Camerons letzter Auftritt:Ein letzter Gag

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Gewohnt schlagfertig verabschiedet sich der Premier aus der ersten Reihe im Unterhaus. Nur die Schottenpartei trübt die Stimmung: Sein politisches Erbe sei kein Anlass zu guter Laune.

Von Christian Zaschke

Die große Frage an David Camerons letztem Tag in der Downing Street war nicht, was der scheidende Premierminister als Nächstes tun würde oder welche Ratschläge er für seine Nachfolgerin Theresa May hinterlassen hatte. Die große Frage war: Was passiert jetzt eigentlich mit Larry?

Bei Larry handelt es sich um Großbritanniens bekanntesten Kater, der einst Wohnstatt am Sitz des Premierministers bezog, um das Haus frei von Mäusen zu halten. Wie der vormalige Hausherr Cameron ist allerdings auch Larry ein Anhänger von Ciceros Konzept der würdevollen Muße, weshalb er statt auf der Jagd oft bei einem Nickerchen beobachtet wurde. Am Mittwoch, kurz bevor Cameron zu seiner letzten Fragestunde als Premier ins Parlament aufbrach, spazierte Larry gelassen an der Hundertschaft der Berichterstatter vorbei, und es ist keine Übertreibung zu sagen, dass von ihm mehr Fotos gemacht wurden als vom Premier. Eine rasch eingeleitete Recherche brachte zutage: Larry bleibt in der Downing Street, er gehört offiziell den Angestellten des Hauses. Das sich umgehend verbreitende Gerücht, dass die neue Premierministerin Theresa May unter einer leichten Katzenallergie leide, ließ sich auf die Schnelle nicht bestätigen.

Es ging in Westminster eher leicht zu an Camerons letztem Tag im Amt, auch die Fragestunde war überwiegend von einem freundlichen, manchmal auch heiteren Ton geprägt. Diese wöchentlichen Auseinandersetzungen werden bisweilen in einer Schärfe geführt, die zum Beispiel im Deutschen Bundestag kaum vorstellbar wäre. Diesmal eröffnete Cameron die Veranstaltung mit der Feststellung, dass sein Terminkalender für den Nachmittag bemerkenswert leer sei. Lediglich ein Treffen mit der Königin sei vermerkt.

Ein letztes Rendezvous mit der Königin - und was kommt dann?

Das Treffen mit der Königin steht am Anfang einer jeden Amtszeit als Premier, und es steht an deren Ende. Am späten Nachmittag verließ Cameron ein letztes Mal die Downing Street, um Königin Elizabeth II. offiziell von seinem Rücktritt zu informieren. Anschließend sah das Protokoll vor, dass die Queen die bisherige Innenministerin Theresa May mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt.

Außer von den Treffen mit der Königin wird die Amtszeit vom Schreiben zweier Briefe umrahmt. Wer in 10 Downing Street einzieht, wird vom Chef der Verwaltung instruiert, handgeschriebene Briefe an die vier Kommandanten der britischen Atom-U-Boote zu verfassen. In diesen wird dargelegt, was im Falle eines nuklearen Angriffs auf Großbritannien zu tun ist. Wer das Ende seiner Zeit an der Spitze der Regierung erreicht, schreibt erneut, diesmal an den Nachfolger. David Cameron hatte seinen Brief vor sechs Jahren und 62 Tagen von Gordon Brown erhalten. Obwohl die beiden Männer politische Rivalen waren, soll das Schreiben ausgesprochen freundlich und ermunternd gewesen sein. Für schwere Zeiten hinterließ Brown zudem eine Flasche hochprozentigen Inhalts. An Cameron war es nun, Theresa May in die Geheimnisse des Amts einzuweihen.

