Darchinger über Schmidt:"In Wirklichkeit ist er ein Künstler!"

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Fotograf Jupp Darchinger hat Altkanzler Helmut Schmidt jahrzehntelang begleitet. Ein Gespräch über Schmidts Eitelkeit, sein Verhältnis zu Willy Brandt und seine verborgenen Talente. Mit Audioslideshow.

Bernd Oswald

Der Bonner Fotograf Jupp Darchinger, 83, hat Helmut Schmidt jahrzehntelang fotografisch begleitet, im In- und Ausland. Beide machten in der Bonner Republik parallel Karriere und wurden zu Größen Ihrer Zunft: Darchinger als Fotojournalist, Schmidt als Spitzenpolitiker. Darchinger fertigte mehr als 40.000 Bilder von Helmut Schmidt, darunter zahlreiche Porträts. Dabei entstand eine Freundschaft, die noch heute anhält. Ein Gespräch mit Jupp Darchinger aus Anlass des 90. Geburtstages von Helmut Schmidt am 23. Dezember.

sueddeutsche.de: Herr Darchinger, lassen Sie uns über Helmut Schmidt reden.

Jupp Darchinger: Er ist ja zurzeit in aller Munde. Alle Leuten nennen ihn ihren Helmut Schmidt, aber in Wirklichkeit ist er mein Helmut Schmidt.

sueddeutsche.de:  Wieso?

Darchinger: Kürzlich stand auf dem Titelbild der Zeit: "Unser Helmut Schmidt." Eine Unverschämtheit. Das ist doch eine Aufnahme von mir. Also ist es mein Helmut Schmidt (lacht).

sueddeutsche.de: Sind Sie mit ihm per Du?

Darchinger: Nein, ich war immer auf einer gewissen Distanz zu Helmut Schmidt. Er hat zu mir "Jupp" und "Sie" gesagt.

sueddeutsche.de: Haben Sie dann "Sie, Helmut" gesagt?

Darchinger: Nein, das wäre mir schon zu plump gewesen. Ich habe "Herr Bundeskanzler " oder vorher Herr Schmidt gesagt. Auch heute noch. Da lege ich größten Wert darauf, dass jeder seine Stellung behält.

sueddeutsche.de: Sie kennen Helmut Schmidt mehr als 50 Jahre lang. Was war Ihr anfänglicher Eindruck von ihm? Er gilt als spröde, arrogant, hatte sich schon früh den Spitznamen "Schmidt-Schnauze" erarbeitet.

Darchinger: Ich habe darunter nie "gelitten". Mir gegenüber war der Mann nie spröde oder abweisend. Ich habe immer auf gleicher Augenhöhe fotografiert. Helmut Schmidt und ich, wir brauchten uns. Er brauchte eine gute Öffentlichkeit. Er war nicht uneitel.

sueddeutsche.de: Ab wann hat Schmidt mitgekriegt, dass Sie nicht einer von vielen sind?

Darchinger: Er hat bald gemerkt, dass ich jemand war, der nicht mit ein paar Sätzen abzukanzeln war, sondern der auch seinen Mann steht. Ab Mitte der 60er Jahre habe ich Porträts von ihm gemacht, die ihresgleichen suchen. Da geht man schon auf den zu, der einen so abbildet. Das hat sich eingeschliffen zum gegenseitigen Erfolg. Ich will nicht behaupten, dass Schmidt äußerst großen Nutzen von meinen Fotos gehabt hätte, aber seine Eitelkeit und mein Tatendrang passten gut zusammen.

sueddeutsche.de: Dabei hatte Helmut Schmidt ja eigentlich ein kritisches Verhältnis zu Journalisten, die er schon mal als "Meute" und "Wegelagerer" bezeichnete.

Darchinger: Ja, gegen Wegelagerer hatte er etwas. Aber die ihm unterschobene Aversion gegen Journalisten ist nicht immer ganz richtig interpretiert worden. Ich habe das immer so aufgefasst, dass er erst mal einen Schutzschirm um sich aufbauen wollte, wenn er einer größeren Menschenmenge gegenüber trat, um etwas Distanz zu kriegen. Das war eine Verhaltenstechnik. Abfällig gemeint war das bei Helmut Schmidt mit Sicherheit nie. Er war ein Ehrenmann in jeder Beziehung, er hätte Menschen, auch nicht eine Berufsgruppe, nie absichtlich abfällig bezeichnet.

sueddeutsche.de: Sie gelten als sein Lieblingsfotograf.

