Chagos-Archipel:Kolonialer Schandfleck

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Großbritannien will eine Inselgruppe im Indischen Ozean behalten.

Von Bernd Dörries

Seit einem halben Jahrhundert haben sie die alte Heimat nicht gesehen, die weißen Strände, das azurblaue Wasser, die 55 Inseln des Chagos-Archipels im Indischen Ozean - es war ein kleines Paradies, dessen Bewohner seit Jahrzehnten durch die Hölle gehen. Als die USA nach einem Stützpunkt für ihre Flotte suchten, sagten die Briten, sie hätten etwas Passendes anzubieten und verpachteten dem Bündnispartner 1971 das Chagos-Archipel. Zweitausend Bewohner lebten damals dort, die Briten deportierten sie auf die Seychellen und nach Mauritius. Seitdem kämpfen sie und ihre Nachkommen um eine Rückkehr in die alte Heimat.

Der Internationale Gerichtshof in Den Haag forderte Großbritannien Anfang des Jahres auf, Chagos an Mauritius zurückzugeben; in wenigen Tagen will Mauritius bei den Vereinten Nationen eine neue Resolution einbringen, eine Mehrheit ist wahrscheinlich. Die britische Premierministerin Theresa May hat bereits angekündigt, die Inseln behalten zu wollen. Oppositionsführer Jeremy Corbyn sagte, es sei "bedenklich, dass die Regierung internationales Recht ignoriere und den Chagossianern eine Rückkehr in ihre Heimat verweigere".

Das Chagos-Archipel war ursprünglich unbewohnt, die Portugiesen entdeckten es im frühen 16. Jahrhundert. Später brachten die Franzosen Sklaven aus Afrika auf die Inseln und ließen sie auf Kokosnussplantagen schuften. Danach kamen weiße Europäer hinzu und Inder. Nur zwei- bis dreimal im Jahr landete ein Schiff, in der Isolation entstand über die Jahrhunderte die eigene Kultur der Îlois mit einer eigenen kreolischen Sprache. Mit der Abdankung Napoleons fiel das Chagos-Archipel an Großbritannien, das es seiner Kolonie Mauritius zuschlug und von dort aus verwaltete. Für die Bewohner änderte sich nicht viel, zwischen den beiden Inselgruppen liegen mehr als 2000 Kilometer.

Als sich in den Fünfziger- und Sechzigerjahren das politische Klima in Europa wandelte, und auch in Afrika die Unabhängigkeitsbewegungen stärker wurden, geriet Großbritannien in Zugzwang. Das Vereinigte Königreich entließ Mauritius 1968 in die Eigenständigkeit, jedoch nicht ohne zuvor das Chagos-Archipel abzuspalten. Es wurde zum "Britischen Territorium im Indischen Ozean" erklärt, mit dem Ziel, die Insel Diego Garcia an die US-Streitkräfte zu verpachten - sie betreiben dort heute eine ihrer wichtigsten Überseebasen. Die ursprünglichen Bewohner wurden auf die Seychellen oder Mauritius vertrieben, wo sie bis heute in Slums leben, nur einmal durften etwa hundert von ihnen zu einem Kurzurlaub zurück. Später ließ Großbritannien Hunderte ins Land und versprach Pässe und Aufenthaltsgenehmigungen. Bis heute aber werden Chagossianer in Abschiebehaft genommen.

"Wir werden immer noch behandelt wie in den Sechziger- und Siebzigerjahren. Sie reißen Familien auseinander und versuchen, Kinder zu deportieren", sagte Isabelle Charlot, die Vorsitzende der Chagos-Inseln-Bewegung. Sie hofft nun auf die Vereinten Nationen. Namira Negm, Rechtsberater der Afrikanischen Union, sagt: "Es ist unvorstellbar, dass heute, im 21. Jahrhundert, ein Teil von Afrika immer noch unter der kolonialen Herrschaft von Europa steht."

© SZ vom 21.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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