Dialog:Ankaras langer Schatten

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Die Neuköllner Sehitlik-Moschee ist eine von sieben Moscheen in der Hauptstadt, dazu kommen 91 Gebetsräume. (Foto: imago)

Als Vorsitzender der größten türkischen Moschee in Berlin lud Ender Çetin Schwule ein. Dann kam der Religionsattaché der Botschaft vorbei. Nun ist Çetin nicht mehr Vorsitzender.

Von Matthias Drobinski

Der Schneeschauer ist weg, unverhoffte Frühlingssonne lässt die Minarette der Şehitlik-Moschee glänzen. Sie ist die schönste Moschee in ganz Berlin, sagen viele Besucher. Die größte ist sie auf jeden Fall, getragen vom türkisch-islamischen Moscheeverein Ditib. Tritt man in den Innenhof, ist da ein Gräberfeld. Seit 1866 liegt der türkische Friedhof nahe dem Tempelhofer Feld. Verwitterte Steine erzählen von zwei Jahrhunderten muslimischen Lebens in Berlin. Der erste osmanische Gesandte liegt hier, ein Arzt, ein "Fabrikatör".

Und da ist dieses Doppelgrab aus Marmor, gewidmet Cemal Azmi und Bahaeddin Şakir, "ermordet am 17. April 1922 durch armenische Terroristen". Das ist die eine, die türkische Sichtweise der Geschichte. Die andere geht so: Azmi und Şakir waren Mitorganisatoren des Völkermords an den Armeniern im Ersten Weltkrieg; ein armenisches Rachekommando tötete sie in Berlin. Das Grab ist gepflegt, das Gelände gehört dem türkischen Verteidigungsministerium. Şehitlik-Moschee, das heißt: Moschee der Märtyrer. Zwei Wahrheiten, nicht zusammenzubringen.

"Kommen Sie doch mit zum Gebet!", ruft freundlich ein Mann. Die Nachmittagssonne malt Muster auf den blauen Teppichboden, vorne werfen sich drei Dutzend Männer zum Freitagsgebet vor Gott, hinten sitzen zwei Dutzend strumpfsockige Schüler samt ihren Lehrkräften und schauen zu. Feride Aktaş erklärt leise, was passiert. Warum die Männer eine Kopfbedeckung tragen? "Es ist ein Zeichen, dass sie vor einen Höheren treten", sagt sie. Sie selber hat sich einen Umhang übers Haar gelegt, ein Kopftuch trägt sie nicht.

Ferida Aktaş ist Anfang 20, studiert Erziehungswissenschaften und Islamwissenschaft, sie ist offen, gut gelaunt und kann selbst maulfaule 13-Jährige zum Fragen bringen. Es sind auch diese Moscheeführungen, die den Ruf der Şehitlik-Moschee als Ort eines offenen Dialogs begründet haben. Vor zwölf Jahren erarbeitete ein junges Team das Konzept. 30 000 Besucher ließen sich 2015 durch die Moschee führen: allein 10 000 Polizisten, gefolgt von Schulen, Kirchengruppen, Politikern von Bund, Ländern, Kommunen, aus der jüdischen Gemeinde. Vor fünf Jahren wurde Ender Çetin Vorsitzender des Moscheevereins, ein Erziehungs- und Islamwissenschaftler, 35 Jahre alt. Er bat zu Diskussionsveranstaltungen, förderte ein Programm gegen Radikalisierung bei Jugendlichen. Politiker besuchten die Şehitlik-Moschee oder luden ihre Vertreter zum Gespräch, glücklich, endlich einen vorzeigbaren muslimischen Partner gefunden zu haben.

