Die Pendlerpauschale und ihre Folgen:Auf Kosten der Umwelt

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Die Pendlerpauschale gehört auf Dauer abgeschafft. Denn sie setzt in Zeiten eines drohenden Klimakollapses völlig falsche Anreize.

Claus Hulverscheidt

Es gibt neben dem Wunder von Bern wohl kein Erlebnis, das den Wiederaufstieg Deutschlands aus den Trümmern der Nazi-Herrschaft so sehr symbolisiert wie der Siegeszug des Autos quer durch alle Bevölkerungsschichten. Der Kauf eines VW-Käfers gab den Bürgern das Gefühl, dass ein geächtetes Volk zumindest wirtschaftlich wieder Anschluss an die zivilisierte Welt gefunden hatte. Vielleicht ist nur so das beinahe libidinöse Verhältnis der (männlichen) Deutschen zum Kraftfahrzeug zu erklären, das bis heute an jedem Samstag in den Hauseinfahrten und den Wasch-Center der großen Tankstellen zu bewundern ist.

Falsche Anreize im Zeichen des drohenden Klimakollaps: Der Staat muss sich andere Instrumente zur Erfüllung des Nettoprinzips überlegen. (Foto: Foto: ddp)

Die Liebe zum Pkw geht so weit, dass sie sogar die zugehörige Steuersubvention einschließt. Wenn in Deutschland die Kontodaten von Millionen Bankkunden an Kriminelle verhökert werden, wenn sich im Osten der Republik Rechtsextremisten zu Herren ganzer Landstriche aufschwingen, wenn der Innenminister zur Terrorabwehr die Bürgerrechte einschränkt, dauert die öffentliche Aufregung nur wenige Tage. Wird aber die Pendlerpauschale abgeschafft, steht die Republik am Rande der Staatskrise.

Alle, die den Anspruch auf Kilometergeld für eine Art Grundrecht halten, werden sich durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von diesem Dienstag bestätigt sehen. Das zeigt etwa das Triumphgeheul der CSU, die tatsächlich immer noch zu glauben scheint, sie habe die Landtagswahl verloren, weil die CDU sie im Kampf um die Rückkehr zur alten Pendlerpauschale im Regen stehen ließ.

Was im Jubel unterging, waren wie so oft die Argumente der Richter. Sie urteilten nämlich gerade nicht, dass der Gesetzgeber die alte Regelung wieder einführen muss. Sie urteilten auch nicht, dass die steuerliche Absetzbarkeit von Fahrtkosten sakrosankt wäre.

Sie urteilten lediglich, dass die Politik gute Gründe haben muss, wenn sie an einer Grundregel des deutschen Steuerrechts herumdoktern will, dem so genannten Nettoprinzip. Bessere Gründe jedenfalls als den schlichten Wunsch nach höheren Staatseinnahmen, den Finanzminister Peer Steinbrück in Karlsruhe vortrug.

Das Nettoprinzip besagt, dass der Fiskus vor der Besteuerung eines Einkommens die Aufwendungen abziehen muss, ohne die der Bürger eben jenes Einkommen nicht hätte erzielen können. In welchem Umfang dazu auch die Fahrtkosten zählen, ist aber weiter offen, denn die Karlsruher Richter teilen ausdrücklich Steinbrücks Haltung, dass es sich bei diesen Kosten um "gemischt veranlasste", also beruflich wie privat bedingte Aufwendungen handelt. Damit bleibt der Politik ein großer Handlungsspielraum.

Jeder Mensch in Deutschland hat das Recht, selbst zu entscheiden, wo er wohnen möchte. Der eine zieht in die Stadt, weil dort das kulturelle Angebot größer ist oder die Schulen besser sind. Der andere zieht aufs Land, weil er die Natur liebt und die Verwandten dort wohnen. Das Gros der Beweggründe ist in jedem Fall privater Natur.

Warum nun soll der Staat den Landbewohner, der zur Arbeit in die Stadt fährt, steuerlich subventionieren, seinen Arbeitskollegen aber nicht? Müsste dann nicht auch der Stadtbewohner seine höheren Mietkosten von der Steuer absetzen können, die er auf sich nimmt, um sich die Dauerpendelei zu ersparen? Und was ist mit dem Arbeitnehmer, der mit Anzug und Krawatte im Büro erscheinen muss? Auch er blitzt beim Finanzamt ab, selbst wenn er nachweist, dass er in seiner Freizeit nur Jogginganzüge trägt.

Die Pendlerpauschale ist aber nicht nur unlogisch, sie setzt in einer Zeit, da der Verkehrs- und der Klimakollaps immer näherrücken, auch die falschen Anreize. Und gerade hier hat das Verfassungsgericht der Politik eine Tür geöffnet: Es verweist darauf, dass Abweichungen vom Nettoprinzip möglich sind, wenn damit "Förderungs- und Lenkungsziele" verbunden sind - zum Nutzen von Klima, Umwelt und Natur zum Beispiel.

Statt also die Pendlerpauschale in Ewigkeit bestehen zu lassen und darüber hinaus eine Mietkosten- und eine Krawattenpauschale einzuführen, sollte der Staat alle beruflich und gemischt veranlassten Aufwendungen zu einer einzigen Pauschale zusammenfassen. Er könnte zum Beispiel den Arbeitnehmerpauschbetrag von derzeit 920 auf etwa 2000 Euro pro Jahr erhöhen. Dann wären drei Ziele auf einmal erreicht: Der falsche Anreiz wäre beseitigt, das Steuerrecht würde vereinfacht, und das Prinzip 'Wer arbeitet, muss mehr haben als der, der nicht arbeitet', würde gestärkt.

Vorerst hat eine solche Reform keine Chance, denn das Karlsruher Urteil kommt selbst dem Prozessverlierer Steinbrück zupass. Er führt die alte Pendlerpauschale bis auf weiteres wieder ein, verzichtet großherzig auf jährliche Einnahmen von 2,5 Milliarden Euro - und wird beim nächsten Treffen der Koalitionsspitzen argumentieren, dass er seinen Beitrag für ein zweites Konjunkturpaket der Regierung damit geleistet habe.

Zumindest die CDU aber wird nach der Bundestagswahl im nächsten Jahr unter Zugzwang geraten. Meint sie ihr steuerpolitisches Motto "einfach, niedrig, gerecht" ernst, wird sie die Strukturen des Steuersystems ändern müssen. Und dann auch an einer grundlegenden Änderung der Pendlerpauschale nicht vorbeikommen.

© SZ vom 10.12.2008/hai - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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