Degler denkt:Das System mutiert

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Was folgt auf die globale Rezession? Im Post-Krisen-Kapitalismus bahnen sich schärfere Verteilungskämpfe an. Ein Zukunftsszenario.

Dieter Degler

Vor ein paar Jahren, als der Zusammenbruch der Finanzmärkte noch fern lag, veröffentlichte der Berliner Politologie-Professor Elmar Altvater ein interessantes Buch über "Das Ende des Kapitalismus - wie wir ihn kennen". Darin malte sich der Altlinke aus, wie der Kapitalismus untergehe und durch eine "solare und solidarische Gesellschaft" abgelöst werde. Setze sich allerdings der Kapitalismus fort, so seine These, endeten die Gesellschaften in "Barbarei".

Demonstration am 1. Mai in Berlin: Die Marktwirtschaft wird unsozialer. (Foto: Foto: dpa)

Ganz so schlimm wird es wohl nicht gleich kommen. Aber auf das solarsolidarische System werden der emeritierte Hochschullehrer und seine Anhänger wohl noch ein Weilchen warten müssen.

Denn eine der Folgen der großen Wirtschaftskrise wird, soviel kann man heute erkennen, eine etwas härtere Variante des alten Systems sein: Der Kapitalismus verhält sich ähnlich wie ein Virus, das sich nicht mehr ausbreiten kann: Es stirbt nicht aus, sondern mutiert zu einer neuen, aggressiveren Form. Soziale Gruppen, Branchen und Staaten stehen vor Verteilungskämpfen und daraus resultierenden Veränderungen, die eine neue Qualität haben. Drei Thesen sollen das deutlich machen:

Erstens: In Deutschland wird sich der Retrotrend zur Klassenrepublik mit dem Wandel von der Aufstiegs- zur Abstiegsgesellschaft verstärkt fortsetzen. Wohlhabende und die um ihr Auskommen fürchtende Mitte, die in den kommenden Jahren nichts mehr vom überschuldeten Staat zu erwarten haben, werden sich weiter gegen das wachsende Prekariat abgrenzen, das durch Randbelegschaften aus Leih- und Zeitarbeitern Zulauf erhalten wird. Die Schrödersche Agenda wird nicht zurückgedreht, wie sich viele wünschen, sondern verschärft werden müssen, weil immer weniger zu verteilen ist. Der Kapitalismus wird kälter, die soziale Marktwirtschaft unsozialer.

Zugleich werden die Begehrlichkeiten von Unternehmen gegenüber der Administration wachsen, nachdem die Regierung Merkel/Steinbrück mit Rettungsschirmen, Bürgschaften und Beteiligungen von HRE bis Opel den Dammbruch zugelassen hat und sich bereits heute mit rund 1100 Unterstützungsanträgen von Firmen auseinandersetzen muss.

Der Staat wird folglich immer stärker zum Unternehmer, direkt oder indirekt. Er wird es nicht besser können als freie Firmen, aber dafür weitere Teile seiner Restglaubwürdigkeit als gerechter Interessenausgleicher und sozioökonomische Clearingstelle einbüßen. Er wird sich als unfähig gegenüber dem Anspruch entpuppen, zugleich den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu bewahren, mittels intelligenter Investitionen Aufstiegsoptionen zu bieten und dauerhaft den allgemeinen Wohlstand zu sichern. Die Politikverdrossenheit wird deshalb weiter zunehmen, wenn sich nicht gar, wie manche Soziologen prognostizieren, neofaschistische Tendenzen breit machen.

Zweitens: Der Wettbewerb zwischen Staaten wird aggressiver geführt werden. Schon jetzt sitzen Russen, Inder, Chinesen, Araber und Amerikaner am Tisch, wenn irgendwo auf der Welt ein Unternehmen in Schieflage gerät. Stehen dann aus Unternehmersicht noch Risikopuffer wie staatliche Garantien oder Bürgschaften in Aussicht, wie derzeit bei Opel, sind solche Firmen ein gefundenes Fressen für jeden Privatinvestor oder staatliche Investmentfonds. Und denen geht es, auch da ist die Bundesregierung naiv, nicht um die Rettung von Arbeitsplätzen oder Traditionsmarken, sondern ums Geschäft. Ist nichts zu verdienen, scheiden sie als weiße Ritter aus.

Nationale Interessenlagen, die bereits in der Frage der Kontrolle der Finanzbranche oder bei der Stützung der Automobilwirtschaft zu innereuropäischen Verwerfungen geführt haben, werden künftig deutlicher artikuliert werden. Und die Verteilungskonflikte zwischen reichen und armen EU-Staaten, die schon jetzt am Rande des Staatsbankrotts entlangschrammen, dürften sich häufen.

Es wird in manchen Politikfeldern und Regionen auch gegenläufige Entwicklungen geben, die den Gesamteindruck etwas mildern könnten. So wird sich beispielsweise das kapitalistische Musterland USA wieder stärker in die Weltgemeinschaft einfügen. Barack Obama wird die Vereinigten Staaten in der Erziehungs- und Gesundheits-, der Energie- und Umweltpolitik näher an europäische Positionen und Standards heranführen. Er wird aber auch alles daransetzen, sein Land mit intelligenterem Kapitalismus fit zu machen für die Post-Krisen-Ära.

Drittens: Dass insgesamt die Wohlhabenden wohlhabend bleiben und die Armen ärmer werden, wird sich am stärksten in den Entwicklungsländern auswirken. Die Investitionen von Unternehmen in Drittweltstaaten haben bereits zu sinken begonnen und werden noch stärker zurückgehen, ebenso wahrscheinlich ist das auch für die staatlichen Transferleistungen. Parallel dazu werden die Einnahmen aus Exporten zurückgehen, und die in die erste Welt Ausgewanderten werden seltener Geld nach Hause überweisen, weil sie keine Jobs mehr haben. Folge aus alldem: Mehrere hundert Millionen Menschen werden in die Armut zurückfallen oder keine Chance mehr haben, ihr zu entkommen.

Und das darf man dann, da behält der altlinke Altvater recht, auch Barbarei nennen.

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