Deutsches Wahlrecht:Lotto am Sonntag

Lesezeit: 1 min

Überhangmandate waren in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik noch eine Rarität. Heute verzerren zunehmend die Wahlergebnisse.

Ralf Husemann

Legenden halten sich hartnäckig. So heißt es immer wieder, Konrad Adenauer habe nur mit seiner eigenen Stimme oder dank eines Überhangmandats die Wahl zum ersten Kanzler der Bundesrepublik gewonnen.

(Foto: Foto: SZ-Grafik)

Beides ist so nicht richtig. Denn wenn nicht der (damals oppositionelle) Bayernpartei-Abgeordnete Johann Wartner dem Unionsmann seine Stimme gegeben hätte, wie er kurz vor seinem Tod 1963 bekannte, hätte es Adenauer auch trotz seiner Selbstwahl nicht gereicht. Und richtig ist zwar, dass die CDU schon 1949 zu einem Überhangmandat kam, aber das Gleiche schaffte damals die SPD auch.

Ohnehin haben in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik Überhangmandate kaum eine Rolle gespielt. In den 16 Bundestagswahlen seit 1949 kamen insgesamt 73 Abgeordnete auf einem solchen Ticket ins Parlament. Zwischen 1949 und 1987 waren es bei elf Bundestagswahlen allerdings lediglich 17 Politiker, während bei den jüngsten fünf Wahlen gleich 56 Parlamentarier von dieser Besonderheit des deutschen Wahlrechts profitierten.

Der Grund dafür ist, dass seit 1990 die Bürger zunehmend bei der Erst- und Zweitstimme für unterschiedliche Parteien votieren. Das gilt insebesondere für Wähler der Linkspartei.

Wichtig wurde das vor allem bei der Wahl 1994. Durch die zwölf Überhangmandate für die CDU bekam die damalige Union-FDP-Koalition eine sichere Mehrheit von zehn Mandaten. Wenn es allein nach den (sonst entscheidenden) Zweitstimmen gegangen wäre, hätte Schwarz-Gelb nur einen Vorsprung von zwei Mandaten gehabt.

Ohne die vier SPD-Überhangmandate wäre der Unterschied noch eklatanter geworden. Aber nicht nur Überhangmandate verzerren das Ergebnis. Das "negative Stimmgewicht" (siehe Bericht über Dresden), bei dem eine Partei davon profitieren kann, wenn sie weniger statt mehr Zweitstimmen bekommt, macht die Stimmabgabe zum Lotteriespiel.

© SZ vom 04.07.2008/ssc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: