Die Deutschen und Obama:Trügerische Sehnsucht

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In Deutschland setzen viele große Hoffnungen auf einen möglichen US-Präsidenten Obama. Doch ein Blick in die Geschichte zeigt, dass dahinter kaum mehr steht als Polit-Romantik.

Marcia Pally

Deutschland hofft auf Barack Obama. Von ihm wird erwartet, er werde die außenpolitische Tradition großer demokratischer US-Präsidenten wie Woodrow Wilson, Franklin D. Roosevelt, Harry Truman und John F. Kennedy fortsetzen.

In Deutschland halten viele Barack Obama für den neuen John F. Kennedy. Doch was heißt das eigentlich? (Foto: Foto: AFP)

Zwar billigen Deutschland und ein Großteil Europas den USA zu, gemäß ihrer Position als Weltmacht zu handeln, doch viele hoffen, Amerika werde unter Obama wieder ein offeneres Ohr für seine europäischen Verbündeten haben und eine Außenpolitik wie die von ihnen bewunderten amerikanischen Staatsmänner der Demokraten betreiben.

Tatsächlich könnte Obama als nächster US-Präsident in ihre Fußstapfen treten. Doch wie großartig war ihre Außenpolitik wirklich? War die Außenpolitik unter republikanischen Präsidenten stets schlechter als unter demokratischen? Wie die Geschichtsschreibung belegt, gab es gar keine so grundlegenden Unterschiede. Die Politik war bedingt durch Amerikas langfristige Interessen.

Zahlreiche Interventionen in Lateinamerika

Lassen wir die Geschichte für sich sprechen: Zweifelsohne manipulierte einst der Republikaner William McKinley - wie später Bush beim Irak - den Nachweis für Spaniens Besitz von Massenvernichtungswaffen (eine Bombe nach dem Stand der Technik von 1898). Dies legitimierte ihn, dem Land den Krieg zu erklären und einer drittklassigen Macht die letzten Kolonien wegzunehmen.

Der demokratische Präsident Woodrow Wilson intervenierte seinerseits in neun lateinamerikanischen Ländern sowie in Russland, China und in Ungarn unter der kommunistischen Regierung von Béla Kuhn mit der Begründung: "Der Handel kennt keine nationalen Grenzen. Die gesamte Welt soll laut unseren Produzenten als Markt für ihre Produkte dienen.

Die Flagge ihrer Nation muss ihnen dabei folgen. Und die Türen, die verschlossen sind, müssen eingetreten werden...selbst wenn dies einen Anschlag auf die Souveränität ablehnender Staaten bedeutet." Ganz schön kühn für einen Mann, der für den Völkerbund eintrat - kühner noch als Präsident George W. Bush.

Zwischen 1898 und 1934 kam es in Lateinamerika zu 32 Interventionen des US-Militärs unter beiden Parteien, auch unter dem als beinahe unantastbar geltenden demokratischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt. Er unterstützte 1933 den kubanischen Diktator Fulgencio Batista und weigerte sich 1936, den spanischen Antifaschisten Waffen zu liefern.

Als Mexiko versuchte, Regeln für den Handel mit amerikanischen Unternehmen aufzustellen, hielt Roosevelt US-Kredite zurück und intervenierte auf den Silber-Weltmärkten, um die Absatzchancen Mexikos zu torpedieren. Auch die Bemühungen amerikanischer Ölgesellschaften, Mexiko am Ölexport zu hindern, unterstützte er.

"Unser ökonomisches München"

Selbst in Kriegszeiten machte Roosevelts Realpolitik keine Ausnahmen. Kriegskredite an England knüpfte er an die Bedingung, die US-Wirtschaft müsse Zugang zu Großbritanniens wirtschaftlicher Lebensader - dem "Sterlingblock" des Commonwealth - erhalten. Als Gegenleistung für die Lieferung von Kriegsmaterial unter dem Leih- und Pachtgesetz forderte Roosevelt von England den Verkauf von Exportvorräten und Vermögenswerten zu Schleuderpreisen.

Roosevelt brach Versprechen, die er in Bretton Woods gegeben hatte, stellte seine Unterstützung bei Kriegsende prompt ein und zwang Großbritannien einen Kredit auf, den der britische Abgeordnete Robert Boothby als "unser ökonomisches München" bezeichnete.

In der Nachkriegszeit war die amerikanische Außenpolitik in Europa unter beiden Parteien zugleich visionär und manipulativ. Amerika brauchte 1947 zweierlei: einen Puffer gegen die Sowjetunion und Abnehmer für die Waren der eigenen produktiven Wirtschaft.

Beides war durch eine kapitalistische Ökonomie in Europa zu erreichen. Dazu gehörte auch Deutschland. Der Marshall-Plan wurde aus der Taufe gehoben und Truman (Demokrat) verfolgte die (legalen) kommunistischen, manchmal auch sozialistischen Parteien in Westeuropa. Amerikanische Gewerkschafter und europäische Banden wurden eingeschleust, um diese Parteien zu zerbrechen.

Truman drohte damit, Nahrungsmittelhilfslieferungen einzustellen. 1947 forderte er die Regierungen in Frankreich und Italien offen auf, kommunistische Minister zu entlassen. Es wurden geheime "Armeen" der Operation "Gladio" ausgerüstet, um die Kommunisten, manchmal auch Sozialisten, mittels verdeckter Einsätze zu sabotieren.

Handelten Kennedy und Clinton anders als Nixon und Reagan? Mehr auf Seite zwei.

Obama-Rede in Denver
:Bühne frei!

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Europa war 2002 entsetzt über Bushs Erklärung, in der er den Anspruch der weltweiten militärischen Vorherrschaft der USA erhob. Doch es war nicht die erste Erklärung dieser Art eines amerikanischen Präsidenten. Dieses Privileg kann Truman durch das Memorandum Nr. 68 des Nationalen Sicherheitsrates (auch bekannt als NSC 68) von 1950 für sich beanspruchen.

Auch der demokratische US-Präsident John F. Kennedy hat während der Kubakrise den Geheimdienst manipuliert. (Foto: Foto: AP)

Die Verantwortung für den Sturz des (demokratisch gewählten) iranischen Premierministers Mohammad Mossadegh teilen sich Truman und Eisenhower (Republikaner). Mossadeghs Vertreibung aus dem Amt 1953 schlug Wellen, die bis heute nachwirken.

Kein Ruhmesblatt

Als es zum Konflikt zwischen Mossadegh und British Petroleum um Öltantiemen kam, unterstützte Truman die BP. Die Briten versuchten, Massadegh zu stürzen, nachdem er das iranische Öl verstaatlichen wollte. Schließlich gelang Eisenhower mit Hilfe der CIA der Coup.

Danach kontrollierten fünf US-Gesellschaften über 40 Prozent der iranischen Ölvorkommen, während in Iran Schah Reza Pahlevi das Zepter übernahm. Während seiner 25-jährigen Herrschaft wurde das Land zwar modernisiert, doch seine repressive Diktatur war ein fruchtbarer Boden für die islamistische Revolution 1979 in Iran.

Dies ist kein Ruhmesblatt in den Parteiannalen der Republikaner oder der Demokraten. Der Sturz von Guatemalas Präsident Jacobo Arbenz (Guzmán) 1954 geht wiederum allein auf das Konto von Eisenhower.

Für seine Landreformpolitik hatte Arbenz sich ausgerechnet den "Homestead Act" Abraham Lincolns aus dem Jahr 1862 zum Vorbild genommen. Immerhin analysierte Eisenhower am Ende seiner Amtszeit den "militärisch-industriellen Komplex" (auf ihn geht dieser Begriff zurück) und prangerte seine fatalen Folgen an.

Unter den Nachkriegshelden der Demokraten ragt besonders John F. Kennedy heraus. Als US-Präsident trug er die Verantwortung für die stümperhaft ausgeführte Schweinebuchtinvasion und hat zur sowjetischen Raketenkrise beigetragen.

Kennedys "Verdienste"

Nachdem er Atomwaffen an die Südgrenze der UdSSR bringen ließ, wunderte er sich, warum die Sowjets Atomraketen in der Nähe der USA aufstellen wollten. Kennedy hat zur Eskalation der Kriege in Vietnam, Laos und Kambodscha beigetragen.

Wie jeder andere US-Präsident zwischen 1950 und 1980 hatte er die Operation "Condor" zu verantworten, die Geheimdienstaktivitäten, politische Morde und konterrevolutionäre Programme in Lateinamerika durchführte, sowie die internationale Polizeiakademie, an der mehr als eine Million Polizisten für Länder der Dritten Welt ausgebildet und mit Verhör- und Foltermethoden bis hin zu Mord vertraut gemacht wurden.

Rückblickend auf den Kalten Krieg betrieben republikanische Präsidenten wie Richard Nixon, Gerald Ford und Ronald Reagan Stellvertreterkriege und verdeckte Militäroperationen in Indochina, Südkorea, El Salvador, sowie gegen Salvador Allende in Chile und gegen die Sandinisten in Nicaragua.

Doch die demokratischen Präsidenten Truman, Kennedy und Johnson taten es ihnen gleich, ob in Indochina oder Südkorea, ob gegen Patrice Lumumba im Kongo, Kwame Nkrumah in Ghana, Juan Bosch in der Dominikanischen Republik, Victor Paz in Bolivien oder gegen Jao Groulet in Brasilien.

Auf das Konto der Demokraten gehen Vietnam und Suhartos Blutbad in Indonesien; Chile geht auf das der Republikaner. Jimmy Carter (Demokrat), heute als erfahrener Staatsmann ein gesuchter Ratgeber für Frieden und Fragen politischer Korrektheit, unterstützte noch 1980 die südkoreanische Diktatur gegenüber Forderungen nach mehr Demokratie. Zu Nixons Verdiensten zählt die Gründung des US-Umweltministeriums und die Aufnahme der Beziehungen zu China.

Reagan im Schatten Kennedys

Für Ronald Reagan empfinde ich Bedauern. Seine Wirtschaftstheorie des "trickle down" (Durchsickern von oben nach unten, von reich nach arm) war albern. Er war so wenig ein Falke wie irgendeiner der Demokraten. Dennoch konnte er Gorbatschow zu nuklearer Abrüstung bewegen. Seine Worte "Mr. Gorbatschow, reißen Sie diese Mauer ein!" klangen großartig. Doch stets stand der arme Kerl damit im Schatten von John F. Kennedy und seinem Ausspruch: "Ich bin ein Berliner."

Die Amtszeit von Bill Clinton (Demokrat) fiel in eine Dekade außergewöhnlichen Wohlstands, die frei war von größeren Bedrohungen. Dennoch wiederholte er 1997 in seiner Quadrennial Defense Review die Erklärung der globalen Militärvorherrschaft Amerikas.

Was den Multilateralismus betrifft, steht in seiner Entscheidungsrichtlinie 39 (von 1995): "Verdächtige können auch dann ausgewiesen werden, wenn die Regierung ihres Herkunftslandes nicht kooperiert." Clinton arbeitete mit Diktatoren in China, Saudi-Arabien, Pakistan und in den Ölscheichtümern zusammen.

Mit den Taliban verhandelte er über den Bau einer Ölpipeline durch das US-Unternehmen Unocal. Unter dem ersten Präsidenten Bush und Clinton waren die USA in 48 Militärkonflikte verwickelt, verglichen mit nur 16 während des Kalten Krieges. 70 Prozent der Waffen, die 2003 über dem Irak abgeworfen wurden, sind unter der Regierung Clintons gebaut worden.

Es besteht Konsens darüber, George W. Bush sei ein Hasardeur. Doch mit seiner Erklärung 2002 von der globalen militärischen Vorherrschaft Amerikas folgte er Truman, seinem Vater und Clinton. Präventivkriege gibt es nicht erst seit George W. Bush.

Bereits 1998 ließ Clinton Osama bin Ladens Lager bombardieren. Andererseits hat Bush die internationale Entwicklungshilfe von sieben Milliarden Dollar unter Clinton auf 19 Milliarden Dollar aufgestockt.

Auf Seite drei: Zentrale Positionen von Obama und McCain im Vergleich

Viele meinen: Unter einer demokratischen Regierung hätte keine Invasion des Irak stattgefunden! Aber auch ohne Druck des 11. September wollte Clinton aus denselben Gründen, die auch Bush bewegten, einen Regimewechsel herbeiführen. Clinton erklärte: "Saddam Hussein darf seine Nachbarstaaten oder die Welt nicht ungestraft mit Atomwaffen, Giftgas oder biologischen Waffen bedrohen."

Unter Clinton wurde die Zahl der Bomberübungsflüge und die US-Militärpräsenz in der Golfregion erhöht. Worauf sollten sie sich wohl vorbereiten? Was Al Gore an Bush kritisierte, war nicht sein Einmarsch im Irak, sondern sein unilaterales Vorgehen. Es war auch nicht Bushs prinzipielle Haltung in Fragen des Multilateralismus. Vielmehr befürchtete Gore, der Krieg gegen den Terrorismus könnte darunter leiden.

Folter, dem Anschein nach einzig von Bush akzeptiert, war bereits unter McKinley zur Unterdrückung der philippinischen Unabhängigkeit angewandt worden. Die Operation "Gladio", das Apartheit-Regime, der Geheimdienst des Schahs, Suhartos Indonesien, die Internationale Polizeiakademie und die immer noch aktive School of the Americas - also die gesamte machtpolitische Menagerie, die von beiden US-Parteien unterstützt worden war, bediente sich der Folter.

Die Manipulation der US-Geheimdienste - eine weitere Sünde von Bush - war ihm mehrmals vorgemacht worden - von McKinley (1898), Wilson (1. Weltkrieg), Kennedy (Schweinebucht), Johnson (Vietnam) und von Reagan (Iran-Contra-Affäre in Nicaragua), um nur einige zu nennen.

Im Guten wie im Schlechten stehen sowohl Obama als auch McCain in dieser parteiübergreifenden Tradition. Die Annäherung beider Kandidaten aneinander veranlasste Tom Friedman dazu, für die New York Times einen Artikel "All Hail 'McBama'" (Alle preisen 'McBama') zu verfassen.

Obama beabsichtigt, die Zahl der Truppen und die Unterstützung für Afghanistan und Pakistan zu erhöhen - McCain ist derselben Meinung. Obama will die Truppen in einem Zeitrahmen von 16 bis 18 Monaten aus dem Irak abziehen - McCain in 24 Monaten.

Kurskorrektur der Kandidaten

Obama erklärte, er werde mit Iran über dessen Atomprogramm verhandeln, doch die atomare Option der USA bleibe auf dem Tisch. Damit ist er nicht weit entfernt von Bush, der diesen Sommer ebenfalls anfing, auf die Diplomatie zu setzen. McCain fordert wie Obama eine multilaterale Politik. "Amerika ist mächtig", sagt McCain, "doch das bedeutet nicht, dass wir tun können, was wir wollen und wann wir es wollen."

Nach Obamas Berlin-Rede fordert auch McCain ein neues Bündnis der Demokratien im Kampf gegen Aids, zur Rettung von Darfur, zur Koordinierung einer Politik von Zuckerbrot und Peitsche gegenüber Iran und zur Abschaffung protektionistischer Handelsbarrieren gegenüber Ländern der Dritten Welt, die dabei sind, sich zu einer Demokratie zu entwickeln.

Während McCain vergangenes Jahr aggressive Töne angeschlagen hat und sich inzwischen moderater gibt, kündigte Obama diesen Sommer kämpferisch an, er sei bereit, in Pakistan notfalls auch unilateral mit Gewalt vorzugehen, um die Taliban und al-Qaida in die Knie zu zwingen.

Vielleicht ist Obamas Kurskorrektur zur Mitte hin ja bloße Wahlkampftaktik, um ihn als durchsetzungsfähigen Oberkommandierenden darzustellen. Vielleicht aber auch nicht. Möglicherweise war seine Haltung vergangenen Winter und sein Versprechen vom Wandel in der Politik der Versuch, sich schärfer von seiner Konkurrentin Hillary Clinton abzuheben.

Oder will er mit seinem Driften hin zur Mitte nur die Stimmen der amerikanischen Mehrheit einfangen? Hier meine Überzeugung: Weil politische Führer auf die Zustimmung der Bevölkerung angewiesen sind, wird ihre Politik vor allem von deren langfristigen Interessen und Zukunftsperspektiven bestimmt.

Denken statt Hoffen

Das ist ein Vorteil der Demokratie. Ein Nachteil ist der langsame Wandel der Kulturen, weshalb sich auch die US-Außenpolitik nur langsam verändern wird. Wer mehr erwartet, wird enttäuscht. Deutschland hat dies bereits durchgemacht, als es um Vietnam, Atomwaffen und den Irak ging. Nun soll Obama die so entstandenen Wunden endlich heilen.

Doch allzu hochfliegende Hoffnungen ziehen oft sehr harte Landungen nach sich. Bei unrealistischen Erwartungen wird Obamas Name eines Tages nicht auf der Liste der größten Helden, sondern auf der Liste der größten Falschspieler landen. Ein Grund dafür könnten romantische Gefühle sein. Notwendig wäre stattdessen: politisches Denken.

Marcia Pally ist Professor für Multilingual Multicultural Studies an der New York University. Ihr jüngstes Buch "Warnung vor dem Freunde: Tradition und Zukunft US-amerikanischer Außenpolitik" erschien im Parthas Verlag.

Deutsch von Eva Christine Koppold

© SZ vom 08.09.2008/gal - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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