Paris:Französische Gewerkschaft demonstriert mit Zehntausenden ihre Macht

Lesezeit: 3 min

Die Proteste der Gewerkschaft CGT waren nicht nur auf den Straßen in Paris spürbar. So blieb auch der Eiffelturm wegen Streik des Personals gesperrt. (Foto: Francois Mori/AP)
  • Zu einer von der französischen Gewerkschaft CGT organisierten Demonstration gegen die Reform des Arbeitsrechts sind je nach Zählung 80 000 bis eine Million Menschen gekommen.
  • Die CGT wollte vor einem Treffen mit der Arbeitsministerin ihre Stärke demonstrieren.
  • Bei Ausschreitungen sind 40 Menschen verletzt worden.

Von Leo Klimm, Paris

Nichts kann Philippe Martinez vom Streiken und Demonstrieren abbringen. Nicht der islamistische Terror, der Frankreich schon wieder aufschreckt. Erst recht nicht der Umstand, dass gerade Fußball-Europameisterschaft ist. Im Gegenteil, der Chef der französischen Gewerkschaft CGT wählte als Endpunkt einer Demonstration am Dienstag just das Viertel, das auch die Pariser Fanmeile beherbergt.

Martinez will maximale Aufmerksamkeit. Auch die autonomen Randalierer, die seit Monaten CGT-Demonstrationen begleiten, lassen sich nicht aufhalten. Am Dienstag nun gaben sie sich wahren Gewaltexzessen hin: Vermummte Männer bewarfen Sicherheitskräfte mit Steinen und Stöcken. Dazu riefen sie Parolen wie: "Alle hassen die Polizei" - was als Anspielung auf den Anschlag in einem Pariser Vorort verstanden werden kann. Scheiben gingen zu Bruch, etwa am Überseeministerium und an einem Kinderkrankenhaus. Die Polizei setzte Tränengas und Wasserwerfer ein. Nach vorläufigen Angaben kam es nur in Paris zu 58 Festnahmen. 29 Polizisten und elf Demonstranten wurden verletzt.

Der Marsch sollte eine Machtdemonstration sein

Es sind nicht die ersten heftigen Ausschreitungen am Rande der Proteste gegen das umstrittene Arbeitsgesetz der sozialistischen Regierung. Die Demonstrationsverbote, die von den Behörden gegen 130 Personen ausgesprochen worden waren, haben nicht viel bewirkt. CGT-Chef Martinez hatte sie begrüßt - nachdem seine Gewerkschaft vor einigen Wochen auch wiederkehrende Polizeigewalt angeprangert hatte. Den Protestmarsch in Anbetracht der äußerst angespannten Sicherheitslage in Frankreich auszusetzen kam für Martinez aber nicht in Frage.

Seit Monaten fordert er vergeblich die Rücknahme der Arbeitsreform. Der Marsch vom Dienstag sollte eine Machtdemonstration sein, Martinez hatte eine "enorme" Mobilisierung angekündigt. Entsprechend hoch fiel seine Schätzung der Teilnehmerzahl am Abend aus: Der CGT zufolge demonstrierten allein in Paris eine Million Menschen. Die Behörden zählten nur rund 80 000 Menschen - was nach offizieller Zählung dennoch der höchste Wert seit Beginn der Proteste im Winter ist.

Streiks zur EM
:Politische Streiks gehören verboten

Es ist Fußball-EM, die Franzosen streiken und alles nur, um Präsident Hollande zu erpressen. Gut, dass es so etwas in Deutschland nicht gibt.

Kommentar von Nikolaus Piper

Die Frage, wie viele Leute Martinez auf die Straße gebracht hat, entscheidet über seine Verhandlungsposition bei einem für Freitag geplanten Treffen mit der Regierung. Dann wollen er und Arbeitsministerin Myriam El Khomri erstmals seit März miteinander sprechen. Beide Seiten schieben sich die Schuld für die verfahrene Lage zu, wollen aber Dialogbereitschaft signalisieren. Umfragen zeigen, dass die Franzosen die Streiks leid sind. Zugleich wenden sie sich aber auch gegen die Regierung und ihren Plan einer vorsichtigen Liberalisierung des Arbeitsrechts.

Martinez verlangt den Verzicht auf eine zentrale Bestimmung, der zufolge Verhandlungen der Sozialpartner auf Ebene der Betriebe Vorrang vor Tarifverträgen oder arbeitsrechtlichen Regeln bekommen sollen. Die Regierung hofft dagegen, so die Wettbewerbsfähigkeit französischer Firmen zu stärken und eine "Kultur des Kompromisses" zu fördern. Im Arbeitsministerium hieß es, der Termin am Freitag sei die Gelegenheit "die Lage der Dinge zu klären". Man erwarte Martinez' Vorschläge zur Lösung der Krise. "Die Position der CGT hat sich verändert", glaubt El Khomri.

Wie Martinez erhofft sich die Ministerin in den nächsten Tagen einen Zugewinn an Verhandlungsmacht. Das Arbeitsgesetz wird gerade vom Senat geprüft. Die konservative Mehrheit dort wird etwa die Regelarbeitszeit von 35 Wochenstunden aushebeln wollen. El Khomri sieht hier die Chance, die eigene Gesetzesversion als geringeres Übel anzupreisen. Ende Juni kommt die Reform zurück in die Nationalversammlung, dann kann die Regierung das Gesetz in die Urfassung zurückversetzen.

Etwas Spielraum für Kompromisse mit der CGT könnte El Khomri am Donnerstag erhalten: An diesem Tag werden derzeit laufende Verhandlungen zur Defizitverringerung in der Arbeitslosenversicherung wohl endgültig scheitern. Die Arbeitgeber - deren Präsident die Gewerkschaften kürzlich einen "Terroristen" zieh - lehnen eine Erhöhung ihrer Beiträge kategorisch ab. Mit dem Scheitern der Verhandlungen fiele El Khomri die Aufgabe zu, eine Lösung auch für dieses Problem zu suchen. Sie könnte darin bestehen, in der Arbeitsreform neue Abgaben für Unternehmen einzuführen. Das wäre im Sinne der CGT.

Streiks beeinträchtigen vor allem Paris

Die Gewerkschaften setzten am Dienstag ihre Streiks fort. In Paris blieb der Eiffelturm geschlossen. Der Bahnverkehr ist seit zwei Wochen beeinträchtigt. Allerdings fahren die meisten Züge, erhebliche Störungen gibt es nur im Pariser Nahverkehr. Die Abfallberge, die sich streikbedingt in Paris angehäuft hatten, wurden entsorgt, obgleich mehrere Müllverbrennungsanlagen blockiert bleiben. Im Stromnetz kam es durch CGT-Aktionen zu Spannungsabfällen. Dagegen ist der Ausstand in fast allen Raffinerien Frankreichs beendet.

Trotz sinkender Streikbeteiligung und Ausschreitungen bei ihren Demonstrationen plant die CGT für den 23. und 28. Juni weitere Proteste. Die Teilnehmerzahlen der bisher größten Demonstration am Dienstag bleibt aber weit hinter jenen der von 2010 zurück, als tatsächlich mehr als eine Million Menschen gegen Sozialreformen auf die Straße gingen.

© SZ vom 15.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Streiks
:So beeinträchtigen die Streiks in Frankreich die Fußball-EM

Ausgerechnet zum Start der Europameisterschaft stören Streiks das öffentliche Leben. Züge fahren nicht, der Müll wird nicht abgeholt - und nun will auch noch Air France streiken.

Von Leo Klimm
Jetzt entdecken

Gutscheine: