforderte Besinnung auf einen konservativen Kern - quasi Kardinal Meisner statt Angela Merkel - ist aber keine Alternative. Wenn die Union nicht mit der Zeit geht, schreitet die Zeit über sie hinweg. In Großstädten, in denen Frauen Arbeit suchen und nicht wie einst das Lob des Pfarrers für die Erfüllung ihrer Mutterpflichten, brauchen CDU-Kandidaten mit Kinder, Küche, Kirche gar nicht mehr anzutreten. Wenn die Union jedoch, vom Wirklichkeitssinn getrieben, so weit in jene Mitte rückt, in der Wahlen gewonnen werden, könnte rechts von ihr erstmals Platz für eine Protestpartei frei werden.

Die Last der NS-Vergangenheit und die Breite der Volkspartei CDU/CSU haben dies bisher verhindert, anders als im Fall der SPD, der Grüne und Linke Fleisch vom Fleische nahmen. Aber die Integrationskraft der Union lässt nach. Der einst machtvolle rechte Parteiflügel ist von traurigen Gestalten bevölkert, weit und breit kein Strauß und nicht einmal ein Koch. In halb Europa gibt es längst rechte Protestparteien. Das Potential dafür ist auch in Deutschland da, befeuert von Überfremdungsangst und einem Anti-Islamismus, der sich für die Verkörperung abendländisch-konservativer Werte hält, die er doch mit Füßen tritt. Eine konservative Partei, eine christliche zumal, hat hier nichts zu gewinnen. Wo immer Unionisten sich an Proteste gegen Moscheebauten anhängten, sah die Partei alt und hässlich aus. Aber was ist dann noch konservativ?

Vielleicht ist es konservativ, bewahrend im besten Sinn, jene Werte zu verteidigen, die wir zu naiv für selbstverständlich halten. Europa zum Beispiel, das noch immer eine Verheißung sein könnte. Oder die soziale Marktwirtschaft, die zu verblassen droht angesichts der Macht ungezügelter Finanzmärkte. Die Menschenwürde, herausgefordert durch neue technische Möglichkeiten. Die parlamentarische Demokratie, vom Verlust an Wertschätzung bedroht, während Netz-Propheten einen fragwürdigen Freiheitsbegriff predigen. Ein moderner Wertkonservatismus lebt mit einem Paradox: Er muss auf Errungenschaften beharren, die gegen erbitterten Widerstand von Konservativen erkämpft wurden.

© SZ vom 17.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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