Chaos im Innenministerium:Kompetenzgulasch im Wiener Küchenkabinett

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Fahndungspannen, Instrumentalisierung der Justiz, Unterdrückung von Informationen: Die jüngsten Vorwürfe werfen ein Licht auf krasse Zustände im österreichischen Innenministerium.

Michael Frank

Andere würden solche Auftritte genießen. Aber der hagere Herr mit dem stets argwöhnischen Blick hinter dicken Brillengläsern liebt es eigentlich diskret und verschwiegen. Neuerdings muss Herwig Haidinger sich trotzdem den Weg immer wieder durch ein ihm sichtlich unbehagliches Spalier von Reportern und rasselnden Kameras bahnen.

Herwig Haidinger, früher Österreichs oberster Kriminaler, brachte eine Lawine von Vorwürfen ins Rollen. (Foto: Foto: Reuters)

Haidinger war bis zu Beginn dieses Monats Chef des Bundeskriminalamtes der Republik Österreich. Reporter hatten ihn gefragt, warum er sein Amt aufgeben müsse. Haidinger hatte geantwortet: Man habe ihn korrumpieren wollen, und da habe er nicht mitgemacht. Seither steht Österreich Kopf.

Innenministerium "außer Rand und Band"

Der oberste Kriminalbeamte der Republik beschuldigt das ihm übergeordnete Innenministerium, die Justiz aus parteipolitischen Motiven manipuliert, Fahndungsfehler vertuscht, Informationen unterdrückt zu haben. Kommentatoren sehen den Apparat des Ministeriums "außer Rand und Band" und die Grundfesten des Rechtsstaates wanken.

Am Dienstag war Haidinger vor Gericht geladen. In Wien schleppt sich ein gewaltiger Prozess gegen Manager der Bawag hin, einer dem "roten" Lager zugerechneten Bank. Es geht um Milliarden. Haidinger sagt, das christsozial geführte Innenministerium habe verlangt, besonders emsig Informationen zu sammeln, die den Sozialdemokraten schaden könnten. Solche Informationen seien an die Presse lanciert worden.

Man habe sie an Parteigremien der ÖVP, also der Schwarzen, liefern sollen, noch vor dem Untersuchungsausschuss, der in der Sache tagte. Dem sollten auch Akten vorenthalten werden. All das trug sich im Jahr 2006 zu, kurz vor Parlamentswahlen.

Haidinger sagt, er habe sich schließlich geweigert, so weiterzumachen. Für den Bank-Prozess ist das alles ohne Relevanz. Für die Politik ist das aber ein Sprengsatz. Denn heute sitzen Sozialdemokraten und Volkspartei in Wien in einer Großen Koalition unter dem SPÖ-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer. Das Bündnis scheint Spitz auf Knopf zu stehen, denn die Opposition und immer mehr Sozialdemokraten, Landeshauptleute und die Basis verlangen einen Untersuchungsausschuss.

ÖVP wehrt sich gegen Untersuchungsausschuss

Die ÖVP und ihr Vizekanzler Wilhelm Molterer wiederum lassen wissen, das wäre für sie der Kriegsfall, denn das Innenministerium wird seit Jahren von ÖVP-Leuten geführt.

In dem Ausschuss wäre noch mehr zu verhandeln. Die Tatsache etwa - und die elektrisiert Österreichs Öffentlichkeit -, dass haarsträubende Fahndungsfehler bei der Suche nach Natascha Kampusch im Nachhinein vertuscht wurden. Das Mädchen war 1998 als Zehnjährige entführt worden und erst 2006 als junge Frau wieder aufgetaucht.

Dabei hatte kaum sechs Wochen nach Kampuschs Entführung ein Polizeihundeführer ein exaktes Profil des erst acht Jahre später erkannten Täters Wolfgang Priklopil geliefert, mit all dessen Macken und samt Adresse des Hauses, in dem er das Mädchen gefangen hielt. Die Akte ging unter.

