Deutscher Lehrerpreis:In der Haut des Fremden

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Wie ist das, wenn man in ein fremdes Land flieht und erst mal gemessen, gewogen und gemustert wird? Braunschweiger Realschüler beim Rollenspiel. (Foto: Deutscher Lehrerpreis)

Statt Theorie zu pauken, haben Schüler in Braunschweig eigene Erfahrungen zu Flucht und Frieden gesammelt. Dafür gibt es nun den Deutschen Lehrerpreis. Der Wettbewerb beantwortet auch die Frage: Was macht gute Lehrer aus?

Von Johann Osel, München

Die Schülerzeitung stellt klar: "Keine Angst, hier erwartet dich kein langweiliger Theorie-Quatsch. Es geht um dich!" Genauer gesagt geht es in dem Heft der Nibelungen-Realschule Braunschweig um das Miteinander der Gesellschaft, um Frieden. Mit dem Motto haben sich die Jugendlichen ein Jahr lang beschäftigt, dabei hatte das Edith Böhme gar nicht so riesig geplant. 2014, bevor das Asyl-Thema vollends den Alltag prägte, ahnte die Rektorin, dass die Schule wohl eine Sprachlern-Klasse bekommt. "Wir wollten die Schüler sensibilisieren, sie informieren", sagt Böhme. "Wie ein Selbstläufer" sei das gewesen, ständig kamen neue Ideen von Lehrern und Schülern. Entstanden ist ein Friedensprojekt, mit allen Klassen, vielen Fächern. Zeitzeugen im Altersheim befragten sie, wie das war, als nach dem Weltkrieg der Frieden kam und die Amerikaner mit Süßigkeiten; Fotoreportagen, Recherchen und Debatten gab es, zu Menschenrechten und Toleranz; oder Rollenspiele zur Flucht - sogar das Messen und Wiegen von Asylbewerbern wurde nachgespielt.

Als "bewusstes Hinsehen, Hinhören und Hinterfragen" sah die Jury des Deutschen Lehrerpreises die Idee - und verlieh dem Team um Böhme am Montag die Ehrung. Jugendliche hätten viele Fragen zu den Zuständen auf der Welt, auch schon vor Ereignissen wie dem Terror in Paris, sagt Böhme. "Sie sollen keine fertigen Antworten serviert bekommen, sondern sich ihr eigenes Bild machen können."

Der Wettbewerb wird vom Philologenverband und der Vodafone-Stiftung ausgeschrieben. In der Jury saß die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Brunhild Kurth aus Sachsen. "Unterricht innovativ" heißt die Sparte, in der Böhme und Kollegen erfolgreich waren. Innovativ ist dabei mehr noch als das Thema die Herangehensweise, so die Jury: die Jugendlichen erlangten Wissen über Erfahrungen, könnten sich einbringen, der Zusammenhalt werde gestärkt. Der Lehrerpreis ist somit auch Schulpreis. "Ohne Teamarbeit geht es nicht", sagt Böhme. "Es macht auch den Kollegen viel mehr Spaß, wenn nicht jeder sein Fach durchzieht." Hinzu komme der Austausch unter den Schülern, "richtig toll, die Großen mit den Kleinen". Als weiteres Projekt wurde unter anderem "My Science" am Gymnasium Olching bei München geehrt, ein Gesamtkonzept für mehr Freude an Naturwissenschaften. Auch dort arbeiten ältere und junge Schüler Hand in Hand, beispielsweise bei Experimenten.

In der zweiten Kategorie des Preises - "Schüler zeichnen Lehrer aus" - konnten Jugendliche Pädagogen vorschlagen. Gut ein Dutzend Lehrer steht auf der Gewinnerliste, von Schwaben bis an die Förde. Das ist jedes Jahr Balsam für die Pädagogenseele. KMK-Chefin Kurth, die vor dem Ministeramt Jahrzehnte am Pult stand, sagte: "Die schönste Anerkennung für einen Lehrer kommt direkt von Schülern." Sie betonte, dass der Preis beitrage, die öffentliche Wertschätzung des Berufs zu fördern.

Der Lehrer als strenger Zampano oder kumpelhafter Luftikus? Beides fällt bei Schülern durch

Der Wettbewerb ist auch jährlich die Verhandlung der Frage: Was macht gute Lehrer aus? Nachzulesen in den Begründungen: Eine Mischung aus Verbindlichkeit und Lockerheit, gefragt ist in Reinform weder streng noch kumpelhaft, weder Zampano noch Luftikus. Wuppertaler Schüler loben ihren Physiklehrer so: "Er gestaltet sein Fach mit einer solchen Leidenschaft, dass er Schüler anstecken kann. Es gibt ein Vertrauensverhältnis, aber der Unterricht ist trotzdem immer diszipliniert." Oder Gymnasiasten in Sindelfingen, sie schreiben über ihre Deutschlehrerin: "Immer darauf fokussiert, den Stoff durchzukriegen - dennoch nie dabei ihre lockere, sympathische Art verloren". Was zudem gut ankommt, ist Engagement, nicht Dienst nach Vorschrift: Schreib-Workshops, Tüftelnachmittage. Da finden beide Kategorien des Wettbewerbs zueinander - ohne zusätzlichen Einsatz sind Projekte wie das in Braunschweig kaum denkbar.

Das Kollegium von Edith Böhme erhält übrigens den Preis zum zweiten Mal, 2008 wurde das Mathe-Projekt "Auf die Brüche, fertig, los" geehrt. Schüler sollten nicht nur den Umgang mit Zähler und Nenner pauken, sondern etwa deren Rolle für kaufmännische Berufe erleben. "Erfahrungswissen" - die Idee funktioniert, in Mathematik wie in Geschichte.

© SZ vom 01.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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