Deutsche Einheit II:Kategorie Ost

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Valerie Schönian: Ostbewusstsein. Warum Nachwendekinder für den Osten streiten und was das für die Deutsche Einheit bedeutet. Piper Verlag, München 2020. 268 Seiten, 16 Euro. E-Book: 14,99 Euro. (Foto: N/A)

Dreißig Jahre nach dem Vollzug der Wiedervereinigung sucht Valerie Schönian nach Mitstreitern für das Anderssein. In ihren Interviews trifft sie aber oft auch auf Menschen, die ihre Fragen gar nicht verstehen, sogar in ihrer eigenen Familie.

Von Norbert F. Pötzl

Sie sei ein "Ossi", sagt Valerie Schönian von sich. Sie wolle ein Ossi sein, "ganz bewusst, gern und aus Prinzip". Der Begriff, behauptet sie, erinnere Ostdeutsche an die "Vorurteile, die ihnen entgegengebracht werden". Aber stimmt das überhaupt? Der ehemalige thüringische Ministerpräsident Bernhard Vogel hat eher "das Gefühl, dass es Leute gibt, die Vorurteile gegenüber dem Osten sehen, wo gar keine Vorurteile sind".

Valerie Schönian, im Herbst 1990 wenige Tage vor dem Ende der DDR in Sachsen-Anhalt geboren, bezeichnet sich in ihrem Facebook-Profil als "Verstehensversucherin". In Wahrheit versucht sie jedoch immerfort, anderen ihr eigenes Selbstverständnis aufzudrängen.

Für ihr Buch "Ostbewusstsein" hat sie mit etlichen Ostdeutschen gesprochen. Immer wieder konfrontiert sie die Gesprächspartner mit ihrer These, Ostdeutsche seien benachteiligt, ihre Lebensleistung werde nicht hinreichend gewürdigt. Erfrischend ehrlich referiert sie den Widerspruch, den sie dabei erfährt. Norbert Leisegang, Jahrgang 1960, Frontmann der Rockgruppe "Keimzeit", bekennt, ihn nerve die Zuschreibung als "Ostband". Schönians Behauptung, "ostdeutsche Kultur" sei "heutzutage weniger erfolgreich und anerkannt", bestreitet Leisegang rundweg. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Philipp Amthor, geboren 1992 in Ueckermünde, meint, junge Ostdeutsche hätten "keinen Grund zum Jammern", die "angebliche Chancenungleichheit" sei "überwiegend herbeigeredet". Der Band "Silbermond" aus Bautzen unterstellt Schönian sogar einen Sinneswandel: Früher habe Frontsängerin Stefanie Kloß dafür plädiert, "endlich mal" mit "diesem Ost und West" aufzuhören; nun aber sei der Song "Mein Osten" eine "Liebeserklärung" an die sächsische Heimat - obschon die Musiker mit dem Lied thematisieren, wie rechtsextremes Gedankengut die Region zerstört.

Ja, natürlich, Schönian findet auch Gleichgesinnte. Zum Beispiel die Autorin Jana Hensel, die seit Jahren unentwegt darüber klagt, dass die Wiedervereinigung "gründlich schiefgegangen" sei, und die nun krampfhaft-trotzig ihr ostdeutsches Anderssein kultiviert. Aber "ganz viele Gespräche mit Ostdeutschen", gesteht Schönian ein, "laufen ähnlich ab: Ich fange an, vom Osten zu reden, vom jungen ostdeutschen Gefühl", und ihre Gesprächspartner "wehren das irgendwie ab". Die "Verstehensversucherin" ist ratlos: "Entweder scheinen sie nicht einmal mit der Frage etwas anfangen zu können, oder sie betonen, dass es nicht mehr zeitgemäß sei, in solchen Kategorien zu denken."

Nicht einmal ihren Eltern kann Schönian mit ihren suggestiven Fragen die erwünschten Antworten entlocken. Der Vater etwa wehrt sich am Ende des Gesprächs gegen "dieses ganze Umhergelalle, was alles schieflief".

© SZ vom 15.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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