Deutschland wählt:Nichts ist unmöglich

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Vor einigen Monaten schien schon alles klar zu sein. Und mancher, der über CDU-Vorsitzende Angela Merkel sprach, redete bereits von "der Kanzlerin". Dann holte die SPD überraschend auf, seither wird heftig über mögliche Koalitionen spekuliert: Schwarz-Gelb, große Koalition, Ampeln und Minderheitenregierungen.

Heribert Prantl

Als US-Präsident Bill Clinton dereinst während eines Deutschland-Besuchs in einer Rede den Satz "Nichts ist unmöglich" fallen ließ, schallte es ihm aus dem Publikum entgegen: "Tooyooota!" Dass der Satz aus der Bibel stammt, ist in Vergessenheit geraten. Dort gilt er allerdings nur dann, wenn der Glaube stark genug ist - dann könne er, heißt es, Berge versetzen.

Womit man beim Wahlkampf 2005 wäre. Er begann mit dem Glauben der Union daran, dass ihr, auf einem gewaltigen Berg glänzender Umfragewerte, niemand mehr den Sieg nehmen könne. Und er endet mit der Hoffnung der SPD, dass auch solche Berge versetzt werden können. Seitdem sich die Linkspartei konstituiert und die politischen Verhältnisse zum Tanzen gebracht hat, gilt auch für Koalitionsbildungen der Satz: (Fast) nichts ist unmöglich.

Nach wie vor bauen Union und FDP darauf, dass es für die schwarz-gelbe Koalition reicht - mit Kanzlerin Angela Merkel und Vize-Kanzler Wolfgang Gerhardt als Außenminister. Der bisherige bayerische CSU-Innenminister Günther Beckstein würde dann Otto Schily als Bundesinnenminister nachfolgen - und mit der FDP in heftigen Streit geraten.

In der inneren Sicherheit vertreten die beiden Koalitionspartner nämlich extrem gegensätzliche Meinungen. Die FDP ist dabei, sich wieder auf ihre rechtsstaatlichen Traditionen zu besinnen, Beckstein indes wird Schily noch übertrumpfen wollen.

Die Differenzen in der Steuerpolitik (die FDP ist zum Beispiel gegen die Mehrwertsteuer-Erhöhung) fallen zwar stark ins Auge; hier würde die FDP aber zurückstecken.

Große Koalition unter Merkel?

Alle anderen Koalitions-Konstellationen kommen in Betracht, wenn es für Schwarz-Gelb nicht reichen sollte. Für diesen Fall tippen viele Beobachter auf eine große Koalition aus Union und SPD unter einer Kanzlerin Merkel.

Spekulationen, dass die SPD in diesem Fall auf einem anderen Kanzler (etwa Christian Wulff) bestehen wird, entbehren realer Grundlage. Vizekanzler und Finanzminister würde dann wohl Peer Steinbrück, der frühere Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, werden; auch Otto Schily und Peter Struck sind (verbleibend in ihren Ministerämtern) als Vizekanzler im Gespräch. Für das Außenministerium werden Wolfgang Schäuble und Edmund Stoiber genannt.

In der Sozial- und Steuerpolitik wären in einer großen Koalition Teilreformen möglich. Ihre bisherigen Reformmodelle zur Gesundheitspolitik würden die Koalitionäre wohl wegpacken, stattdessen käme es zu einer Reform der vielen kleinen Schritte. Die Föderalismusreform könnte neu angepackt werden.

Die SPD würde allerdings zwischen der Reformpolitik der Regierung und der Opposition durch die Linkspartei zerrieben. Bei den Sozialdemokraten wird daher erwogen, lieber Schwarz-Gelb als Minderheitsregierung zu dulden und - zu exakt festgelegten Konditionen - Merkel als Kanzlerin mitzuwählen.

Man rechnet nämlich damit, dass bei der Bildung einer großen Koalition Zehntausende von Parteibüchern zurückgeschickt würden. Die SPD wäre bei bloßer Duldung einer Minderheitsregierung aus CDU, CSU und FDP in der Lage, zu jedem beliebigen Zeitpunkt Angela Merkel abzuwählen. Es handelt sich wohl um die einzige Konstellation, in der man sich Gerhard Schröder als Oppositionsführer vorstellen kann.

Glaube versetzt Berge?

Schröder bleibt Kanzler, wenn Rot-Grün wiedergewählt wird. Das passiert dann, wenn der Glaube des Kanzlers tatsächlich Berge versetzt. Ansonsten bleibt Schröder nur im Amt, wenn es zur Ampelkoalition aus SPD, FDP und Grünen kommt.

Dagegen spricht die Affinität Westerwelles zu Merkel. Dafür spricht die in Machtfragen bekannte Wendigkeit der FDP und der Machiavellismus Schröders. FDP und Grüne hegen zwar heftige Abneigung gegeneinander, die unter anderem umweltpolitisch begründet ist. In der Wirtschaftspolitik aber liegen sie nicht weit auseinander, in der Rechtspolitik stehen sie sich nah.

Eine Minderheitsregierung aus SPD und Grünen, die von der Linkspartei geduldet wird, kommt kaum in Betracht. Die Programmatik ist derzeit unvereinbar. Der Widerstand in der Linkspartei gegen eine solche Konstellation ist ähnlich groß wie in der SPD; die persönlichen Gegensätze zwischen fast jeder denkbaren SPD-Führung und Lafontaine sind unüberbrückbar. Vollends auszuschließen ist eine Koalition mit der Linkspartei; sie ist frühestens 2009 denkbar.

Eine schwarze Ampel, also ein Bündnis aus Union, FDP und Grünen, kommt nur rechnerisch in Betracht. Den Grünen erginge es in der schwarzen Ampel so wie der SPD in der großen Koalition: Die Mitglieder würden in Scharen davonlaufen. Eine schwarz-grüne Annäherung dürfte es zunächst in den Ländern geben - womöglich erstmals in Baden-Württemberg, wo im Frühjahr gewählt wird.

Wirklich sicher ist nur: Es wird eine bürgerliche Koalition geben. Eine Regierung, in der SPD und/oder Grüne mitwirken, ist nämlich nicht minder bürgerlich als eine Unions/FDP-Koalition, die aus nostalgischen Gründen gern als "bürgerliche Koalition" bezeichnet wird.

© SZ vom 17.9.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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