Deutschland:Ende des Steuerbooms

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Die Staatseinnahmen steigen deutlich geringer als angenommen. Finanzminister Scholz hält das für eine Normalisierung: "Die Bäume wachsen nicht in den Himmel."

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Bund, Länder und Gemeinden werden auch in den kommenden vier Jahren mehr Steuern einnehmen als bisher vorausgesagt. Der Staat kann mit 6,7 Milliarden Euro mehr Einnahmen rechnen, als noch im Mai erwartet worden war. Das ist das Ergebnis der Steuerschätzung, die Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) am Donnerstag in Berlin vorgelegt hat. Die Steuerschätzer hatten im Mai berechnet, dass der Zuwachs im Vergleich zu früheren Schätzungen 63,3 Milliarden Euro betrage. Scholz sagte nun: "Wir müssen uns auf eine Normalisierung der Steuereinnahmen einstellen." Die Prognose zeige, "dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen".

Die Steuerschätzung dürfte unmittelbare Auswirkungen auf die Politik der großen Koalition haben. Ihr dürfte nun nämlich das zusätzliche Geld fehlen, um Vorhaben anzugehen, die nicht im Koalitionsvertrag vereinbart sind. Union und Wirtschaftsverbände hatten zuletzt noch einmal vehement darauf gedrungen, den umstrittenen Solidaritätszuschlag für alle abzuschaffen. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hatte dazu ein Papier erarbeiten lassen. Scholz lehnte das Ansinnen am Donnerstag ab. "Größere neue Spielräume sind nicht sichtbar", sagte er.

Union und SPD haben im Koalitionsvertrag vereinbart, den Solidaritätszuschlag von 2021 an für Steuerzahler mit niedrigem und mittlerem Einkommen zu streichen, Besserverdienende hingegen sollen ihn komplett weiterzahlen. Darunter verstehen Union und SPD nur einen kleinen Teil der Steuerzahler. Die Kosten dafür belaufen sich auf zehn Milliarden Euro. Die Abgabe für alle zu streichen, würde insgesamt knapp das Doppelte kosten.

Scholz will sich auf das Abarbeiten des Koalitionsvertrags konzentrieren. Die beschlossenen Entlastungen für Familien oder bei der Einkommensteuer würden umgesetzt. Neue Schulden sind nicht geplant. "Wir können die Dinge, die wir uns vorgenommen haben, mit den Einnahmen finanzieren", sagte er. Das zusätzliche Geld soll in Verteidigung, Entwicklungshilfe und in steuerliche Anreize für Unternehmen gesteckt werden, die forschen. Die deutsche Wirtschaft fordert seit Langem Erleichterungen und begründet das mit dem internationalen Wettbewerb. Die national ausgerichtete Handelspolitik von US-Präsident Donald Trump sowie neue Zölle belasten auch deutsche Firmen. Die Bundesregierung hat ihre Wachstumsprognose für dieses Jahr bereits von 2,3 auf 1,8 Prozent korrigiert.

In den vergangenen Jahren waren aufgrund der anhaltend guten Konjunktur die Steuereinnahmen stets deutlich höher ausgefallen als prognostiziert. Weil die Wirtschaft kräftiger wuchs als angenommen, entstanden neue Jobs; die Löhne zogen an und die Bürger konsumierten. Diese Dynamik nimmt nun offenbar ab.

"Die Steuerlast ist auf ein Rekordhoch gestiegen. Deshalb ist es überfällig, Steuern zu senken", forderte Joachim Lang vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) am Donnerstag. Der Bund der Steuerzahler verlangte, den Solidaritätszuschlag bei der Einkommensteuer für alle abzuschaffen: "Das Geld für ein komplettes Soli-Aus für alle ist da."

© SZ vom 26.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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