Bundeswehreinsatz in Afghanistan:Mehr Befugnisse für Soldaten

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Verteidigungsminister Jung lässt prüfen, ob Bundeswehr-Soldaten in Afghanistan ihre Waffen künftig offensiver einsetzen dürfen, als bisher.

P. Blechschmidt

Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) lässt prüfen, ob Bundeswehr-Soldaten in Afghanistan ihre Waffen künftig offensiver als bisher einsetzen dürfen. Mit dieser Frage beschäftigt sich nach Informationen der Süddeutschen Zeitung eine Untersuchung der Regeln für den Schusswaffengebrauch, die derzeit stattfindet. Hintergrund sind die zunehmende Zahl von Gefechten, in welche die Bundeswehr vor allem im Raum Kundus in den vergangenen Wochen verwickelt wurde, und die wachsende Unsicherheit unter den Soldaten über ihre Befugnisse.

Ein Bundeswehrsoldat in Afghanistan: Künftig könnte die Bundeswehr ihre Waffen offensiver als bisher einsetzen dürfen. (Foto: Foto: ddp)

Die Regeln für die Anwendung von Gewalt sind in einer sogenannten Taschenkarte festgehalten, die jeder Soldat bei sich führen muss. Danach dürfen die Soldaten Schusswaffen nur zur Abwehr eines unmittelbaren Angriffs einsetzen. "Der Schusswaffengebrauch gegen flüchtende Personen, die erkennbar von ihrem Angriff abgelassen haben, (ist) verboten", heißt es in der Taschenkarte. Auch ein sozusagen vorbeugender Schuss etwa auf einen verdächtigen Gegenstand am Straßenrand, bei dem es sich beispielsweise um einen Sprengsatz handeln könnte, ist demnach nicht erlaubt.

Deutsche Staatsanwälte, die Vorfälle untersuchen, bei denen Bundeswehrsoldaten Afghanen getötet haben, orientieren sich weitgehend an dieser Taschenkarte. Sie interpretieren die Regeln im allgemeinen so, dass Schusswaffengebrauch nur bei Nothilfe oder zur Selbstverteidigung erlaubt ist. Dabei lassen sie außer Acht, dass das Völkerrecht den Soldaten durchaus "hoheitliche Befugnisse zur Auftragsdurchsetzung" einräumt.

Das Ministerium prüft nun, ob diese völkerrechtlich begründeten Befugnisse auch in die Regeln der Taschenkarte einfließen können. Auch eine Anlehnung an das Gesetz zur Anwendung unmittelbaren Zwangs, das unter anderem den Schusswaffengebrauch von Polizisten regelt und auch für Soldaten im Wachdienst im Inland gilt, wird erwogen. "Soldaten im Einsatz in Afghanistan dürfen nicht schlechter dastehen als ein Soldat auf Wache im Inland", meint dazu ein hoher Offizier. "Es kann doch nicht sein, dass unsere Soldaten die Taliban bei der Vorbereitung eines Anschlags antreffen, aber erst abwarten müssen, bis sie den Anschlag ausgeführt haben, bevor sie eingreifen", sagt ein anderer.

Die Bundeswehr steckt in Afghanistan in einem Dilemma. Auf der einen Seite wird immer wieder verlangt, dass die Soldaten robuster vorgehen sollen. Auf der anderen Seite müssen sie sich einem staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren stellen, wenn bei einem Einsatz Zivilisten getötet werden. So erging es einem Oberfeldwebel, der im vergangenen Jahr an einer Straßensperre eine Frau und zwei Kinder erschossen hatte, weil er sie für Angreifer gehalten hatte. Das Verfahren gegen ihn wurde erst vor kurzem nach neun Monaten eingestellt, weil ihm kein schuldhaftes Verhalten nachgewiesen werden konnte.

Die wachsende Gefährdung durch die zunehmenden Angriffe sorgt auch für Nervosität unter den Soldaten. Hinzukommt, dass in Afghanistan jeder Zivilist eine Waffe tragen darf. Ob dieser Bewaffnete dann nur seine Schafe schützen will oder ob er sich einer Patrouille in feindlicher Absicht nähert, ist oft nur schwer zu entscheiden.

Dies alles sind Faktoren, die bei einer Ermittlung berücksichtigt werden müssen. Kaum ein deutscher Staatsanwalt hat jedoch Erfahrung mit solchen Fällen. Deshalb fordern Jung und zahlreiche Bundestagsabgeordnete inzwischen die Einrichtung mindestens einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft, beispielsweise in Potsdam, wo das Einsatzführungskommando seinen Sitz hat. Dazu wird es jedoch in dieser Legislaturperiode nicht mehr kommen, während die eingeleitete Überprüfung der Regeln für den Schusswaffengebrauch schon im nächsten Monat abgeschlossen sein soll.

© SZ vom 30.06.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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