CDU-Parteitag in Hannover:Eine Liebe, größer als das Programm

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Nichts Neues, nichts Bewegendes, nichts Überzeugendes hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Rede zu bieten. Und trotzdem applaudieren die Delegierten, als hätte sie Entscheidendes gesagt.

Jens Schneider

Angela ist ein Roboter. Ein sehr erfolgreicher Roboter, der ständig dazulernt, wenn nur die richtigen Vorgaben eingespeist werden. Dann kann Angela sich neuen Gegebenheiten blitzschnell anpassen und das Geschehen auf dem Feld weiter dominieren.

Angela Merkel kann sich neuen Gegebenheiten blitzschnell anpassen und das Geschehen auf dem Feld weiter dominieren. (Foto: Foto: AP)

Deshalb ist Christian Wulff, der niedersächsische Ministerpräsident, ein richtiger Fan von Angela. Und er freut sich, dass dieser Roboter gerade zum CDU-Bundesparteitag in der Messehalle 13 zu Hannover auf den Vornamen der Bundeskanzlerin getauft wird. Der in Osnabrück entwickelte Roboter ist im letzten Jahr in seiner Gattung Fußballweltmeister geworden, und die Parteichefin bekommt ihn von Wulff zum Auftakt des Parteitags geschenkt.

Nun soll hier ausdrücklich betont werden, dass es gewiss viele Gründe gibt, weshalb man die Kanzlerin nicht mal eben mit einem Roboter gleichstellen sollte - und sei der auch noch so schlau und elegant im Auftreten. Und doch passt Wulffs erfolgreich lernender Roboter ganz ideal zu dieser Kanzlerin.

Ständig dazulernen, sich neuen Gegebenheiten anpassen - diese Fähigkeit gilt schon seit langem als das herausragende, beständige Merkmal der CDU-Vorsitzenden. Erst hat sie sich in der Opposition zur Radikalreformerin von Leipzig aufgeschwungen, dann aber mit ihrem emotionslosen Wahlkampf 2005 ein Fiasko erlitten und beinahe den Einzug ins Kanzleramt verspielt.

Dieses Fiasko hat die CDU nie offen aufgearbeitet. Aber Merkel hat schnell beschlossen, dazuzulernen. Und dieser Parteitag erlebt nun die neue, andere CDU. Mit einem behutsam moderneren Parteiprogramm, aber vor allem mit einer Kanzlerin, die sich neu präsentiert.

Angst vor Phrasen

Die politische Metamorphose der Kanzlerin findet ihren Abschluss. Das bedeutet nun nicht, dass Angela Merkel sich ihrer Partei an diesem Morgen in Hannover als ganz andere Person präsentieren könnte. Bei allen Veränderungen, die sie seit ihrem Einstieg in die Politik während der Wendezeit durchlebt hat, auch den äußerlichen, ist es ihr nie gelungen, einen emotional anrührenden Stil zu entwickeln. Und inzwischen versucht sie schon gar nicht mehr, die Parteiseele durch eine besondere Kunst der Rede zu berühren. Oder gar aufzurühren, zum Kochen zu bringen.

Auch die wärmere, sozialere CDU muss ohne Wärme und Begeisterung von ganz oben auskommen. "Jeder, der mich kennt, weiß: Ich neige nicht zu übertriebener Euphorie", sagt die Kanzlerin. Im Nachhinein kann man diesen Satz als eine Art Warnung verstehen: vor einer tonlosen Rede ohne Höhepunkte, während der die Delegierten nur selten Anlass finden zu applaudieren - obwohl sie das doch, wie sich am Ende zeigen wird, so herzlich gern möchten.

Tatsächlich aber steht Merkels Hinweis auf ihre geringe Euphorie-Neigung am Anfang eines kräftigen Selbstlobs, an das man sich bei der Kanzlerin langsam gewöhnen muss. Die Erfolge der Großen Koalition seien keine Verschlusssache. "Darüber müssen wir sprechen." Noch immer klingt die Kanzlerin sich selbst fremd, wenn sie ihre Erfolge aufzählt. Und noch schwerer fällt es Angela Merkel, die in der DDR zu Zeiten des SED-Regimes eine gesunde Abscheu gegen tumbe Parolen entwickelt hat, leere Phrasen in einen Saal hineinzurufen. Auch wenn diese Phrasen aus ihrer eigenen Feder stammen, die CDU-Chefin muss sich anstrengen, um dem Saal die bizarre Satzfolge zuzumuten: "Hier in der Mitte sind wir - und nur wir! Die Mitte ist menschlich, darum ist die Mitte unser Platz!"

Das kann sie einfach nicht deklamieren, aber leise und sachlich vorgetragen klingt es noch leerer. Und doch verbirgt sich hinter dieser Sprachwolke das neue Angebot der Kanzlerin an ihr Land. Denn diese menschliche Mitte hat nur noch wenig zu tun mit dem, was Merkel der Partei einst in Leipzig verordnet hat. Das für viele in der CDU so wichtige Symbol Leipzig taucht in ihrer Rede gar nicht auf.

