China:Rambopolitik statt Reformen

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China habe in 40 Jahren geschafft, wofür andere Industrienationen Hunderte Jahre brauchen: Zum 40. Jahrestag der Reformpolitik lobte Präsident Xi das Erreichte in der „Großen Halle des Volkes“ in Peking. (Foto: Wang Zhao/AFP)

Nach 40 Jahren Reformpolitik ist unklar, wie es in China weitergehen soll. Mit seinem aggressiven Vorgehen im In- und Ausland könnte Präsident Xi die Erfolge der vergangenen Dekaden verspielen.

Von Lea Deuber, München

Offenheit bringe Fortschritt, Zurückgezogenheit führe zu Rückständigkeit: In einer Rede zum 40. Jahrestag der Reform- und Öffnungspolitik versprach Chinas Präsident Xi Jinping am Dienstag in Peking weitere Reformen und bessere Zugänge für ausländische Firmen im Land. China habe geschafft, "wofür Industrieländer mehrere Hundert Jahre benötigt haben", sagte der Präsident. In seiner Rede erinnerte er an Deng Xiaoping, der nach Jahren des ideologischen Irrsinns unter Mao Zedong im Dezember 1978 Wirtschaftsreformen wagte, um einen Zusammenbruch des Landes zu verhindern. Chinas Anteil an der weltweiten Wirtschaftsleistung sei seitdem von 1,8 Prozent auf 15,3 Prozent angewachsen, so der Präsident.

Vier Jahrzehnte nach der wirtschaftlichen Öffnung ist China die zweitgrößte Wirtschaft der Welt und ein einflussreicher Akteur auf der politischen Weltbühne. Doch trotz des Erfolges steht Chinas Präsident unter Druck. Die Zeiten des Turbowachstums sind vorbei. China hat lange Zeit von niedrigen Löhnen und leichten Produktionszuwächsen profitiert. Das Land wurde zur Werkbank der Welt. Das Problem ist: Inzwischen sind die Gehälter vielerorts zu hoch, die Produktivität aber zu niedrig. Deshalb verlassen Fabriken das Land und ziehen nach Südostasien weiter.

Kritiker beklagen, dass sich das Land seit Xis Amtsantritt wieder rückwärts bewegt

Um weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben, muss sich die Wirtschaft modernisieren. Aber Präsident Xi Jinping scheut weitere Reformen. Kritiker beklagen, dass sich das Land seit Xis Machtübernahme vor sechs Jahren wieder rückwärts bewegt. Der Präsident gebe sich zwar als Vorkämpfer des freien Welthandels. Maßnahmen zum Abbau von Marktbarrieren, gegen die Diskriminierung ausländischer Firmen oder den Technologieklau blieben aber weitgehend aus. Wie groß die Sorge darüber ist, zeigte im September Kritik aus der eigenen Partei: Deng Pufang, Sohn des Reformers Deng, warf dem machthungrigen Präsidenten vor, zentrale Aspekte der Reformpolitik seines Vaters zu missachten. Das Land müsse sich zurückbesinnen auf dessen Pragmatismus: "Die Wahrheit in den Tatsachen suchen", wiederholte er die berühmten Worte seines Vaters.

Öffentliche Kritik an Xi ist selten geworden. Beim 19. Parteitag im Herbst 2017 hat der Generalsekretär der Kommunistischen Partei und Präsident Chinas seine Macht zementiert. In allen Bereichen des öffentlichen Lebens beansprucht die Partei nun wieder die uneingeschränkte Führung und Kontrolle. Die Amtszeitbeschränkung hat der Präsident aufgehoben. Nun ist noch unwahrscheinlicher geworden, was selbst der Pragmatiker Deng mit seiner Reformpolitik verhindern wollte: Dass der Kern des Staates angegriffen und das politische System reformiert werden können. Die Kommunistische Partei hat trotz der schnellen wirtschaftlichen Entwicklung ihre Macht nie abgetreten. Bei seiner Chinareise hatte jüngst erst Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erklärt, dass man in Deutschland stets davon ausgegangen sei, dass China dem Westen immer ähnlicher werden würde - und dass auf seinem Weg zum Wohlstand gesellschaftliche und internationale Öffnung folgen werden. Die Erwartungen hätten sich aber nicht erfüllt. Gesellschaftlich geöffnet hat sich das Land jedoch. In China ist durch die wirtschaftliche Entwicklung eine selbstbewusste Mittelschicht entstanden, die sich vom wohlhabenden Bürgertum in anderen Ländern kaum unterscheidet. Lange gehörten diese Menschen zu den zufriedensten in China: Sie waren nicht frei, aber profitierten von immer mehr Freiheit und zunehmenden Wohlstand. Solange Peking lieferte, kümmerten sich die Mittelschicht nicht um Politik. Die Aufhebung der Amtszeitbeschränkung war aber für viele ein Schock. Mit Xis Ideologie-Offensive können viele nur wenig anfangen. Die meisten haben sie bisher ignoriert.

Wenn es wirtschaftlich aber nicht mehr so gut läuft, könnte Peking die Zustimmung dieser Bürger jedoch schnell verlieren. Bereits jetzt spüren viele Menschen erste Einschnitte. Die Gesellschaft überaltert. Die Schere zwischen arm und reich geht immer weiter auseinander. Das Gesundheitssystem ist überlastet. Mit abflauendem Wirtschaftswachstum schwindet zudem die Hoffnung für viele ärmere Menschen auf ein besseres Leben. Um diese abzulenken, befeuert der Präsident in den vergangenen Jahren einen stürmischen Nationalismus. Der allerdings könnte auch schnell gegen die Regierung kippen.

Einer der größten Erfolge Chinas seit der Öffnung ist, das eigene politische System als eine Alternative zu den liberalen Demokratien des Westens etabliert zu haben. China, das Land mit dem Masterplan, das immer zur rechten Zeit die richtigen Projekte anschiebt: Selbst im Westen war Bewunderung für die scheinbar kühlen Wirtschaftslenker in Peking zu hören.

Weltweit wächst die Sorge, dass China seine wirtschaftliche Macht für geopolitische Ziele nutzt

Die Realität ist jedoch eine andere. Politik und Wirtschaft waren sich immer nahe, doch Chinas Erfolg liegt in der Umstellung von Plan- auf Marktwirtschaft und dem Vertrauen in Privatbetriebe. Mit seiner aggressiven Industriepolitik hat Peking aber den Eindruck erzeugt, dass hinter jeder Übernahme im Ausland der Staat steckt. Die Modernisierung der Wirtschaft, Erfolgsfirmen wie Huawei, gegen deren Finanzchefin nun in den USA ermittelt wird, stehen nicht mehr für die Innovationskraft Chinas, sondern für das unfaire Spielverständnis Pekings. Dabei verteilt die Regierung ihre Subventionen mit der Gießkanne. Der Erfolg solcher Programme ist bestenfalls durchwachsen. Nur wenige Firmen, die so entstehen, sind technologisch wettbewerbsfähig.

Die Rambopolitik von Präsident Xi hat das Land nun in eine schwierige Lage gebracht. Weltweit wächst die Sorge vor Chinas wirtschaftlicher Macht, die das Land nutzt, um geopolitische Interessen durchzusetzen. Mit der wachsenden Feindschaft zwischen Washington und Peking muss die Regierung beweisen, dass China so mächtig ist, wie Xi es dem Volk in den vergangenen Jahren weismachen wollte. Möglicherweise hat er sich damit aber zu früh aus der Deckung gewagt, kritisieren viele. Noch braucht China Technologie aus dem Ausland. Dass die EU und die USA nun die Regeln für Firmenübernahmen durch ausländische Unternehmen verschärfen, erschwert dem Land den Aufstieg. China hat wie kaum ein Zweites von der Globalisierung profitiert. Auch deshalb gibt es sich im Handelsstreit nun gegenüber den USA kompromissbereit. Es braucht Offenheit - zumindest die Offenheit der anderen.

© SZ vom 19.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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