Darchinger: Das hört sich ein bisschen einschmeichelnd an. Das stimmt so nicht. Er hat mal gesagt: Er ist einfach der Beste. Und zeigte dann mit dem Finger auf mich. Und dann gab es Schmidts DDR-Besuch im Dezember 1981. Kurz bevor Schmidt wieder mit dem Zug abfuhr, wollte er dem am Bahnsteig wartenden Erich Honecker verklickern: Und das ist der Darchinger, das ist der Beste. Da sagte Honecker mit seiner etwas lieblichen Stimme ganz entrüstet zu Schmidt,: Aber Herr Schmidt, ich kenne ihn doch! Honecker wollte damit sagen, er sei auch ein Weltmann.

Lesen Sie auf Seite zwei, warum an Helmut Schmidt ein Künstler verloren gegangen ist.

Jupp Darchingers Fotos von Helmut Schmidt
:Roter Kanzler in Schwarzweiß

Jupp Darchinger war fotografischer Chronist der Bonner Republik. Besonders bekannt war er für seine Aufnahmen von Helmut Schmidt.

sueddeutsche.de: Sie sagten mal über sich selbst, dass Sie beim Fotografieren ein schrecklicher Diktator sein konnten.

Jupp Darchinger in seinem Bonner Haus mit einem Exemplar seines Schmidt-Bildbandes. Darchinger hat sein Fotoarchiv der Friedrich-Ebert-Stiftung vermacht. (Foto: Foto: Oswald)

Darchinger: Stimmt. Wer sich nicht in meine Obhut begeben wollte, war nicht mein Mann oder meine Frau. Wenn sich der Partner nicht in die Obhut des Fotografen ergeben hätte, wären nie gute Fotografien zustande gekommen.

sueddeutsche.de: Hat das auch mit Helmut Schmidt geklappt? Oder haben Sie ihn wegen seines hohen Amtes vorsichtiger behandelt?

Darchinger: Wegen des Amtes sicher nicht. Das Zusammenspiel mit ihm war einfach. Er war einsichtig und eitel. Er hat gewusst, wie wichtig es war, sich zu ergeben. Er hat mitgemacht, so wie ich mir das vorgestellt habe. Aber wenn Sie ihm das heute sagen, dass das so gewesen ist, wird er sagen: "Nee" oder "Ich kann mich daran nicht erinnern." So wollte ich es haben: Dass es die Leute hinterher wieder vergessen.

sueddeutsche.de: Sie durften Helmut Schmidt ja sogar im Urlaub fotografieren. Wie haben Sie das geschafft?

Darchinger: Ich bin mal nach einem der zahlreichen Spiegel-Gespräche, die am Brahmsee in seinem Ferienhaus stattgefunden haben, noch dageblieben. Schmidt hatte mich wissen lassen: "Bleib noch hier." Dann sind wir noch mal mit der Kamera losgezogen, so was ist vorgekommen. An einem dieser Tage hat Helmut Schmidt für mich gemalt. In Wirklichkeit ist er ja ein Künstler!

sueddeutsche.de: Wie bitte?

Darchinger: Aber sicher! Hier und da ist es mal hervorgeblitzt, dass er Architekt hätte werden wollen. Als Architekt wäre er berühmt geworden. Die Möglichkeiten und Fähigkeiten, die dieser Mann in der schöpferischen Kunst hatte, sind nie richtig geweckt worden. Ich konnte beobachten: Sein Malen und sein Musizieren - er spielte gerne Klavier - das war seine Welt, da war der Mann wirklich zuhause.

sueddeutsche.de: Was hat er denn damals gemalt?

Darchinger: Einen Ausschnitt der Skyline von New York. Da spielten die zwei Türme des World Trade Centers eine Rolle. Alles war ein bisschen expressionistisch. Die zwei parallelen Türme waren immer im Bild drin. Es war zu Anfang hell, in eine freundliche Zukunft orientiert. Im Laufe des Malens - es hat lange gedauert und ich habe zwischendurch immer mal wieder fotografiert - wurde das Bild immer dunkler.

Erst war nur ein Halbmond in einem sehr hellen Himmel stehend, dann wurde das immer dunkler, nachher war es eine finstere Angelegenheit. Ich kenne die Beweggründe nicht, aber wenn ein Mensch vom Kaliber Helmut Schmidt malt, fühlt er etwas. Zukunftsvisionen wäre wohl zu weit gegriffen.

sueddeutsche.de: Ab wann hatten sie den Eindruck, dass aus Helmut Schmidt noch mal was wird?

Darchinger: Dass Helmut Schmidt jemand ist, der die Puppen tanzen lässt, eine starke Persönlichkeit, der einmal eine dominante Führungspersönlichkeit werden würde, das hatte ich schon früh erkannt. Spätestens, nachdem er 1965 aus Hamburg wieder nach Bonn kam und bald danach Fraktionsvorsitzender wurde.

sueddeutsche.de: Was zeichnete Schmidt damals aus?

