CSU-Machtkampf:Seehofer in der Narrenwelt

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Zufall oder Intrige? Die immer neuen Geschichten über das Privatleben von Horst Seehofer kollidieren nicht nur mit seiner Kandidatur für den CSU-Vorsitz. Sie fallen auch genau in die Karnevalszeit.

Hermann Unterstöger

Man kann eine Wagenladung Elferräte drauf verwetten, dass die Causa Seehofer, also die amourösen und in der Folge davon familiären Turbulenzen um unseren Landwirtschaftsminister, bei den Faschingsumzügen und Karnevalssitzungen eine bedeutende Rolle spielen werden.

Auch Tierschützer nutzen die Affäre um den Landwirtschaftsminister, um auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen (Foto: Foto: AP)

Und auch der Mann von der Straße macht sich natürlich seine Gedanken dazu, speziell wenn er sich mit seinesgleichen zum Stammtisch ballt und den Gang der Welt erörtert. Da wird man, saisonal nicht unpassend, das Ganze eine Riesengaudi nennen, und weil der kleine Mann, sei es aus Rochus gegen die kirchliche Obrigkeit oder aus dem Wissen um die eigene Fehlbarkeit, zudem über eine stets wache Sympathie mit dem Sünder gebietet, wird er es nicht versäumen zu sagen, dass dieser Horst Seehofer "schon ein Hundling" sei.

Was den Fall darüber hinaus zu einem echten Sujet für den Fasching zu machen scheint, ist der Umstand, dass sich schon etliche Kirchenfürsten dazu haben vernehmen lassen. Den Anfang machte der neue Eichstätter Bischof Gregor Maria Hanke, vormals Abt der Plankstettener Benediktiner, wobei man dessen Adhortatio, vulgo: geistliche Einrede, noch als familiär freundschaftlichen Rüffel verstehen konnte. Immerhin kennen sich die beiden, wenn sie nicht gar, wie das heute oft formuliert wird, "miteinander können".

"Wie weit sind wir eigentlich gekommen?"

Diesem Trommelwirbel folgte ein Paukenschlag, indem sich jetzt auch der Kölner Kardinal Joachim Meisner zu Wort meldete und Seehofers Eignung für den Vorsitz in einer christlichen Partei in Frage stellte. Halb an-, halb wehklagend rief er aus: "Wie weit sind wir eigentlich gekommen?"

Tja, wie weit? Dem moralischen Vorwurf, der sich hinter dieser rhetorischen Blendgranate verbirgt, kann hier nicht nachgegangen werden, unter anderem deswegen, weil die CSU selbst in ihren Kernlanden nicht als dermaßen christlich gilt, dass sie nicht auch von Sündern, schwächeren wie stärkeren, ganz gut geleitet werden könnte.

Faschingstheoretisch aber sind wir so weit gekommen, dass wir eine Art Umkehrung der Umkehrung registrieren müssen, womit das Wort für ein paar Takte an Augustinus weitergegeben sei. Dieser große Kirchenlehrer, der vor seiner Berufung übrigens ein fast ebenso großer Sünder war, entwickelte in seiner Schrift "De civitate Dei" die Vision zweier Reiche, in der sich die civitas Dei und die civitas Diaboli, der Gottes- und der Teufelsstaat, auf Gedeih des einen und Verderb letztlich des anderen gegenüberstehen.

Nur der Sünder büßt richtig

Der Fasching alias Karneval war nun, wie der in volkskundlichen und theologischen Dingen gleichermaßen beschlagene Dietz-Rüdiger Moser ausführlich erörtert hat, die Verkehrung dieses Zwei-Staaten-Modells in sein Gegenteil, dergestalt, dass das Reich der Finsternis, repräsentiert durch ein vielgestaltiges Narrentum, für ein paar Tage die Herrschaft an sich zog, besser gesagt: ziehen durfte, da diese temporär limitierte verkehrte Welt wenn schon nicht den Segen, so doch die Billigung der Obrigkeit hatte.

Nicht wenige Päpste förderten das grobe Treiben, und als pastoraltheologische Entschuldigung dafür konnte dienen, was der Franziskaner Johannes Meder 1494 geschrieben hatte: dass, wer die Krankheit nicht kenne, auch nicht für die Medizin zu sorgen verstehe. Nur der Sünder kann, mit einem Wort, richtig büßen.

