Demonstrationen der Opposition:Harter Einsatz in Moskau

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Brutal beendet die Staatsmacht Demonstrationen der Opposition in Russland - doch es ist vor allen Dingen ein Schlag gegen die Demokratie.

Daniel Brössler, Moskau

Roman Dobrochodow legt erkennbar Wert auf sein Äußeres. Er trägt einen eleganten Trenchcoat, einen orangefarbenen Schaal und eine mit einem breiten Konten gebundene Krawatte, ebenfalls orange. Die Farbe des Binders signalisiert: Der junge Mann hat sein Demo-Outfit angelegt. "Ohne Krawatte wäre ich unauffälliger", gibt er zu, doch Kompromisse sind nicht seine Sache.

Ein Demonstrant liegt in Moskau am Boden (Foto: Foto: Reuters)

Er ist zum Puschkin-Platz gekommen, um für ein anderes Russland zu demonstrieren, und dazu gehört für ihn die Farbe des Umbruchs in der benachbarten Ukraine. Roman hat auch eine blaue EU-Fahne mitgebracht, doch die entrollt er vorsichtshalber nicht. Die Behörden haben den "Marsch der Nicht-Einverstandenen" verboten. Da wäre das Entrollen einer Flagge dann doch zu provokant, findet der 23-jährige Wirtschaftsstudent. Es nützt ihm nichts. Kurz nach zwölf ist die Demonstration für Roman Dobrochodow vorüber. Milizionäre schieben ihn in einen Polizeitransporter.

Im Zentrum gleicht Moskau an diesem kühlen Samstag einer belagerten Stadt. 9000 Männer in martialischer Montur haben Stellung bezogen mit einem klaren Auftrag: Der vom Oppositionsbündnis "Das andere Russland" angekündigte Marsch vom Puschkin-Platz zum Turgenjew-Platz darf unter keinen Umständen stattfinden. Aus verschiedenen Teilen des Landes sind dafür Kräfte in die Hauptstadt beordert worden.

Es sind junge Burschen dabei, vor allem unter jenen in den grünen Tarnuniformen der Truppen des Innenministeriums. Blau tragen die Männer von der Sonderpolizei OMON. Sie werden von den Demonstranten besonders gefürchtet.

Garri Kasparow am Kragen gepackt

OMON-Polizisten sind es, die um fünf nach zwölf Garri Kasparow am Kragen packen und in einen bereit stehenden Bus verfrachten. Der frühere Schach-Weltmeister ist eine der Führungsfiguren der Opposition und schien wegen seiner Prominenz bisher einen gewissen Schutz zu genießen. Nun blickt er mit anderen Festgenommenen durch eine schmutzige Busscheibe. Einige der unfreiwilligen Passagiere winken mit roten Heften. Es ist die Verfassung der Russischen Föderation.

Wer dort in Kapitel 2 unter Artikel 31 nachschlägt, erfährt, dass die Bürger das Recht haben, "sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln und Versammlungen, Kundgebungen, Demonstrationen und Umzüge durchzuführen".

Im Prinzip gehört auch der Gehsteig Ecke Twerskaja-Straße und Puschkin-Platz zum Geltungsbereich dieser Verfassung. Das nützt den am Boden liegenden Menschen wenig. Es sind Männer und Frauen, junge und ältere. Die schwarzen Stöcke treffen sie wahllos. Die Polizisten schlagen hart, und wie es scheint, lustvoll. Unter den Helmen sind die Gesichter der Schläger schwer zu sehen, doch die Wut der Männer ist zu erkennen. Ihre Schlagstöcke treffen Staatsfeinde. Das hat man ihnen gesagt und das scheinen sie auch zu glauben. "Was macht Ihr?", brüllt eine weißhaarige Frau, "Ihr lebt von unserem Geld und verprügelt alte Menschen."

Der Marsch geht trotz allem weiter. Mehrere hundert sind es, die durch den Petrowskij-Boulevard ziehen, und vereinzelt auch Sprechchöre wagen. "Gebt dem Volk die Wahlen zurück", skandieren sie, und auch: "Nieder mit der Macht der Tschekisten." Das ist auf den Präsidenten und früheren KGB-Mann Wladimir Putin gemünzt, denn Tschekisten werden in Russland die Geheimdienstleute genannt.