Kriminalamtschef Haidinger wollte 2006 ausloten, was da schiefgelaufen war. Die damalige Innenministerin Liese Prokop aber ließ ihm das verbieten. Der Fehler, dessentwegen das Mädchen acht Jahre lang in ihrem Verließ aushalten musste, bleibt deshalb unbearbeitet. Der oberste Kriminalpolizist der Alpenrepublik versuchte vergeblich, dies und andere Durchstechereien auf dem Dienstweg klären zu lassen. Seine Eingaben an die Staatsanwaltschaft und das ministeriumseigene Antikorruptionsdezernat, das Büro für Innere Angelegenheiten, versandeten auf rätselhafte Weise.

Warum aber hat Haidinger diese Vorgänge nicht früher offenbart? Hat er zu lange geschwiegen, wie ihm um den Rechtsstaat Besorgte nun vorwerfen. Die ÖVP hingegen behauptet: Der Mann handele einzig aus Rache für den Verlust seines Amtes.

Herwig Haidinger untersteht der "Amtsverschwiegenheit", und die würde der als überkorrekt berühmte Beamte nie brechen. Dass er jetzt überhaupt spricht, ist dem Sicherheitssprecher der Grünen im österreichischen Parlament, Peter Pilz, zu danken, einem findigen Kopf, der schon manchen Fall von Machtmissbrauch aufgedeckt hat.

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Pilz hörte Anfang Februar von Haidingers kryptischen Andeutungen über seine Ablösung als BKA-Chef, reagierte blitzschnell und ließ ihn überraschend in den Innenausschuss laden. Pilz erreichte, dass Haidingers Schweigepflicht ausgesetzt wird. Da erst legte der vor den Parlamentariern los.

Das Bild, das sich bei alledem vom Inneren des Innenministeriums der letzten Jahre ergibt, ist verheerend. Da haben sich einige junge Herren einfach so Befehls- und Entscheidungskompetenz angeeignet, die das persönliche Kabinett des Ministers bevölkern, ein rechtlich undefiniertes Beratergremium.

Ein Minister färbt um

Früher war das Ministerium eine Domäne der SPÖ. Im Jahr 2000 kam die "Wende" mit der konservativen ÖVP/FPÖ-Koalition von Wolfgang Schüssel und Jörg Haider. Innenminister wurde der niederösterreichische ÖVP-Funktionär Ernst Strasser. Dessen Hauptarbeit war, das Ministerium "umzufärben", wie die Medien schimpften, also die "roten" Kader durch "schwarze" zu ersetzen. Das Büro für Innere Angelegenheit (BIA) soll sogar beauftragt worden sein, Material zu sammeln gegen ausgewiesen "rote" Polizeioffiziere, um sie abservieren zu können.

Die Folge war jahrelanger Unfriede, die Wiener Polizeispitze geriet durcheinander, Offiziere suchten einander auszuhebeln und zu denunzieren, ein Skandal jagte den anderen. Die damals leitenden Polizisten tun nicht mehr Dienst.

Bei diesem Personalaustausch kam auch der ÖVP-nahe Herwig Haidinger an die Spitze des Bundeskriminalamtes. Der sah sich aber offenbar immer mehr inneren Vorbehalten gegenüber, weil er den Mitgliedern des Ministerkabinetts nicht willfährig genug ist. Das Beratergremium wird von Minister Strasser damals mit extrem jungen Leuten besetzt, forsch und maßlos. Das Haus durchziehen Vorwürfe und Gerüchte, es geht um Rüpelhaftigkeiten bis hin zu sexueller Belästigung, um Anmaßung gegenüber Beamten und jedermann.

Amts-Kreditkarte im Bordell

Die jungen Männer scheinen zu glauben, ihnen gehöre das Ministerium, ja die ganze Welt. Einer soll sogar eine ministeriumsoffizielle Kreditkarte bei einem Bordellbesuch vergessen haben. Nichts von diesen Vorgängen und Gerüchten ist wirklich bewiesen, nichts widerlegt. Viele der Befehle, die den obersten Kriminalbeamten Haidinger in schmerzliche Loyalitätskonflikte stürzten und die er heute anprangert, kommen von den jungen, arroganten Männern aus der Kaffeeküche des Ministers.

