Die Schlupflöcher der Taliban in Pakistan:Gottes vermessene Kinder

Lesezeit: 8 min

"Keiner hier traut sich mehr, ein Wort zu sagen": In den abgeschotteten Paschtunen-Gebieten rüsten sich die Islamisten für den Krieg in Afghanistan - und längst haben sie nicht mehr nur Kabul im Blick.

Peter Münch, Quetta

Wie die Zentrale einer künftigen Weltmacht sieht sie wirklich nicht aus, die Shaldara-Madrassa von Quetta. Ein schäbiger Eingang führt zu einer schäbigen Halle, in den Ecken türmt sich der Schutt, und in der Luft hängt der Geruch von moderndem Müll.

Doch Noor Mohammed, der den Ehrentitel eines Maulana, eines Religionsgelehrten, trägt und nun in seinem Empfangsraum auf dem Boden sitzt und doziert, ist ein Mann, der keinen Zweifel kennt. Der Krieg hat begonnen, und der Sieg ist gewiss. ,,Es wird die Zeit kommen'', so spricht er, ,,in der nicht einmal die Steine dem Westen Asyl gewähren.''

Schmächtig wirkt er, fast zerbrechlich, wie er da so kauert vor dem kleinen Pult mit den heiligen Schriften, schneeweiß gekleidet vom Turban bis zur Pluderhose, schneeweiß ist auch der Bart. Die Jahre haben ihm zu alledem noch deutliche Spuren ins Gebiss gegraben, doch seine Sätze schleudert er wie Pfeile in den Raum. ,,Als die Amerikaner Afghanistan überfallen haben, haben sie die gesamte muslimische Welt angegriffen'', zetert er. ,,Deshalb ist jeder Muslim aufgerufen, gegen Amerika zu kämpfen. Und dies wird der letzte Krieg sein. Denn dieses Mal werden die Taliban den gesamten Westen schlagen.''

Mit Koran und Kalaschnikow

Die Drohung wirkt bizarr, doch der Maulana weiß zumindest, wovon er spricht. Vor 35 Jahren schon hat er diese Koranschule gegründet, und Tausende Heranwachsende mit Kindergesichtern und Männerbärten haben seine Worte verinnerlicht vom Dschihad, dem Heiligen Krieg, von Verderbnis und Triumph.

Viele sind von hier aus in den Kampf gegen die Ungläubigen gezogen, und auch Mullah Dadullah, der vor Wochenfrist in Südafghanistan getötete Taliban-Führer, war ein Schüler des Maulana Noor Mohammed. Die Shaldara-Madrassa gilt als Brutstätte neuer Taliban-Kohorten für den Krieg im benachbarten Afghanistan, und der afghanische Präsident Hamid Karsai hat genau hier das Hauptquartier der untergetauchten Taliban-Spitze inklusive des geheimnisvollen Führers Mullah Omar ausgemacht.

Ausländische Besucher werden in der Shaldara-Madrassa von grimmigen Männern mit schwarzen Turbanen sofort der Spionage für Amerika verdächtigt, und man könnte meinen, dass der Maulana Noor Mohammed in ständiger Gefahr lebt, verhaftet zu werden. Doch dieser greise Koranlehrer und Kriegstreiber braucht keine Verfolgung zu fürchten. Im Gegenteil: Als ehrwürdiger Abgeordneter sitzt er sogar im Nationalparlament von Islamabad.

So ist das in Pakistan, dem ,,Land der Reinen'', das in Wirklichkeit ein Land mit zwei Gesichtern ist: Offiziell steht der vom Präsidentengeneral Pervez Musharraf regierte Staat fest an der Seite der USA im Krieg gegen den Terror. Milliarden US-Dollar hat die Armee schon eingestrichen für den Kampf gegen die fundamentalistische Gefahr.

Zugleich jedoch wird von hier aus der Krieg in Afghanistan befeuert. Mehr als zehntausend Madrassas sind im Land entstanden, in denen die Kinder der Ärmsten mit dem Koran in der Hand aufgezogen werden - in manchen auch mit dem Koran und der Kalaschnikow. Der Staat schaut weg und lässt die Extremisten gewähren. Sie haben einen Parallelstaat errichtet in Pakistan, ein finsteres Talibanistan, und die Hauptstadt von Talibanistan heißt Quetta.