Wollte man die Seehoferschen Verwirrungen in diese verkehrte Welt einbauen, gewänne der geschurigelte Politiker die Würde dessen, der erst stolpern musste, um wieder Tritt fassen zu können. In der Narrensphäre ist das, wie skizziert, ein überaus honoriger Status, und dementsprechend wäre es das denkbar Verkehrteste und Überflüssigste, da auch noch predigend draufzuhauen. Kluge Kirchenmänner berücksichtigen das und lassen sich für die Dauer des närrischen Regiments das rügende Wort gern entwinden, so wie ja auch die Bürgermeister ihren Rathausschlüssel den Narren willig aushändigen, wohl wissend, dass die falsche Ordnung von kurzer Dauer ist und dass danach der Hammer wieder da hängt, wo er hingehört.

Moralisch auf der sicheren Seite

Um aber jetzt die Narren und ihren seltsamen Kosmos nicht über Gebühr zu strapazieren, so bietet es sich an, das Drama um Seehofer noch vor einem anderen Hintergrund vorzustellen. Er ist der Faschingskulisse insofern ähnlich, als auch bei ihm Lärm und Mummenschanz eine große Rolle spielen.

Die Rede ist von dem alten, besonders im bayerischen Oberland einst gern und exzessiv betriebenen Brauch des Haberfeldtreibens. Es handelte sich dabei um eine Art mobiles Rügegericht, dessen Mitglieder ausschließlich Männer waren und das sich, in seinen Anfängen jedenfalls, charakteristischerweise auf das Ausschreien und Anprangern sogenannter gefallener Mädchen kaprizierte. Wenn diese Femerichter, die "Haberer", Wind davon bekamen, dass ein lediges Frauenzimmer schwanger war, zogen sie nachts vor deren Haus und veranstalteten dort einen Höllenlärm. Es würde nicht verwundern, wenn der Kindsvater mitkrakeelt und sich moralisch auf der sicheren Seite gefühlt hätte.

Der Unfug des Haberfeldtreibens wurde von den Behörden bekämpft, nicht etwa um der Unmoral Vorschub zu leisten, sondern um die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten. Wie auch immer, der Brauch versandete um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, und wenn man dazu nicht sagen kann: Das ist auch gut so, dann deswegen, weil eben nur seine äußere Form verschwand, diese Krawallmacherei, der man ja noch das eine oder andere an folkloristischer Kraft abgewinnen konnte.

Die Lust, in fremden Nasen zu bohren

Die den Brauch tragende Gesinnung, diese Lust, in fremden Nasen zu bohren und das Ergebnis allgemein zugänglich zu machen, hat sich erhalten, was bei Gesinnungen ja nicht weiter erstaunt. Sie betreibt ihr Geschäft vornehmlich und mit gewaltiger Wirkung in den Medien, wobei - so viel Gewissenserforschung muss auch vor dem Aschermittwoch schon möglich sein - alle Medien einbezogen seien: Selbst wenn nur ein oder zwei Blätter vorpreschen, rennen die übrigen alsbald hinterher, mit der schönen Ausrede, dass die Sache nun mal in der Welt sei und durch Schweigen nicht besser werde.

Der Gewissenserforschung folgen gemäß alter Beichtordnung das Sündenbekenntnis und die Buße. In unserem Kontext liefe das darauf hinaus, dass die Medien, von Reue überwältigt, sich künftig am Riemen reißen und anderer Leute Verfehlungen nur dann geißeln, wenn es dafür steht, wie die Österreicher sagen. Dafür steht es, wenn erstens die Sünde, egal ob das ein aushäusig gezeugtes Kind ist oder ein über die Bürozeit hinaus benütztes Dienstfahrzeug, mit der öffentlichen Funktion des Sünders in Verbindung steht und wenn zweitens der Publikation die Chance innewohnt, Schaden zu wenden: vom Staat, vom Volk, von der Demokratie, vom Amt, von wem immer.

Ist so eine Chance nicht zu erkennen, sollte man, und sei die Versuchung noch so groß, nicht ins Haberfeld treiben, sondern den Sünder und die Sünderin, von der Frucht ihrer Sünde gar nicht zu reden, im Frieden lassen.

© SZ vom 17.2.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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