Der Deutsche Herbst - Tag 36:Probleme bei der Terroristenfahndung

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10. Oktober 1977: Bei der Fahndung nach den Schleyer-Entführern kommt es zu zahlreichen Pannen. Trotzdem zeigen sich Sicherheitskreise verstimmt über Vorwürfe von Schleyers Frau Waltrude.

Robert Probst

Die Entführung von Hanns Martin Schleyer liegt fünf Wochen zurück. Der Große Politische Beratungskreis wird über die "zwischenzeitlichen - vor allem kriminalpolizeilichen - Erkenntnisse im In- und Ausland unterrichtet. In einer Aussprache wird Übereinstimmung über die Beurteilung der Lage erreicht", heißt es später in der Dokumentation der Bundesregierung.

In Sicherheitskreisen zeigt man sich verstimmt über den Appell von Waltrude Schleyer in der Bild am Sonntag vom 9. Oktober. Dort hatte sie dem "Staat" vorgeworfen, er habe das Leben und die Freiheit ihres Mannes nicht wirklich zu schützen vermocht. Dies wird als Unterstellung zurückgewiesen. Die Polizei habe alles getan, um das Leben Schleyers nicht zu gefährden.

Bei der Fahndung nach den Tätern freilich läuft nicht alles optimal. Besonders in den ersten Tagen nach der Entführung herrscht großes Chaos bei der Organisation der Führungsstruktur der Polizeimaßnahmen, es gibt unterschiedliche Weisungen von Bundes- und Landesbehörden, immer wieder sollen sich auch hohe Politiker eingemischt haben.

Auch gibt es Probleme bei der Datenerfassung, verschiedene Behörden verwenden zunächst verschiedene Muster der Informationsverarbeitung, manche Computersysteme der Polizei sind nicht miteinander kompatibel. In diese Phase fällt auch die große Fahndungspanne, bei der ein Hinweis auf das Versteck Schleyers in Erftstadt-Liblar im Kompetenz-Wirrwarr verlorengeht.

Immer wieder berichten die Magazine Spiegel und Stern über Missstände. So sollen Zeugen bis zu sechsmal zum gleichen Sachverhalt befragt worden sein; es wird berichtet von unpassender Ausrüstung der Polizisten, von "falscher Munition", von widersprüchlichen Einsatzbefehlen oder Verwirrung aufgrund falscher Tarncodes.

Keine großangelegten Hausdurchsuchungen

Mehrmals während der Entführung beschwert sich die Gewerkschaft der Polizei, die Beamten würden nicht ausreichend informiert, oft wüssten sie gar nicht, wonach sie suchen sollten. Gelegentlich würden sie Neuigkeiten nur aus den Medien erfahren.

Der damalige Regierungssprecher Klaus Bölling sagte später: "Wir verfielen in einen ungeheuren Aggregatszustand, nämlich in den der Wut... . Vielleicht resultiert daraus die Dämonisierung der RAF im späteren Verlauf der Schleyer-Krise und auch die Neigung, in der RAF eine wirklich existenzielle Bedrohung des Rechtsstaats zu sehen."

Da die Terroristen gefordert hatten, die Fahndung umgehend einzustellen, unterbleiben großangelegte Hausdurchsuchungen und aufsehenerregende Aktionen. Dennoch gibt es ständig scharfe Kontrollen von Autoinsassen, penible Überprüfungen an den Grenzübergängen und die massive Überwachung der Flughäfen.

Verdächtig sind vor allem Männer mit Bart und langen Haaren und Bürger, die oft verreisen, oder politisch links eingestellt sind. Tausende Unbescholtene geraten so ins Visier der Fahnder, überprüft werden "linke Anwälte", Makler-Büros und sogar "linke Arztpraxen".

Doch die Bevölkerung zeigt Verständnis, Kritik wird kaum geübt. Vielfach wird der Satz zitiert: "Wer nichts angestellt hat, braucht keine Angst zu haben."

© SZ vom 10.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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