Nicht allen in der Gemeinde gefiel das. Den Alten gab es zu viele besserwisserische Studierte, den Religiösen zu wenig Strenge. Die Islamfeinde entdeckten auf ihre Weise die Moschee und schickten Drohungen. 2014 lud Çetin Vertreter der Lesben- und Schwulenbewegung ein - er selber halte Homosexualität zwar für Sünde, wolle aber doch die Menschen kennenlernen, sagte er. Es gab Empörung, die Veranstaltung wurde in eine Kirche verlegt. Und je schwieriger das deutsch-türkische Verhältnis wurde, desto schwerer hatten es auch die Reformer in der Moschee. Nach der Armenien-Resolution des Bundestages im Sommer lud der Vorstand den Bundestagspräsidenten Norbert Lammert (CDU) vom Fastenbrechen aus; man könne für seine Sicherheit nicht garantieren.

Darüber, was dann bei der Vorstandswahl am 10. Dezember 2016 geschah, gibt es zwei Erzählungen, wie beim Marmorgrab auf dem Friedhof. Die eine geht so: Der türkische Religionsattaché Ahmet Fuat Candir kam mit einer vorbereiteten Liste in die Versammlung, und am Ende hieß der Vorsitzende nicht mehr Ender Çetin, sondern Süleyman Küçük. An diesem Abend, so geht diese Geschichte, zeigte die türkische Religionsbehörde Diyanet ihre Macht über den Moscheeverein Ditib. Die Diyanet entsendet die Imame, türkische Staatsbeamte, in die Ditib-Moscheen. Sie bestimmt den Kurs. In freundlichen Zeiten lässt sie einen wie Çetin gewähren. Doch wenn das nicht mehr passt, ist Schluss.

Die andere Version der Geschichte haben Çetin und sein Nachfolger in einer gemeinsamen Erklärung auf die Homepage der Şehitlik-Moschee gestellt: Die Vorstandswahlen erfolgten turnus- und satzungsgemäß. Der neue Vorstand werde "transparent in die Öffentlichkeit treten und die Arbeit vertiefen". Die "aktuellen medialen Berichte" seien "gespickt mit falschen Tatsachenbehauptungen, kruden Unterstellungen und skandalisierenden Hypothesen". Çetin hat erklärt, er wolle sich verstärkt der Wissenschaft zuwenden, das brauche Zeit. Klar, sagen Insider: Er ist bei der Ditib angestellt und kann es sich nicht leisten, allzu laut zu werden.

Man würde darüber gerne mit den Beteiligten reden, das aber ist schwierig. Eine Mail an den Moscheevorstand geht ins Leere, Anrufe werden nicht angenommen. Eine SMS aufs Mobiltelefon von Küçük - keine Antwort. Eine an den Vorgänger Çetin - Schweigen. Es bleibt: einfach hingehen. Küçük steht in der Reihe der Beter, ist aber nach dem Gebet verschwunden. "Der hat jetzt Stress", sagt ein älterer Mann in der Teestube. Warum wurde der alte Vorstand abgewählt? Schweigen. "Fragen Sie Herrn Küçük", sagt einer. Na ja, merkt ein anderer an, "Ender Çetin hat Fehler gemacht." Welche? "Wir sind eine Ditib-Moschee. Da kann man nun mal nicht machen, was man will." Sie hoffe, dass die Führungen weitergingen, sagt Feride Aktaş, als sie Schüler und Lehrer verabschiedet hat.

Noch ein Anruf auf Süleyman Küçüks Handy - er ist dran. Sorry, der Stress. Küçük klingt freundlich; es gibt Zeitungsartikel über ihn, die seine Arbeit als ehrenamtlicher muslimischer Gefängnisseelsorger loben. Er könne nur wiederholen, was er schon gesagt habe, sagt er: "Die Moschee bleibt offen, wir setzen den Dialog fort."

Ein paar Tage später: Auf der Internetseite ist der Kalender verschwunden, in den die Moscheeführungen eingetragen sind. Ein "technischer Fehler", heißt es. Das Moscheeteam erklärt: Sein Engagement an der Şehitlik-Moschee sei "zunehmend unerwünscht". Deshalb mache man nicht mehr mit. Den Engagierten der Moschee wünsche man "das Beste und Gottes Segen".

© SZ vom 07.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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