Die Grünen und der Zensus:Rasante Entwicklung

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Der Bundestag hat den Weg zur ersten Volkszählung nach der Wiedervereinigung frei gemacht. Wie sehr sich die Welt der Grünen verändert hat, lässt sich auch an diesem Thema beobachten.

Roland Preuß

Die Volkszählung 2011 kommt. Der Bundestag verabschiedete am Freitag gegen die Stimmen der Opposition das Zensusanordnungsgesetz. Die Erhebung erfolgt europaweit. Anders als bei früheren Volkszählungen wird es diesmal keine Befragung aller Bundesbürger geben. Nach einer Auswertung von Melde- und anderen Verwaltungsregistern werden zehn Prozent der Haushalte in eine ergänzende Stichprobe einbezogen.

Nach 1987 wird im Jahr wieder 2011 wieder das Volk gezählt. (Foto: Foto: AP)

Wie sehr sich die Welt der Grünen verändert hat, lässt sich auch an diesem Thema beobachten. Im Jahr 1987 war der bundesweite Zensus für die junge Partei noch ein Reizthema, viele Grüne beteiligten sich an der Kampagne für einen Boykott der Zählung. Dieses Mal warben die Grünen sogar dafür, mehr Themen in den Fragebogen aufzunehmen. Die Umsetzung von EU-Vorgaben dürfe "nicht dazu führen, dass wichtige Informationen, die wir national für erforderlich halten, nicht erhoben werden", forderte die grüne Innenexpertin Silke Stokar kürzlich im Bundestag und verlangte, auch nach einem Migrationshintergrund und der Religion der Bürger zu fragen. Ein paar Kritikpunkte beim Datenschutz haben die Grünen dann aber doch gefunden und wollen dem Gesetz deshalb jetzt deshalb nicht zustimmen.

Entscheidender Maßstab für Stokar ist, dass sich der für 2011 anstehende Zensus an das Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1983 hält. Damals hatte Karlsruhe quasi ein neues Grundrecht geschaffen, das informationelle Selbstbestimmung und damit Änderungen an der damals geplanten Volkszählung erzwang. Die Änderungen brachten viele Grüne freilich trotzdem nicht davon ab, die Befragung zu boykottieren ("Nur Schafe lassen sich zählen"). Davon ist heute keine Rede. "Ich werde das nicht ausrufen", scherzt Stokar.

Dabei sind die Fragen dieses Mal weitgehend die gleichen wie vor 22 Jahren. Nach Beruf, Schul- und Ausbildungsabschluss wird ebenso verlangt wie danach, welche Staatsangehörigkeiten jemand hat oder ob er verheiratet oder Single ist. Verzichtet hat man immerhin auf die heikle Frage, ob jemand hauptsächlich von staatlicher Unterstützung oder von Vermögenseinkommen lebt, ob jemand weitere Wohnungen in Deutschland hat oder mit welchem Verkehrsmittel er wie viele Minuten zur Arbeit pendelt. Hinzugekommen sind hingegen die Fragen, ob jemand in einer Homo-Ehe ohne Ehering zusammenlebt und welchen Migrationshintergrund er hat, sprich, ob er oder seine Eltern aus Afghanistan, der Türkei oder Russland zugewandert sind.

Wie sehr auch Union und SPD das Volkszählungsurteil noch in den Knochen steckt, zeigen ihre Vorsichtsmaßnahmen. Der Fragenkatalog geht weitgehend auf eine Richtlinie der EU zurück, denn der Zensus soll in allen EU-Staaten stattfinden. Als eine Expertenkommission vorschlug, noch zehn weitere Themen abzufragen, lehnte die Koalition ab. Erst zuletzt wurden noch die Fragen nach Erfassung von Religion und Migrationsgeschichte aufgenommen. "Wir achten sehr auf die Grenzen des Urteils von 1987", sagt der SPD-Berichterstatter Maik Reichel. Zudem sollen diesmal nicht alle Bürger befragt werden, sondern nur eine Stichprobe von etwa zehn Prozent, die Daten kommen weitgehend von vorhandenen Verzeichnissen wie den Melderegistern. Hinzu kommen allerdings noch etwa 17,5 Millionen Immobilieneigentümer, die per Brief beispielsweise danach gefragt werden, wer das Gebäude besitzt, wie es genutzt wird und welche Heizung es hat.

Trotz der Beschränkungen ist nach Ansicht von Stokar und dem Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar noch Explosivstoff im Zensus 2011 verborgen: Es sollen auch persönliche Daten aus Gefängnissen, Nervenheilanstalten und anderen ähnlichen Gemeinschaftseinrichtungen gesammelt werden. Sollten sie in die falschen Hände geraten, könnte dieser jemand etwa feststellen, wer mit Depressionen oder Psychosen in der Klinik war, also sehr Persönliches erfahren. "Es geht nicht anders, wir müssen das einmal aufschreiben, um eine doppelte Erfassung dieser Menschen zu vermeiden", sagt Reichel. Die Daten würden dann zügig anonymisiert. Für die Grünen ist das Vorgehen dagegen verfassungswidrig, der einzige Punkt im Zensus, der gegen das Volkszählungsurteil verstößt.

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