Darchinger: Damals wahrten Politiker von CDU und SPD in der Öffentlichkeit Distanz zueinander. Sie hatten Angst, ihnen könnte ein Zacken aus der Krone brechen. Dann habe ich mit zunehmendem Maße festgestellt: Der Schmidt spricht mit dem Barzel (Anm. d. Red: von 1964-1973 CDU/CSU-Fraktionsvorsitzender). Öffentlich. Das war neu. Das hat sich weiterentwickelt. Es waren die Sozialdemokraten, die auf die anderen zugingen, auch auf die FDP. Helmut Schmidt hatte da keine Berührungsängste, der war freizügig, ein echter Demokrat.

Lesen Sie auf Seite drei, welchen Affront sich Helmut Kohl bei der Kanzleramtsübergabe 1982 leistete.

sueddeutsche.de: Schmidt und Barzel haben sich als Fraktionschefs kennen- und schätzengelernt.

Darchinger: Ja und das hat auch über die Zeit der großen Koalition hinaus angehalten. Als das Ergebnis des Misstrauensvotums gegen Schmidt 1982 bekannt gegeben wurde, ging Rainer Barzel auf Helmut Schmidt zu. Ich hab das damals fotografiert. Man konnte fast denken, er habe Schmidt sein Beileid ausgesprochen, dass der Kohl ihn gestürzt hat - obwohl Barzel selbst zehn Jahre zuvor auch ein konstruktives Misstrauensvotum gegen Willy Brandt versucht hatte. Jedenfalls fasste Barzel Schmidt an der Schulter. Das war eine starke Gesten, die waren wichtig für unseren Staat für die Demokratie, den Umgang miteinander.

sueddeutsche.de: Wenige Tage später waren Sie mit Ihrer Kamera dabei, als Schmidt das Kanzleramt an Kohl übergeben musste.

Darchinger: Dabei ist ein schlimmes Bild entstanden. In der Nacht hat Kohl in Schmidts Arbeitszimmer ein Adenauer-Bild aufhängen lassen, das war kein feiner Zug. Das hätte Kohl nicht machen dürfen.

sueddeutsche.de: Auch zu seinem Vorgänger Willy Brandt hatte Schmidt nicht immer das beste Verhältnis, wie manche ihrer Bilder zeigen.

Darchinger: Natürlich habe ich Fotografien von den beiden, die nicht so kameradschaftlich-freundschaftlich sind. Man hat auch auf solche Aufnahmen gelauert, weil sie im Markt gefragt waren. Die Wahrheit war anders. Natürlich gibt es Differenzen zwischen Menschen, die sich ähnlich sind und gleiche Ziele anstreben. Ich habe mindestens drei Mal so viel Aufnahmen von beiden, wo die beiden herzlich und freundschaftlich miteinander umgingen, vor allem wenn es um die Partei ging.

sueddeutsche.de: Willy Brandt war doch mehr das Herz der Partei, Helmut Schmidt der Verstand. Schmidt war zwar immer hoch geachtet, aber die Ikone der Partei ist immer Willy Brandt geblieben.

Darchinger: Das hat verschiedene Gründe. Der Willy war vom Naturell her ganz anders programmiert als Helmut Schmidt. Dem ging es um Akkuratesse, um Arbeitsergebnisse. Willy Brandt war mehr ein Mann des Laisser-faire, es wird sich schon richten, war seine Devise. Die Gefühle spielten bei ihm sicher eine sehr viel größere Rolle, Helmut Schmidt hätte einiges nicht so durchgehen lassen. Willy Brandt war der große Visionär. Er hatte Vorstellungen, wie es sein könnte, Helmut Schmidt hatte mehr die Vorstellung, wie es sein kann.

sueddeutsche.de: Schmidt hatte 1974 nach eigenem Bekunden Angst, Bundeskanzler zu werden. Wie haben Sie das wahrgenommen damals im Bundestag?

Darchinger: Nach der Vereidigung nahm Schmidt als Kanzler auf der leeren Regierungsbank Platz. Da habe ich Großaufnahmen von ihm gemacht, auf denen man sehr gut seine Mimik und seine Gefühle beobachten kann. Er hat dieses Amt nicht leichtfüßig und mit fröhlichem Herzen angetreten. Das war für ihn die Übernahme einer großen Verantwortung.

sueddeutsche.de: War das auch auf Ihren Bildern zu spüren?

Darchinger: Dieses Verantwortungsgefühl hat sich nicht nur in der Politik gezeigt. Ich habe mal einige Bilder von ihm beim Jolle-Segeln auf dem Brahmsee gemacht. Ich war auch in dem Bötchen, obwohl für einen Dritten eigentlich gar kein Platz war. Da war nicht ganz ungefährlich. Helmut Schmidt hat es trotzdem gemacht. Mit welchem Ernst und Verantwortungsgefühl er das gemacht hat, das hat mich immer beeindruckt. Ordentlich, sauber und akkurat, das ist das, was Helmut Schmidt ausmacht.

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