1700 Meter hoch ist die Stadt gelegen, umrahmt von zackig-braunen Gipfeln. Keine hundert Kilometer sind es von hier bis zur afghanischen Grenze, die Ausfallstraße nach Westen führt geradewegs nach Kandahar. Unter den 1,5 Millionen Einwohnern sind Hunderttausende afghanische Flüchtlinge, zumeist Paschtunen, die auf beiden Seiten der Grenze siedeln. Und im Stadtteil Paschtunabad haben sie die Zeit zum Stillstand gebracht. Es sieht aus wie im Afghanistan der späten neunziger Jahre.

Die Frauen, wenn sie überhaupt zu sehen sind auf der Straße, tragen Burka, und die Barbiere haben wenig Arbeit, denn die Bärte der Männer sind lang. Viele haben den schwarzen Turban um den Kopf geschlungen, wie er typisch ist für die Taliban. Doch wer hier Kämpfer ist und wer nicht in ,,Little Kandahar'', kann keiner unterscheiden. Es ist der ideale Rückzugsort zur Planung von Angriffen gegen die Nato-Truppen jenseits der Grenze. Die Taliban bewegen sich hier wie die Fische im Wasser.

In Quetta kann es passieren, dass man beim Abendessen mit einer Gruppe hochmögender Kleriker zusammensitzt, die alle den ,,Befreiungskampf'' der afghanischen Brüder gegen die westlichen Besatzer lobpreisen - aber natürlich selbst keinerlei Verbindungen haben wollen.

Der freundliche Tischnachbar links allerdings, so wird später erklärt, ist in Wirklichkeit ein früherer Minister der Taliban-Regierung und der etwas grimmige Kerl gegenüber ein Taliban-Feldkommandeur. Oder man kann in Quetta das Khidmal-Hospital in der Saryab Road besuchen, in dem die Schilder auf Urdu, Paschtu und Arabisch beschriftet sind. Afghanische Flüchtlinge, so heißt es offiziell, würden hier behandelt. Doch jeder in der Stadt weiß, dass in dieser Klinik auch die verletzten Taliban-Kämpfer medizinische Hilfe bekommen.

Dies ist die Welt des Maulana Noor Mohammed, die Welt, in der er seine Schüler für den Dschihad formt und auf den Sieg gegen den Westen einschwört. Er sitzt auf dem Boden und predigt ihnen die Gefolgschaft zu Mullah Omar, ,,dem Führer aller Muslime''. Und er fordert sie auf im Namen des Glaubens, ,,wenn es nötig ist, auch das Leben zu geben''.

Draußen im Vorraum humpelt ein Einbeiniger vorbei, gestützt auf zwei hölzerne Krücken, und der Maulana hebt die Hand, um seine Botschaft zu unterstreichen: Der Selbstmord, sagt er, sei zwar im Islam verboten. Selbstmordattentate jedoch seien dann gerechtfertigt, ,,wenn sie dem Islam nutzen und die Ungläubigen vertreiben''. Ein paar Schüler, die sich um ihn herum versammelt haben, lauschen andächtig diesen Worten, und zu ihnen hinüberblickend sagt er dann: ,,Sie haben die Erlaubnis, das zu tun.''

Jeden Tag und jede Nacht wechseln Taliban-Kämpfer in dieser Gegend von einer Seite der Grenze auf die andere. Doch nicht nur in Quetta und Umgebung haben sie ihre Schlupflöcher. Die Grenze zwischen Pakistan und Afghanistan ist 2500 Kilometer lang - und sie ist kaum zu kontrollieren von der pakistanischen Armee, auch wenn auf Druck der USA mittlerweile 80000 Soldaten dorthin beordert wurden.

