China:Dunkle Seiten im Objektiv

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Lu Guang lebt in New York, er verschwand bei einem Chinabesuch. (Foto: Xu Xiaoli/AP)

Der bekannte Fotograf Lu Guang ist vor drei Wochen in der Provinz Xinjiang verschwunden. Die Polizei soll ihn ohne Anklage festhalten.

Von Lea Deuber, München

Drei Wochen hatte seine Frau ausgeharrt, bevor sie es offenbar nicht mehr aushielt. Am Montag veröffentlichte Xu Xiaoli, die Frau des bekannten chinesischen Fotografen Lu Guang, einen Hilferuf über den Kurznachrichtendienst Twitter. Dort berichtete sie, dass ihr Mann auf einer Reise in der westchinesischen Provinz Xinjiang verschwunden sei. Seit Anfang des Monats habe sie kein Lebenszeichen mehr von dem 57-Jährigen erhalten. Freunde vor Ort sollen Xu inzwischen bestätigt haben, dass Lu von lokalen Sicherheitskräften festgenommen wurde. Seitdem fehle von ihm jede Spur. Sie sei äußerst besorgt, schrieb Xu in ihrer Nachricht. Der Fotograf lebt mit Frau und Familie seit einigen Jahren in New York und war nur für einen Besuch in China.

Lu Guang gilt als einer der wichtigsten Fotografen Chinas. "Das fotografische Gewissen des Landes", nennt ihn Ulrich Delius, Direktor der Gesellschaft für bedrohte Völker. Seit 25 Jahren arbeitet der Journalist für internationale Medien. Dabei beschäftigt er sich meist mit der dunklen Seite des chinesischen Wirtschaftswunders. Die rapide Entwicklung hat zwar viele Menschen sehr reich gemacht. Die rücksichtslose Industrialisierung hat aber auch die Umwelt vielerorts verseucht und die Gesundheit vieler Menschen zerstört. "Berührend wie bedrohlich" nannte die Hamburger Jury vor zehn Jahren die Arbeit Lus, als sie dem chinesischem Fotografen den Henri-Nannen-Preis für die beste Foto-Reportage verlieh. Für die Geschichte hatte er in der Kohleregion Wuhai Tagelöhner begleitet. Ausgezeichnet wurde auch seine Dokumentation über die sogenannten Aids-Dörfer, in denen skrupellose Bluthändler in den 90er-Jahren Zehntausende Bauern mit HIV infiziert hatten sowie seine Porträts von Drogensüchtigen in der südchinesischen Provinz Yunnan und den Arbeitern in chinesischen Goldminen. Für Lu sei die Fotografie ein Weg, Probleme aufzuzeigen und damit den Menschen vor Ort zu helfen, sagte er 2011 in einem Interview anlässlich einer Auszeichnung mit dem renommierte World Press Photo Award.

Er gilt als das "fotografische Gewissen des Landes"

Die Provinz Xinjiang, in der Lu nun verschwand, gilt wegen der Spannungen zwischen den Uiguren und den Han-Chinesen, die 90 Prozent der Bevölkerung ausmachen, seit Langem als Konfliktherd. Nach blutigen Unruhen 2009, in denen Hunderte Menschen getötet wurden, gab es eine Reihe von Terroranschlägen. Seitdem hat die Regierung die Überwachung der lokalen Bevölkerung und der in der Region lebenden Muslime massiv verstärkt. Laut eines aktuellen Berichts der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch sollen bis zu einer Million Angehörige der turkstämmigen Volksgruppe der Uiguren in Umerziehungslagern festgehalten werden. China rechtfertigt diese Maßnahmen als Vorbeugung gegen Terrorismus. Ziel der Lager sei die "ideologische Erziehung gegen Extremismus, psychologische Behandlung und Verhaltenskorrekturen" sowie "berufsbildende Maßnahmen", so die Behörden. Eine systematische Verfolgung der Volksgruppe streitet die Regierung aber ab. Ausländische Journalisten und Fotografen ist es seit einigen Jahren kaum mehr möglich, unabhängig in dem Gebiet zu recherchieren. Die meisten werden bei ihrer Ankunft oder an Straßensperren abgefangen, an ihrer Arbeit gehindert oder verhaftet.

Fotograf Lu Guang hielt sich nach Angaben seiner Frau nicht für eine eigene Fotoserie in der Provinz auf, sondern als Tourist und um sich dort mit Kollegen zu treffen sowie um einige Seminare zu geben. Kurze Zeit später hätte er in die Nachbarprovinz Sichuan weiterreisen sollen, um dort einen Freund zu treffen. Inzwischen soll sich Lu laut Ehefrau Xu Xiaoli in Polizeiobhut in der Stadt Kashgar in Xinjiang befinden. Einen Grund für die Verhaftung habe man ihr nicht genannt.

Wie Lu selbst vor einigen Jahren berichtete, entflammte seine Leidenschaft fürs Fotografieren Anfang der 1980er-Jahre, als er - damals noch Fabrikarbeiter - das erste Mal eine Kamera in der Hand hielt. Zunächst eröffnete er ein Fotostudio. Das habe ihm irgendwann nicht mehr gereicht. "Ich wollte nicht nur leben, um Geld zu verdienen." Bereut habe er den Schritt nie. In China sei es zwar schwierig, über kritische Themen zu berichten. Mehrmals habe man versucht, ihn zu verprügeln und seine Kamera zu zerstören. Ans Aufhören habe er aber zu keiner Zeit gedacht. Bisher sei er ja immer davongekommen.

© SZ vom 29.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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