Corona-Hilfen:Maultaschen für alle

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Kostenlose Tests: In Tübingen und Umgebung ist eine mobile Teststation täglich unterwegs - hier auf dem Marktplatz der Universitätsstadt. (Foto: Ulmer/imago images)

Tübingens Oberbürgermeister behauptet, dass seine Stadt sich in der Pandemie besonders großzügig für ältere Mitbürger einsetzt. Doch stimmt das eigentlich?

Von Claudia Henzler

Boris Palmer ist Oberbürgermeister einer alten Universitätsstadt. Vergangene Woche aber hat er Tübingen in einem Gastkommentar für Die Welt als "gallisches Dorf" bezeichnet. Damit wollte der grüne Kommunalpolitiker, der gerne über die eigene Stadt hinaus wirkt, deutlich machen, dass Tübingen im Kampf gegen die Corona-Pandemie aus seiner Sicht eine Sonderstellung einnimmt. Man habe sich "dem Schutz der besonders gefährdeten Personen erfolgreich verschrieben", behauptete Palmer und plädierte dafür, dass sich das ganze Land den "Tübinger Weg" zum Vorbild nehmen sollte. "Zuletzt" habe es in der Stadt mit ihren 90 000 Einwohnern keine Infizierten über 75 Jahre gegeben. Und: "Wir hatten seit Mai keinen einzigen Ausbruch in einem Alten- und Pflegeheim im Stadtgebiet."

Damit hat sich Palmer mutig weit aus dem Fenster gelehnt. Schließlich ist Tübingen keine Insel und das Virus bekannt dafür, dass es sich schnell und aggressiv ausbreiten kann. Für die Stadt wird die Sieben-Tage-Inzidenz nicht offiziell ausgewiesen, im Landkreis Tübingen aber steigt dieser Wert seit Wochen stetig - aktuell liegt er bei 176.

Nachdem Palmers Aufsatz am 8. Dezember erschienen war, hat sich nicht nur herausgestellt, dass ihm einiges entgangen war. Etwa, dass es durchaus Infektionen bei Bürgern jenseits der 75 gab. Deren Zahl hat inzwischen deutlich zugenommen. Laut Landratsamt wurden vergangene Woche in Tübingen 24 Neuinfektionen in der Altersgruppe 75 plus gemeldet.

Und bei den Pflegeheimen musste die Stadt am 10. Dezember einen Ausbruch melden. Zunächst waren zwei Bewohner und drei Mitarbeiter infiziert, inzwischen sind es sechs Bewohner und vier Pflegekräfte. Am Montag gab die Stadt dann bekannt, dass zwei weitere Einrichtungen betroffen sind - und in einer davon wurden gleich 19 Bewohner und sieben Beschäftigte positiv getestet. Für dieses Heim gilt nun ein Besuchsverbot.

Was aber meint Palmer überhaupt mit dem "Tübinger Weg"? Tatsächlich gibt es in der Stadt ein paar Besonderheiten. So kommen bedürftige Senioren dort leicht an kostenlose FFP2-Masken. Außerdem finanziert die Stadt ein Anruf-Taxi, das ältere Bürger zum Preis einer Busfahrt zum Arzt oder zum Einkaufen bringt. Zwischen 50 und 55 Menschen über 60 Jahren nutzen dieses Angebot laut den Stadtwerken täglich.

Der OB zählt etwas zu seiner Strategie, für das andere verantwortlich sind - und andere finanzieren

Der Oberbürgermeister zählt auch die kostenlosen Schnelltests zu seiner Strategie. Wer will, kann sich an drei Tagen in der Woche ohne Anlass auf das Coronavirus untersuchen lassen. Es handelt sich um eine Aktion zur Adventszeit, die den Tübingern etwas mehr Sicherheit verschaffen soll, wenn sie einen Besuch bei den Großeltern planen. Für dieses Angebot ist jedoch nicht die Stadt verantwortlich, sondern der Kreisverband des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) und dessen Präsidentin, die Ärztin Lisa Federle. Das Testmobil macht auch in anderen Orten im Landkreis Station. Die Schnelltests werden aus einer Spendenaktion des Schwäbischen Tagblatts finanziert.

Dass Palmer und die Stadt Tübingen für etwas gefeiert werden, was den ganzen Landkreis betrifft, ärgert dessen Landrat Joachim Walter (CDU). Der weist darauf hin: "Im Kreis Tübingen hat Dr. Lisa Federle das Testmobil auf die Beine gestellt, sie hat die flächendeckenden Testungen angeregt, und sie war es auch, die die Schnelltests für Seniorenheime und Familien durchgesetzt hat, die Weihnachten miteinander feiern wollen."

Trotzdem kann man auch die Stadt ein bisschen loben. Für Tests in Alten- und Pflegeheimen haben Palmer und der Gemeinderat 250.000 Euro lockergemacht, damit Mitarbeiter und Bewohner regelmäßig untersucht werden können. Und sie haben die Aktion des DRK finanziell unterstützt, bei der alle Heime im Umgang mit den Schnelltests geschult wurden. Auch jetzt stellt Tübingen den Einrichtungen bei Bedarf unbürokratisch Tests zur Verfügung. Der Bund hat zwar im Oktober die Rahmenbedingungen geschaffen, damit Heime solche Schnelltests selbst kaufen und mit den Pflege- und Krankenkassen abrechnen können, doch die Umsetzung lief gerade am Anfang zäh.

Ist das aber wirklich ein Sonderweg? Auch andere Kommunen haben ihren Heimträgern in den vergangenen Monaten unter die Arme gegriffen. So hat zum Beispiel die Stadt Stuttgart im Frühjahr zunächst Schutzmasken aus eigenem Bestand abgegeben. Im Oktober hat dann das stadteigene Klinikum Testkits an die Alten- und Pflegeheime der verschiedenen Träger im Stadtgebiet verteilt und den Mitarbeitern gezeigt, wie sie die Besucher testen können.

Flächendeckend untersucht werden Heimbesucher übrigens bis heute weder in Stuttgart noch in Tübingen. Denn auch wenn die Schnelltests zur Verfügung stehen: Viele Häuser können diese zusätzliche Aufgabe personell nicht stemmen.

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