Doch die Staatsmacht hat noch nie viel gegolten in den Tribal Areas, den paschtunischen Stammesgebieten entlang der Grenze, die für ausländische Besucher gesperrt sind. Hier führen die Menschen immer schon ein Leben nach eigenen Gesetzen, hier gilt der Paschtunwali, der Ehrenkodex der Paschtunen - und hier ist das Herzland Talibanistans. ,,Mehrere Millionen Menschen werden dort schon von den Taliban beherrscht'', sagt ein Menschenrechtsaktivist, der in den Stammesgebieten mit der in Pakistan gut vernetzten Heinrich-Böll-Stiftung zusammenarbeitet. Seinen Namen will er nicht nennen, sein Leben ist täglich in Gefahr.

Ganz geheime Dienste

Die Taliban, so berichtet er, kämen schwerbewaffnet in die Dörfer und Städte und erklärten über Lautsprecher, dass die Menschen nun nach ihren Regeln zu leben hätten. Wer sich dagegen auflehne, werde getötet. 150 Maliks, Stammesälteste, seien unter dem Vorwurf der Spionage für die Amerikaner schon ermordet worden. ,,Keiner traut sich mehr, ein Wort gegen die Taliban zu sagen'', berichtet er. Bewaffnete Gruppen würden auch in die Schulen gehen und dort Kinder abholen, um sie zu Kämpfern auszubilden. 10000 bis 15000 Männer hätten die Taliban in diesen Gebieten unter Waffen.

Von der Regierung ist kaum Hilfe zu erwarten. Denn in der pakistanischen Nord-West-Grenzprovinz mit der Hauptstadt Peschawar regiert seit den Wahlen von 2002 unter dem Kürzel MMA eine Allianz islamistischer Parteien, die sich zum Teil ganz offen zu den Taliban bekennen.

Die Provinzregierung hat die Scharia eingeführt, das islamische Recht, sie hat Werbetafeln mit Frauenbildern aus der Stadt verbannt - und lange Zeit hat sie auch mit General Musharraf paktiert, weshalb die MMA im Volksmund als ,,Mullah-Militär-Allianz'' verspottet wird. Für Ahmed Rashid, einen international profilierten pakistanischen Publizisten und Taliban-Experten, ist dies nur einer von vielen Beweisen dafür, dass bis heute die Armee und der Geheimdienst ISI von Pakistan aus die Taliban unterstützen.

Die Verbindung vom Geheimdienst zu den frommen Kriegern hat eine lange Geschichte, die zurückgeht auf die Zeit der sowjetischen Invasion in Afghanistan von 1979. Mit Geldern der CIA rüstete der ISI damals die Mudschaheddin aus, und auch die Taliban wurden in den neunziger Jahren vom Geheimdienst geformt und ausgerüstet, um den Bürgerkrieg in Afghanistan zu beenden und eine pakistanfreundliche Regierung in Kabul zu bilden.

Doch nun droht das Militär in die Rolle des Zauberlehrlings zu geraten. ,,Sie haben immer geglaubt, sie könnten die Taliban an- und ausschalten'', sagt Rashid, ,,doch das geht jetzt nicht mehr.'' Die Taliban und mit ihnen al-Qaida hätten Wurzeln geschlagen in den Stammesgebieten. Ganz bewusst hätten sie sich dort eingenistet, denn auch nach der Vertreibung aus Afghanistan hätten sie die Idee einer territorialen Kontrolle nicht aufgegeben. ,,Pakistan ist heute das Zentrum des globalen Terrorismus'', sagt Ahmed Rashid. Und die Taliban hätten nicht mehr nur Kabul im Blick, sondern auch Islamabad, die Hauptstadt einer Atommacht.

Eine Vorhut immerhin hat es schon geschafft bis ins Regierungsviertel. Vor der Lal Masjid, der Roten Moschee von Islamabad, flattern ein paar Transparente, auf denen steht: ,,Wir bringen das islamische System nach Pakistan'', oder auch ,,Der Dschihad ist unsere heilige Pflicht. Wer das Terrorismus nennt, ist unser Feind.'' Von hier aus ist es nur ein Steinwurf bis zum Parlament, zum Präsidentenpalast, zur Geheimdienstzentrale. Die jungen Burschen, die oben auf den Wachtürmen der Moschee sitzen mit langen Stöcken und nachts auch manchmal mit Gewehren, haben all die prächtigen Gebäude der Staatsmacht im Blick. Doch zu fürchten haben auch sie offenbar nichts. Der Staat lässt sie gewähren.

