Die Bedeutung der Zweitstimme:Erst der Mensch, dann die Partei

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Viele Bundesbürger wissen nicht, was es mit der Erst- und der Zweitstimme auf sich hat.

Joachim Käppner

Münchens SPD-Oberbürgermeister Christian Ude spricht aus, was viele Sozialdemokraten denken: Er wirft den Grünen in seiner Stadt vor, für "vergeudete Stimmen" verantwortlich zu sein. Ausgerechnet in einer der letzten rot-grünen Bastionen der Republik verhält es sich nämlich so: Die Grünen werben massiv auch um die Erststimmen. Schon bei der Wahl 2002 war das genauso.

Die Folge: Die Münchner SPD-Bewerber Stephanie Jung und Christoph Moosbauer verpassten den Einzug in den Bundestag. Sie waren bei den Erststimmen knapp den Konkurrenten von der CSU unterlegen. Taktisch klüger hätten sich Münchens grüne Wähler verhalten, wenn sie die Erststimme diesen Direktkandidaten der verbündeten SPD und nur die Zweitstimme ihrer Partei gegeben hätten.

Dass sie dies nicht taten, ist auch auf Unkenntnis des Wahlsystems zurückzuführen. Nach einer Umfrage des Europressedienstes können 44,7 Prozent der Deutschen nicht erklären, wofür die Erststimme eigentlich gut ist.

Überrascht vom Ausmaß der Ahnungslosigkeit

Der Zweck der Zweitstimme war 41,6 Prozent von 1009 Befragten unbekannt. Vom Ausmaß dieser Ahnungslosigkeit "waren selbst bei uns viele überrascht", sagt Jutta Schuhmacher von den Bonner Marktforschern.

Der Bürger geht also wählen und weiß nicht wie. Er darf zwei Kreuze machen und weiß nicht wofür. Weil das so bestürzend häufig vorkommt, ist auf den Internet-Seiten des Bundestages ein freundlicher kleiner Adler zu sehen, der die Wahl "einfach erklärt, nicht nur den Kindern", wie es wohlweislich heißt.

Die erste Stimme muss die wichtigere sein, denken viele Bürger, sonst würde sie ja nicht so heißen. Entscheidend ist aber die Zweitstimme, die rechts auf dem Wahlzettel abgegeben wird, denn sie ist Ausdruck des in Deutschland dominierenden Verhältniswahlrechts. Die Zahl der (Zweit-)Stimmen, die eine Partei erhält, entspricht der Zahl ihrer Sitze im Parlament. Zu Abgeordneten werden die Bestplatzierten auf den Landeslisten.

Die Erststimme aber gilt den Direktkandidaten aus den 299 Wahlkreisen: Wer dort die meisten Stimmen erhält, ist ebenfalls in das Parlament gewählt - gleichgültig, wie die Wahl nach Zweitstimmen ausgeht. Deshalb saßen im gegenwärtigen Bundestag auch zwei PDS-Abgeordnete, obwohl ihre Partei 2002 an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert war.

Sie hatten ihre Berliner Wahlkreise direkt gewonnen. Wenn eine Partei in den Wahlkreisen eines Bundeslandes via Erststimmen mehr Direktmandate und damit mehr Sitze erhält, als ihr nach dem Verhältnis der Zweitstimmen eigentlich zustünden, entstehen Überhangmandate, also zusätzliche Sitze im Bundestag. In der Wahlnacht 2002 ließen Überhangmandate das Pendel Richtung Rot-Grün schlagen. Damals gab es fünf solcher Mandate, vier davon für die SPD.

© SZ vom 17.9.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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