Bush in Stralsund:So schön kann Freiheit sein

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Blasmusik, handverlesene Gäste und ein Wildschwein: Vieles wirkt ein wenig inszeniert, doch der Präsident und die Kanzlerin sehen es positiv.

Reymer Klüver

George W. Bush fühlt sich wohl auf dem Alten Markt von Stralsund. Offensichtlich. Was für eine Kulisse ist das auch: das uralte, dunkelrotbacksteinerne Rathaus, der mächtige Kirchturm dahinter, die freundlichen Menschen auf dem sonnigen Platz, die Blasmusikkapelle der Bundeswehr im Hintergrund.

Er nimmt Angela Merkel in den Arm, knautscht ihre beige Kostümjacke, strahlt übers ganze Gesicht. Und die Kameraverschlüsse klicken.

Er schüttelt die Hände der Menschen am Absperrgitter, die zum Entsetzen der Sicherheitsleute selbst ganz vorn noch die Fähnchen schwenken, schwarz-rot-gold und das Sternenbanner, obwohl sie angewiesen waren, das nicht zu tun.

Und die Fernsehkameras nehmen alles auf.

Dann sagt die deutsche Kanzlerin auch noch, dass es den Vereinigten Staaten von Amerika zu verdanken sei, "dass wir in Freiheit und gemeinsam in Deutschland leben können". Da klatscht der Präsident. Und die Leute klatschen und schwenken, auf Bierbänken stehend, wieder die Fähnchen.

Es ist schon merkwürdig, wie Deutschland inszeniert wird für den Gast aus Amerika. Er ist in diesen abgelegenen Winkel des Landes gekommen, weil Angela Merkel ihm gesagt hat, dass sich hier so eindrucksvoll die Vorzüge des Lebens in Freiheit nach all den Jahrzehnten der Unterdrückung demonstrieren ließen.

Und doch drängt sich an diesem wunderbar sonnigen Morgen in Stralsund der Eindruck auf, dass ihm nur eine strahlende Kulisse dieses Deutschlands präsentiert wird, die mit der Wirklichkeit nicht allzu viel zu tun hat.

Dass die wirkliche Freiheit, die in diesem Land herrscht, ausgerechnet nicht an den Präsidenten herangelassen wird, der die Verbreitung der Freiheit zu seiner außenpolitischen Mission gemacht hat.

Protest für drei Minuten

Und ganz, ganz leise schleicht sich auf diesem abgesperrten Markplatz in Ostdeutschland, in dieser von Polizisten besetzten Altstadt Stralsunds auch der peinigende Gedanke in den Kopf, dass es vielleicht gar nicht ganz unähnlich gewirkt haben mag seinerzeit, als Helmut Schmidt Staatsgast der DDR war und Güstrow leer geräumt worden war und die Bevölkerung von Statisten der Stasi gespielt wurde.

Aber das ist natürlich nur eine flüchtige Idee und weiß Gott kein historisch akkurater Vergleich.

In Stralsund jedenfalls hat der Oberbürgermeister, ein Parteifreund Angela Merkels, bei der Auswahl der Menschen geholfen, die George W. Bush zu Gesicht bekommen.

Es sind lauter brave Leute, die er gebeten hat, sogar ein, zwei Jugendliche mit langen Haaren sind darunter. Aber alle schwenken nun bereitwillig die an diesem Morgen im Zelt am Eingang der Sperrzone ausgegebenen Fähnchen.

Und damit auch wirklich nichts passiert, hatte man sich gleich auf 1000 Einladungen beschränkt, darunter an 231 Soldaten der örtlichen Marineschule, obwohl locker 8000 Menschen auf den Platz passen.

Sonst ist die ganze Altstadt leer geräumt. Außer Streifenwagen und Polizeibussen steht kein Auto mehr in den Kopfsteinpflaster-Gassen. Und außer den Polizisten und den Auserwählten mit gelben Plastikbändchen ums Handgelenk, die den Zugang zum Marktplatz erlauben, sind kaum Menschen in den Straßen.

Demonstrationen sind hier ohnehin verboten. Nichts soll stören, schon gar nicht die Menschen, wie sie in ihrer Mehrheit in Deutschland wirklich denken über diesen amerikanischen Präsidenten.

Nur zwei junge Aktivisten von Greenpeace haben es trotz all der Sicherheitsvorkehrungen irgendwie geschafft. Sie sind auf den Turm der Nikolai-Kirche geklettert und entrollen aus einer Luke unter der Turmuhr ein knallgelbes Transparent: "No nukes, no war, no Bush", steht in großen Lettern darauf, dreimal nein zu Atomkraft, Krieg und dem amerikanischen Präsidenten.

Zehn vor zehn ist das, zur vollen Stunde soll George W. Bush eintreffen. Nach drei Minuten sind Polizisten oben und durchschneiden die Aufhängung, das Transparent landet krachend auf den roten Ziegeldächern vor der Kirche. Nichts, wirklich nichts, soll die Inszenierung stören.

Eines ist immer wieder zu beobachten in diesen fünfeinhalb Stunden, die Angela Merkel an diesem Tag face time hat, die ungeteilte Aufmerksamkeit des Präsidenten, erst im alten Rathaus von Stralsund und dann später, am Abend, beim Grillen in Trinwillershagen: Sie hat offenbar sehr schnell gemerkt, wie sich ein Draht aufbauen lässt zu diesem Mann.

Was, ganz nüchtern festgestellt, schlicht im deutschen Interesse liegt, wenn ein Bundeskanzler das Ohr des amerikanischen Präsidenten hat, und der nicht nur aus Höflichkeit zuhört oder weil diplomatische Gepflogenheiten es erfordern.

Das war schon im Januar und Mai so, bei ihren Besuchen im Weißen Haus. Da hatte sie dem Präsidenten kleine Geschichten aus ihrer Jugend im Osten erzählt und erklärt, wie es ist, in Unfreiheit aufzuwachsen.

Und was für einen fatalen Eindruck zum Beispiel Sanktionen des freien Teils der Welt auf die Menschen machen, die ohnehin in Entbehrung leben. Das hat Bush imponiert.

Und neugierig machte ihn, der so gern erzählt, dass er mit 40 zum Glauben zurückfand, auch der Umstand, dass Merkel in einem Pastorenhaushalt aufgewachsen ist.

Alles ist anders

Und dann war da noch etwas, was ihn gleich bei der ersten Unterredung im Allerheiligsten des Präsidenten, im Oval Office, für sie eingenommen hatte: "Sie redet nicht über ihn, sondern mit ihm", wie es ein Kenner der deutsch-amerikanischen Dinge formuliert.

Damals hatte sie ihm vorher genau erklärt, was sie anschließend im East Room, dem großen Saal im Weißen Haus, der Presse über Guantanamo erzählen wollte. So etwas merkt sich George W. Bush.

In Stralsund sagt er nun in der Pressekonferenz, dass sie ihn damals ziemlich unverblümt aufgefordert habe, in den Verhandlungen über das iranische Atomprogramm "an den Tisch" zurückzukehren.

"Das hab' ich getan", sagt Bush und grinst ob des eigenen Kompliments.

Überhaupt preisen sie bei der Pressekonferenz im Rathaus ihre Übereinstimmungen. Und Angela Merkel demonstriert vor den versammelten Medienleuten, wie sie Eindruck hinterlassen hat bei diesem Mann, der so viel Wert legt auf persönlichen Kontakt.

"Nur gemeinsame Aktionen", sagt sie und schwört den nickenden Bush nonchalant auf deutsche Wünsche nach multilateralem Vorgehen in der internationalen Politik ein, nur gemeinsam also "können Tyrannen und Diktatoren in die Schranken gewiesen werden".

Womit sie Formulierungen aus dem Vokabular ihres Gastes aufgreift. Und Bush noch mehr strahlt.

Überhaupt, welch ein Wandel hat sich da vollzogen.

Vor drei Jahren waren die Deutschen (gleich nach den Franzosen) die undankbarsten unter den einstigen Verbündeten, die Inkarnation des erstarrten alten Europa, über das die Geschichte unter amerikanischer Führung hinwegschreiten würde. Und nun sind sie (gleich nach den Briten) die Lieblingsverbündeten.