Einmal, das war nach dem Terroranschlag in der Londoner U-Bahn vom 7.Juli2005, ist die Polizei vorbeigekommen, nachdem der britische Premier Tony Blair von Spuren nach Pakistan gesprochen hatte, die auch in die Rote Moschee führten. Danach jedoch war wieder jihad as usual, und Maulana Abdur Rashid Ghazi, der hier lebt und lehrt und herrscht, lehnt sich lächelnd zurück in seinem Stuhl und sagt: ,,Wenn die Polizei jetzt hier reinwill, dann gibt es einen Aufstand. Dann kommen die Taliban aus den Stammesgebieten.''

Die Geisel aus dem Bordell

Abdur Rashid Ghazi stammt aus dem Süden, aus Belutschistan, aus der Nähe von Quetta. Doch schon sein Vater hat hier in Islamabad neben der Roten Moschee eine Madrassa aufgebaut. Zum Freitagsgebet kamen die Mitarbeiter des Geheimdienstes herübergeschlendert.

Ende der neunziger Jahre dann wurde der Vater auf dem Gelände von Unbekannten ermordet, seitdem werden Moschee und Madrassa von Abdur Rashid Ghazi und seinem älteren Bruder geleitet. 6000 Mädchen werden hier unterrichtet und ein paar Straßenblocks weiter noch einmal 4000 Jungen. Und die beiden Gelehrten haben nun den Kurs der Konfrontation gewählt.

,,Was sollen wir tun?'', fragt Abdur Rashid Ghazi mit Unschuldsblick. ,,Das System in unserem Land funktioniert nicht, also muss es zerstört werden.'' Harte Worte sind das, doch er sagt sie mit einem freundlichen Lächeln, und zur Erklärung wählt er ein Beispiel, das nun wirklich jeden überzeugen müsste - so glaubt er zumindest. ,,Stell dir vor, du hast ein Haus und vor dem Haus einen Mülleimer, der überquillt, weil die Abfuhr nicht kommt'', sagt er. ,,Dann stinkt es zum Himmel, und irgendwann kümmerst du dich dann selber um den Müll.''

Genau so also hat er es gemacht, und eines Tages sind die Schülerinnen seiner Jamia-Hafsa-Madrassa ausgeschwärmt in die Stadt. Wie immer waren sie ganz in schwarze Burkas gehüllt. Auf dem Markt haben sie die Läden verwüstet, in denen Musik-CDs und DVDs verkauft werden, und als sie zurückkamen zur Moschee, hatten sie noch die Betreiberin eines Bordells als Geisel dabei. Dies war der Auftakt zu einer Auseinandersetzung, die dazu geführt hat, dass der Maulana Abdur Rashid Ghazi nun vom Staat ultimativ die Einführung der Scharia fordert und mit Selbstmordanschlägen im Regierungsviertel droht.

Als Steinzeit-Mullah möchte er dabei keinesfalls gelten - er zeigt den Computer, sein Handy, ein Funkgerät. Aber er lässt auch keinen Zweifel daran aufkommen, wohin Pakistans Weg führen muss. Wenn der Staat sich gegen einen friedlichen Wandel stelle, dann werde eine ,,Taliban-ähnliche Revolution'' ausbrechen, sagt er. Und wie das Land dann aussehen soll, das hat er in einer seiner Freitagspredigten verraten.

Jeden Freitag ist die Lal Masjid gefüllt bis auf den letzten Platz. Draußen verkaufen die Händler den frommen Tand - Gebetsketten, Mützen, die schwarzen Turbantücher. Und drinnen kauern die Gläubigen Mann an Mann bei der Ansprache des Maulana Abdur Rashid Ghazi. Sie hören, wie er sie zur Verbrennung von TV-Geräten auffordert. Und sie lauschen, wenn er die ,,sündigen Frauen'' geißelt. Wer keinen Schleier trägt, so heißt es in der Predigt, der läuft Gefahr, ,,Säure ins unverhüllte Gesicht geschüttet zu bekommen''.

© SZ vom 21.5.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: