Corona-Impfung:Retter der Normalität

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Die Hoffnung auf einen Impfstoff ist realistisch. Doch niemand kann heute seriös sagen, wann er zur Verfügung stehen wird. Und auch dann sind längst noch nicht alle Probleme mit dem Virus gelöst.

Von Christina Berndt

Die Welt ist auf der Suche nach dem Heiligen Gral. Bis ins Mark erschüttert von einer Krise, die kein Lebender je in dieser Form erfahren hat, hoffen einfache Leute wie Regierungschefs auf einen rettenden Kelch. Er soll die Rückkehr in eine Welt ermöglichen, die bislang die einzig bekannte Welt war. Eine Welt, in der das neue Coronavirus keine Bedrohung ist. Eine Welt mit einem Impfstoff.

"Wenn erst ein Impfstoff da ist ...!" So lautet die verheißungsvolle Botschaft, mit der Regierende den Menschen die Angst vor Sars-CoV-2 nehmen und ihnen Hoffnung auf die Rückkehr ins gewohnte Leben machen. Tatsächlich wäre ein Impfstoff so etwas wie der Retter der Normalität. Nur wenn das Virus Menschen nichts mehr anhaben kann, besteht eine Chance auf das Ende der Pandemie. Und da die Entwicklung natürlicher Immunität mit entsetzlich viel Tod und Leid einherginge, sind Impfungen die einzige Lösung.

Doch ob und wann es einen Impfstoff geben wird, steht nicht einmal in den Sternen. Weder Astronomen noch Immunologen oder Virologen können eine verlässliche Antwort geben. So exakt Wissenschaft auch oft ist: Sie gibt nicht immer exakte Antworten und kann schon gar keine unumstößlichen Wahrheiten liefern. Wissenschaftler blicken selten in die Zukunft, ihre Kernkompetenz ist es, Zusammenhänge im Hier und Jetzt zu ergründen - mit Experimenten, deren Ausgang sie eben nicht kennen - und die daraus resultierenden Erkenntnisse zu bündeln. Es ist gut, dass die Gesellschaft jetzt mehr auf die Wissenschaft hört, das sollte auch bei Themen wie Klimawandel und Antibiotikaresistenzen so sein, die ein ähnliches Bedrohungspotenzial haben wie Sars-CoV-2. Aber selbst die klügsten Forscher sind keine Propheten, die die Ergebnisse von morgen wissen und jedes Problem ohne Nebenwirkungen lösen - schon gar nicht bei einem nie dagewesenen Virus.

Deshalb sind die Nachrichten zum Thema Impfung derzeit auch so unterschiedlich. Während Frankreichs Chefvirologe jüngst Zweifel anmeldete, ob ein Impfstoff vor 2022 verfügbar sein werde, glaubt der Immunologe Anthony Fauci, der so viel Wahres über Covid-19 sagte, dass ihn der US-Präsident nicht mehr hören will, an eine baldige Entwicklung.

Fakt ist: Es gibt einige vielversprechende Impfstoffkandidaten. Mehr als 160 befinden sich in der Entwicklung, 23 werden bereits am Menschen erprobt - zum Teil mit Erfolg. Noch diesen Monat sollen Studien der Phase III, der letzten klinischen Phase vor der Zulassung, mit jeweils Zehntausenden Teilnehmern beginnen. Das macht begründete, evidenzbasierte Hoffnung. Es leuchtet am Ende des Tunnels.

Fakt ist aber auch: Niemand weiß, wie lang der Tunnel ist. Oft scheitern Testsubstanzen noch in Phase III - nachdem sie jahrelang brillierten. Das Potenzial, die Welt zurück in die Prä-Covid-Ära zu beamen, haben aber nur Impfstoffe, die effektiv sind - und wenig Nebenwirkungen haben. Bei allem Druck, der auf Forschern und Regierungen lastet, ist bei Impfstoffen besondere Vorsicht angezeigt. Geimpft werden schließlich gesunde Menschen, die dadurch zuallererst nicht krank werden dürfen. Und selbst seltene Nebenwirkungen bleiben nicht selten, wenn Milliarden Menschen eine Impfung erhalten.

Sollten Impfstoffe wirklich schon im kommenden Jahr zur Verfügung stehen, dann wäre das jedenfalls Rekordtempo. Nie zuvor ist in einem derart kurzen Zeitraum ein Vakzin gegen einen neuartigen Erreger entwickelt worden. Als Faustregel galten bislang mehrere Jahre, eher 15 als zehn. Noch dazu wirken mehrere Impfstoffe, die derzeit als Hoffnungsträger gelten, auf der Basis einer besonderen Erbsubstanz, der mRNA. Das ist ein völlig neuartiges Prinzip, weltweit hat noch kein mRNA-Impfstoff eine Zulassung.

In jedem Fall wird ein Impfstoff nicht einfach die Lösung aller Corona-Probleme sein. "Wenn erst ein Impfstoff da ist ....", muss noch einiges getan werden. Ein Vakzin kann nur dann etwas nützen, wenn es in ausreichender Menge hergestellt wird und wenn diejenigen es bekommen, die die Krankheit am stärksten verbreiten oder die es am meisten brauchen - und letztlich auch nur, wenn es bezahlbar ist. Gut möglich, dass wegen der offenbar schnell nachlassenden Antikörperantwort auf Sars-CoV-2 bald nachgeimpft werden muss; dann wäre der Bedarf an Impfdosen noch höher.

Schon heute sollten Regierungen daher nicht nur Vorkaufsrechte sichern, sondern auch über Verteilungspläne nachdenken, über Preise verhandeln und in Produktionsstätten investieren - möglichst nach einem internationalen Plan, der auch ärmere Regionen berücksichtigt. Sars-CoV-2 hat so stark und intensiv wie kein Appell gezeigt, dass die Bürger dieser Welt alle Menschen sind. Sie teilen nicht nur gemeinsame Werte und dieselben biochemischen Prozesse hinter ihren Gedanken und Gefühlen. Sondern sie teilen auch dieselben Erreger, mitunter bedrohliche. Es wäre gut, darauf zeitig eine gemeinsame und gerechte Antwort zu finden.

© SZ vom 17.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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