Statt dessen kritisiert sie heftig die hohen Gehälter, die unfähige Manager sich genehmigen. Wer viel für sein Unternehmen schaffe, der solle auch gut bezahlt werden, so Merkel. Aber sie verstehe überhaupt nicht, dass mit Geld überschüttet wird, wer auf ganzer Linie versage. Damit würde das Vertrauen in das soziale Gleichgewicht unseres Landes untergraben, warnt Merkel und klingt nahezu sozialrevolutionär als sie den Delegierten erklärt, dass der Chef eines Autokonzerns nicht gleich das Tausendfache eines Arbeiters verdienen müsse, damit sein Unternehmen erfolgreich ist. Die besonders erfolgreichen Chefs in Japan bekämen nur etwa das Zwanzigfache eines Arbeiters, sagt sie.

Und als ob sie von der Schärfe ihrer Kritik doch ein wenig ablenken möchte, fügt sie noch eine Spitze gegen ihren Vorgänger Gerhard Schröder an: "Das ist in etwa das Doppelte eines deutschen Kanzlers - wenn er nicht gerade für die russische Gaswirtschaft tätig ist." Da gerät der Saal zum ersten und einzigen Mal vor Freude in heftige Wallung, bevor die Chefin ihn weiter in ruhigem Ton in ihre neue Mitte führt.

Ärger? Welcher Ärger?

Mit Sätzen, die der Arbeitnehmerflügel der Partei noch im letzten Wahlkampf so arg vermisst hat. "Denkt auch immer an die anderen!", sagt Merkel und wirbt dafür, Wettbewerb und Unternehmergeist mit Teilhabe, Verantwortung und Solidarität zu verbinden. Wo früher vornehmlich um Leistungsträger geworben wurde, wird nun der Blick geöffnet. "Jeder hat Hoffnungen, die eine Chance verdienen", sagt Merkel und nennt den Arbeitslosengeld-II-Empfänger, der sich gern beweisen würde. Und danach den Mittelständler, der seinen Betrieb am Laufen halten muss.

Merkel hat ihr Mantra der letzten Jahre nicht aufgegeben, noch immer sagt sie: "Sozial ist, was Arbeit schafft." Aber dieser Satz bekommt jetzt einen Zwillingspartner: "Sozial ist, was Chancen bietet."

Man kann sagen, dass die Mitte, in der Merkel die CDU verortet, ganz sicher links von dort liegt, in der sich die Partei noch vor zwei Jahren befand. Aber weil in den letzten Wochen zu viele Wegbegleiter und auch führende Vorstandsmitglieder genau davor warnten, setzt Merkel noch Zeichen der Abgrenzung.

Die SPD sei mit ihrem Hamburger Parteitag nach links gerückt, die CDU stehe deshalb allein für die Mitte Deutschlands. Dabei tut Merkel gar so, als ob es über diesen Kurs nicht gerade in der praktischen Politik einen heftigen internen Disput gegeben hätte. Nur in einer kurzen Passage widmet sie sich dem Kompromiss der Großen Koalition über den Mindestlohn. Sie spricht nicht darüber, dass diese Einigung viele Wirtschaftsliberale in den eigenen Reihen sehr empört.

Ärger, gab es hier Ärger? Es rumort gewaltig hinter den Kulissen, aber es soll keinen Ärger geben. Darauf haben sich die Wahlkämpfer aus den drei Bundesländern Hessen, Niedersachsen und Hamburg längst mit den anderen aus der Parteispitze verständigt. Und so wird die Mitte einfach höchst flexibel verortet, nämlich beliebig verschiebbar.

"Da, wo die Mitte ist, sind wir. Und, wo wir sind, ist die Mitte", verkündet Merkel zum Ende ihrer Rede das neue Credo. Das ist nicht logisch oder gar wissenschaftlich, sodass die Physikerin an der Spitze der CDU auch da wieder nicht ganz überzeugt klingt. Aber der Parteitag will sie einfach feiern und applaudiert minutenlang heftig, als ihm gewahr wird, dass die Rede zu Ende ist.

Um dann schnell den Saal zu verlassen. Durch nichts sonst könnten die Delegierten deutlicher machen, dass sie hier keinen Streit, keine Debatte wollen. Vor fast leeren Rängen muss der hessische Wahlkämpfer Roland Koch in seinem Beitrag zur Generaldebatte seine Lobrede auf die Kanzlerin vortragen.

Noch weniger Zuhörer findet Günther Oettinger, der einzig Prominente, der ein paar heftige kritische Worte vorbringt. Mit dem Satz - "Ein Unbehagen bleibt" - geht er auf Distanz zum Post-Mindestlohn, "sehr überzeugend ist das nicht." Immerhin, Angela Merkel ist noch da und hört mit halbem Ohr hin, während sie mit Bildungsministerin Annette Schavan redet. Sonst ist das Vorstandspodium fast leer. Aus dem Saal bekommt Oettinger von einzelnen gewaltigen Beifall.

Und die anderen? Vergnügen sich draußen. Es solle doch adventlich werden, sagt ein Landesminister über die Stimmung. Schade wäre nur, dass Hannovers Messe von der Stadt so weit entfernt sei. Da könne man nicht in Ruhe Weihnachtsgeschenke kaufen.

© SZ vom 04.12.2007/bica - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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