Diese saß in der Fragestunde neben ihrem Vorgänger, der seinen letzten Auftritt dazu nutzte, noch einmal sein rhetorisches Talent auszustellen. Mehrere Abgeordnete priesen Cameron für die Schlagfertigkeit, die er in den vergangenen elf Jahren am Rednerpult bewiesen hatte. Von 2005 an war er Chef der Opposition und sah sich zunächst Tony Blair und dann Gordon Brown gegenüber. Blair war bekannt dafür, dass er in der Fragestunde den Eindruck vermittelte, er wäre der einzige Erwachsene im Raum. Die Tories hatten sich die Zähne an ihm ausgebissen.

Cameron hingegen sagte beim ersten Aufeinandertreffen der beiden: "Das geht ja gut los. Gleich beim ersten Mal ist es der Premierminister, der mir die Fragen stellt." Selbst manche Labour-Leute fanden das witzig. Dann sagte er seinen wohl berühmtesten Satz über Blair. Cameron beugte sich vor, er lächelte ins Rund und sprach: "Er war einst die Zukunft."

Am Mittwoch freute er sich über Vorschläge für neue Führungsposten. Er könne doch die englische Fußball-Nationalmannschaft übernehmen, schlug ein Abgeordneter vor, oder die Leitung der populären Autosendung "Top Gear". Mit Oppositionschef Jeremy Corbyn tauschte er einige Frotzeleien aus. Unter anderem verglich er den in der eigenen Fraktion umstrittenen Corbyn mit dem Schwarzen Ritter aus dem Monty-Python-Film "Die Ritter der Kokosnuss", der im Gefecht seine Arme einbüßt, aber weiterkämpfen will mit dem Hinweis: "Ist nur 'ne Fleischwunde." Später verliert er übrigens auch noch beide Beine, was seinen Kampfgeist nicht im Mindesten trübt.

Was passiert eigentlich mit Larry? Die Zukunft des Katers, der 2011 in Number 10, Downing Street einzog, beschäftigte die britischen Medien am Mittwoch ungemein. (Foto: Sean Dempsey/dpa)

Am Schluss der Fragestunde sagt Cameron: "Ich war einst die Zukunft."

Lediglich die Scottish National Party (SNP) wollte sich auf diese Beschaulichkeit nicht einlassen. Deren Fraktionschef Angus Robertson sagte, man werde dem Premier zum Abschied keinen Applaus spenden, weil er das Land und damit auch Schottland an den Rand des EU-Austritts geführt habe. Die Schotten hatten mehrheitlich für den Verbleib gestimmt, weshalb die SNP erwägt, ein zweites Referendum über die schottische Unabhängigkeit abzuhalten. Sollte es so weit kommen und Schottland tatsächlich das Vereinigte Königreich verlassen, wird auch das zu Camerons politischem Erbe gehören.

Seine Parteifreunde priesen ihn dafür, dass er die Tories modernisiert und in die Mitte gerückt habe. Cameron selbst nannte als eine seiner großen Errungenschaften, dass er die Homo-Ehe legalisiert habe. Er erzählte, dass ein Angestellter in der Downing Street zu ihm gesagt habe, dass er sich nicht sonderlich für Politik interessiere, aber dass er Cameron dankbar sei, weil er nun endlich den Menschen heiraten könne, den er liebe. "Das war einer der schönsten Momente meiner Amtszeit", sagte Cameron. Dennoch wird er damit leben müssen, dass sein Name in der Rückschau in erster Linie mit dem Austritt aus der EU verbunden sein wird.

In seinen abschließenden Bemerkungen sagte Cameron feierlich, nichts sei unmöglich, wenn man sich einer Sache wirklich verschreibe. Dieser Satz hatte allerdings den Schönheitsfehler, dass Cameron gerade bewiesen hat, dass es ihm unmöglich war, das EU-Referendum zu gewinnen. Er pries das Unterhaus als demokratische Institution. Schließlich schlug er den Bogen zu seinem ersten Auftritt in dessen Zentrum, er zitierte seinen berühmten Satz über Blair, nur dass er ihn diesmal selbstironisch auf sich selbst münzte. Camerons letzte Worte als Premier im Parlament lauteten: "Ich war einst die Zukunft."

© SZ vom 14.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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