Überhaupt ist das in Wien so eine Sache mit dem Befehlen: Das Kabinett des Ministers hat eigentlich keinerlei Weisungsbefugnis, nimmt sie aber im Namen des obersten Chefs gern in Anspruch. Die Rolle der Kabinettsmitglieder ist rechtlich ungeklärt. Der krasseste Fall: Der Chef des Sondereinsatzkommandos "Cobra" ist dem Bundeskriminalamtschef unterstellt.

In letzter Zeit aber war und ist der Chef von "Cobra" auch Mitglied des persönlichen Kabinetts des heute amtierenden Innenministers Günther Platter. Das heißt, der Cobra-Chef kann mit im Grunde angemaßter Weisungsbefugnis dem Chef des Bundeskriminalamtes, seinem eigentlichen Vorgesetzten, Befehle erteilen. Was auch geschehen ist. In Österreich darf man sonst ohne Verordnung nicht den Daumen krümmen, die elementarsten Befehlsstränge an der Ministeriumsspitze aber sind nicht geregelt.

So weiß auch niemand recht, ob die problematischen Weisungen an Haidinger von der Ministerin oder dem Minister selber kamen, oder ob sie das Kabinett oder einzelne Mitglieder ausgekocht haben. Einige der einstigen Jungmänner aus dem Ministerkabinett sind übrigens indessen hochbestallte Sicherheitsoffiziere in Bund und Ländern.

Ob Österreichs Regierung in der Lage sein wird, hier Ordnung zu schaffen, bezweifeln Kenner des Beharrungsvermögens der Bürokratie. Zunächst muss auch anderes geklärt werden: Was ist wirklich geschehen, lassen sich Haidingers schwere Vorwürfe belegen? Alle Untaten, so munkelt man, dürften noch gar nicht ruchbar sein. Das herauszufinden, wäre in den letzten Tagen fast im Kompetenzdschungel gescheitert.

Das eigentlich für die Aufklärung zuständige Büro für Innere Angelegenheiten ist selbst Teil des Innenministeriums. Die Staatsanwaltschaft hält das BIA für befangen und will ihm den Loyalitätskonflikt ersparen, gegen die eigenen Spitzen zu ermitteln. Sie beauftragt die Wiener Bundespolizei. Die aber weigert sich, weil ja für das Innenministerium das BIA zuständig ist - laut Erlass des Innenministers, dem auch die Polizei untersteht.

Kampusch: "Glaube an Rechtsstaat verloren"

Der Wiener Polizeikommandant gesteht seine Fassungslosigkeit angesichts dieser grotesken Lage. Die Staatsanwaltschaft findet zunächst keinen polizeilichen Arm, der für sie ermittelt. Die SPÖ-Justizministerin Maria Berger beschuldigt den amtierenden ÖVP-Innenminister Platter der Behinderung der Justiz. Der Beschuldigte stellt indirekt die Koalitionsfrage.

Deren Bruch wird vorerst abgewendet. Justiz- und Innenministerium einigen sich doch darauf, die Vorwürfe von einer Sonderpolizeikommission klären zu lassen, deren Chef aus Vorarlberg kommt, das 700Kilometer weit weg liegt vom Wiener Sumpf. Um den Fall Kampusch und dessen schaurige Untiefen wird sich eine zivile Kommission kümmern, geleitet von einem früheren Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes. Politische Verantwortlichkeiten bleiben unbehandelt.

Und Natascha Kampusch? Sie äußert Entsetzen und Ernüchterung darüber, dass die Politiker an der Spitze des Innenministeriums nicht einmal im Nachhinein die für sie verhängnisvollen Fahndungsfehler geklärt wissen wollten, obwohl die Polizeibehörden sich in redlicher Weise um das eigene Versagen kümmern wollten. Die junge Frau sagt, was wohl für viele ihrer Landsleute gilt: "Ich habe den Glauben in den Rechtsstaat verloren."

© SZ vom 20.02.2008/maru - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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