Das hat zunächst einmal wenig mit Liebe und Zuneigung zwischen den beteiligten Politikern zu tun, sondern mit der Erkenntnis, dass die Deutschen den Amerikanern doch nützlicher sein könnten, wenn man einen halbwegs ordentlichen Umgang pflegt.

Nicht, weil sich die Ziele der US-Außenpolitik geändert hätten, sondern, weil die sich in Europa und der Welt leichter durchsetzen lassen, wenn man zum Beispiel die Deutschen als Partner hat.

Deshalb ist Bush im Februar vergangenen Jahres nach Mainz gefahren, gleich nach seiner zweiten Amtseinführung. Doch auch das ging daneben, und das haben die Amerikaner Gerhard Schröder persönlich übel genommen.

Nicht, weil man sich nichts zu sagen gehabt hätte, sondern wegen der Atmosphäre des beabsichtigten Aussöhnungstreffens: Bush, der Lieblingsbuhmann der Deutschen, legte die Region lahm, brachte den Verkehr zum Erliegen, kam wie ein Außerirdischer über die Region, völlig abgeschirmt von den Menschen.

Hinter Mauer und Stacheldraht

Da musste er einfach schlecht aussehen, darüber stöhnen sie noch heute in Washington.

Nicht, dass die Sicherheitsvorkehrungen in Mecklenburg-Vorpommern laxer wären: Wieder hat ein Massenaufgebot an Polizei (12.500 Beamte) den Landstrich abgeriegelt. Sie haben wieder die Gullydeckel zugeschweißt (998 allein in Stralsund) und so viel Stacheldraht gezogen (1,3 Kilometer, dreirollig um Bushs Hotel).

In Heiligendamm spotten sie schon, Bush sei nur nach Ostdeutschland gekommen, weil er am eigenen Leib habe erfahren wollen, wie es ist, hinter Mauer und Stacheldraht zu leben.

Aber erstens fällt der Belagerungszustand in der Provinz weniger auf als im Rhein-Main-Ballungsgebiet. Und zweitens haben die Amerikaner es selbst mit in die Hand genommen, dass es auch solche Bilder gibt, wie sie sich Bushs Berater wünschen.

Der Generalkonsul aus Hamburg etwa wurde mehrmals nach Vorpommern beordert, um mit dem Stralsunder Oberbürgermeister und den Honoratioren der Gegend minutiös das Programm zu besprechen: Bush unter den Tausend auf dem Markt von Stralsund, Bush in der Kirche, Bush unter 60 Freunden im Gasthaus.

Bush sollte endlich einmal menschlich wirken - und nicht als Gottseibeiuns der Deutschen. Und damit auch ja keine Fehler passieren, wurden die Leute eben so gründlich handverlesen, dass man zunächst wohl glatt vergaß, den SPD-Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern zum Grillabend zu bitten.

Die fertige Botschaft

Und selbst, wenn diese Bilder aus dem Osten Deutschlands, aus Ortschaften mit unaussprechlichen Namen, daheim in Amerika nicht viel bewegen werden und beispielsweise im Wahlkampf für den Kongress keine Stimmen bringen, so haben sie doch ihre Bedeutung für Bush.

Denn unterstreichen sie nicht vortrefflich die Berechtigung seiner außenpolitischen Mission, Demokratie und Freiheit in die Welt zu bringen? Zeigen die Bilder nicht, welche Vorteile die Menschen haben, wenn die Freiheit die Tyrannei besiegt?

Diese Botschaft aber stand eigentlich schon fest, noch ehe Bush wirklich den Menschen aus dem Osten begegnet war und mit ihnen Wildschwein am Spieß aß.

Was ihn offenbar wirklich beschäftigt hat. Am Mittag jedenfalls, im Stralsunder Rathaus, sagt er, wie sehr ihn "die freundlichen Menschen von Stralsund" beeindruckt hätten - und die Aussicht, am Abend in Trinwillershagen "das Schwein anzuschneiden".

Offenbar gefällt es ihm wirklich, das, was er zu sehen bekommt von Deutschland.

© SZ vom 14.7.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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