"Wir gehen in jedem Fall weiter", sagt einer in der Menge. Es ist der liberale Abgeordnete Wladimir Ryschkow. Westlichen Journalisten ruft er immer wieder zu: "Berichtet ihr, was hier geschieht?" Ein paar hundert Meter weiter wird der friedliche Marsch bereits erwartet. Die Polizei hat Absperrungen errichtet, treibt die Menge in Seitengassen. Immer wieder werden einzelne herausgegriffen und in die bereit stehenden Transporter gedrängt.

Etwa 250 Menschen sind es wohl, die vorübergehend festgenommen werden. Es sind zufällige Passanten darunter, aber auch Journalisten. Einen Kameramann des ZDF zerren Milizionäre von seiner Leiter und halten ihn zusammen mit einem anderen Mitarbeiter des Senders eine Stunde fest.

Die Faust im Gesicht

Journalisten werden auch in St. Petersburg nicht geschont, wo die Opposition am Tag darauf erneut einen Marsch der Nicht-Einverstandenen versucht. Hier schlägt ein OMON-Polizist dem ARD-Korrespondenten Stephan Stuchlik mit der Faust ins Gesicht. Und auch in St. Petersburg werden wieder mehrere hundert Menschen vorübergehend festgenommen.

Das Muster in St. Petersburg gleicht dem, das Kasparow und andere in Moskau erleben. Sie werden nach der Festnahme scheinbar ziellos umhergefahren, dann stundenlang auf Polizeistationen festgehalten. Kasparow muss bis zum Abend warten, bis er in einem Gerichtssaal sitzt. Das kurze Verfahren findet statt in einem roten Backsteinbau gegenüber der Lubjanka, der Moskauer Geheimdienstzentrale. Wegen der "Teilnahme an einem von den Behörden nicht genehmigten Umzug" wird er zu einer Ordnungsstrafe von 1000 Rubeln, umgerechnet 28,60 Euro, verurteilt und dann freigelassen.

Vor dem Gerichtsgebäude hat sich auch Roman Dobrochodow eingefunden - mit entrollter Europafahne. "Sie wollten sie mir auf der Polizeistation nicht zurückgeben", berichtet er, "aber ich wollte sie auf keinen Fall zurücklassen." Die Flagge hat er aus Weißrussland mitgebracht, wo er im vergangenen Jahr an Protesten gegen Diktator Alexander Lukaschenko teilgenommen hat.

Dobrochodow gehört zur Jugendorganisation "My" (Wir) und ist seit den Massendemonstrationen in der Ukraine politisch aktiv. "Damals dachte ich: Warum soll das nicht auch bei uns gehen?", sagt er und spricht von seiner Vision, einem Russland in der Europäischen Union. Dafür ist er bereit, viel Zeit auf der Straße und in Polizeistationen zu verbringen.

"Meist festgenommener Demonstrant"

Dutzende Male schon wurde er wegen nicht genehmigter Kundgebungen festgenommen. Die Menschenrechtsorganisation Sowa habe ihn zum "meist festgenommenen Demonstranten" gekürt, erzählt er lachend. Diesmal laute der Vorwurf, er habe die Regierung und den Präsidenten verunglimpft. Vier Stunden hielten die Polizisten ihn fest, seinen Pass behielten sie vorerst ein. ,,Wir werden neue Anhänger bekommen nach dem heutigen Tag'', prophezeit er.

Die meisten Russen erfahren von den Ereignissen in Moskau und St. Petersburg freilich nur wenig. In den Nachrichten des Staatsfernsehens Rossija ist am Samstagabend an erster Stelle von einem Busunfall in der Türkei die Rede. Danach geht es ausführlich um einen Anschlag in Bagdad. Erst dann berichtet der Sprecher über "mehrere Demonstrationen in Moskau".

Millionen russischer Fernsehzuschauer sehen da Bilder von fröhlichen jungen Leuten, die sich in Moskau zu einem "Marsch der Zustimmung" versammelt haben. Sie gehören zur "Jungen Garde" der Kreml-Partei "Einiges Russland". Gezeigt wird auch Moskaus Bürgermeister Jurij Luschkow. "Wir leben in einem demokratischen Land. Jeder kann seine Meinung sagen", versichert er. Der Oppositionsmarsch sei nur verboten worden, um den Verkehr nicht zu behindern. "Radikale Oppositionsgruppen" hätten sich dem Verbot widersetzt, ist gegen Ende des Beitrags zu erfahren. "Im Großen und Ganzen", sagt der Sprecher noch, "ist der Tag nach Einschätzung der Miliz ruhig verlaufen."

© SZ vom 16.04.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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