Bundeswehr zieht aus Afghanistan ab:"Für eine Operation dieses Ausmaßes gibt es keine Blaupause"

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6000 Container Material und 1700 Fahrzeuge müssen zurück: Die Bundeswehr hat mit dem Abzug aus Afghanistan begonnen. Der Luftladeraum ist knapp und auf dem Landweg wird reichlich Schmiergeld fällig. Noch ist unklar, wie viele Soldaten bleiben werden. Das erschwert die Planung.

Peter Blechschmidt, Berlin

Der oberste Verantwortliche für den Abzug der Bundeswehr aus den Wüsten und Gebirgen Afghanistans ist ein Seemann. Das ist weniger merkwürdig, als es zunächst klingt. Um die Heimkehr von 4800 Soldaten mitsamt ihrem Material zu organisieren, muss man nicht Panzer fahren, Flugzeuge fliegen oder Schiffe steuern können. Dazu braucht es ausgeprägte Managementfähigkeiten, politisches Geschick und starke Nerven. Vizeadmiral Manfred Nielson hat all dies.

Seit Ende März ist Nielson Inspekteur der Streitkräftebasis, vorher hat er am Umbau des Verteidigungsministeriums mitgewirkt. Die Streitkräftebasis ist der zweitgrößte Organisationsbereich der Bundeswehr und für alles zuständig, was die klassischen Teilstreitkräfte Heer, Luftwaffe und Marine an gemeinsamen Unterstützungsleistungen benötigen.

"Solch eine Operation hat die Bundeswehr noch nicht geleistet", sagt Nielson über den Abzug aus Afghanistan, der - zumindest was kämpfende Einheiten angeht - bis Ende 2014 abgeschlossen sein soll. "Für eine Operation dieses Ausmaßes gibt es keine Blaupause." 6000 Container voll Material und 1700 Fahrzeuge muss die Bundeswehr nach heutigem Stand abtransportieren.

Wobei vieles im Unklaren liegt. Daran ändert auch der Blitzbesuch von Verteidigungsminister Thomas de Maizière nichts, der am Dienstag zu einer eintägigen Visite nach Nord-Afghanistan gekommen war. Dort stellte der Minister in Aussicht, dass die Planungen für die Rückverlegung der deutschen Truppen bis Herbst abgeschlossen sein sollten.

Derzeit sind die Logistiker noch bei der Bestandsaufnahme. Was haben wir im Einsatz? Was soll zurück nach Deutschland? Was kann oder soll man den Afghanen zur weiteren Nutzung überlassen? Wo lohnt sich der Rücktransport nicht mehr?

Die Antworten bleiben vage, solange nicht klar ist, wie die weitere Unterstützung nach 2014 aussieht, die der Westen den Afghanen versprochen hat. Sehr wahrscheinlich aber ist, dass auch Soldaten am Hindukusch bleiben, als Berater und als Ausbilder, und dieses Personal muss wiederum geschützt werden, von kampferprobten Soldaten. Die Bundeswehr wird also weiterhin mit Menschen und Material präsent bleiben.

Je länger jedoch die Ungewissheit darüber dauert, desto schwieriger wird die Abzugsplanung. Es sind ja nicht die Deutschen allein, die sich aus Afghanistan zurückziehen. Die Nato geht derzeit von 122.000 Containern mit Material und 70.000 Fahrzeugen aus, welche die knapp 50 an der Internationalen Unterstützungstruppe Isaf beteiligten Nationen aus dem Land bringen wollen. Wie viel davon über den Norden und auf dem Luftweg abtransportiert werden muss, hängt auch davon ab, ob der südöstliche Nachbar Pakistan seine Grenzen für Militärkonvois wieder öffnet.

Der Bundeswehr-Abzug aus Afghanistan wird Realität. (Foto: dpa)

Absehbar ist, dass wesentlich mehr Material ausgeflogen werden muss als bisher angenommen. So gehen die Amerikaner, die das größte Kontingent an Isaf stellen, inzwischen davon aus, dass sie 50 statt der ursprünglich prognostizierten fünf Prozent ihres Materials auf dem Luftweg heimbringen müssen.

Schon hat ein Run auf die begrenzten privaten Kapazitäten für Lufttransport eingesetzt. Während die Amerikaner über eigene Großraumflugzeuge verfügen, sind die meisten anderen Nationen, auch Deutschland, auf private Transportfirmen angewiesen. Die sitzen vor allem in Osteuropa und verchartern ihre Maschinen der russischen Baureihen Antonow-124 und Iljuschin-76 . Von den riesigen Antonow-124 sind aber weltweit nur 26 verfügbar.

Laderaum ist also knapp, und steigende Nachfrage treibt auch die Preise - nicht nur für den Lufttransport, sondern auch für die vielen Schmiergelder, die auf dem Landweg fällig sind. Zu den Kosten des Abzugs will sich Vizeadmiral Nielson nicht äußern, um nicht die Preisspekulationen zusätzlich anzuheizen.

Ungeachtet aller Unwägbarkeiten ist der Abzug bereits im Gange. Im Feldlager Feisabad im äußersten Nordosten Afghanistans, wo derzeit noch 200 Soldaten im Einsatz sind, hat die Bundeswehr gerade mit dem Abbau begonnen. Bis zum Herbst, wenn der aufziehende Winter die einzige Zufahrtsstraße unpassierbar macht, soll das Lager geräumt sein.

Seit Januar, als das deutsche Kontingent bereits um 100 Mann reduziert wurde, hat die Bundeswehr 500 Container und 50 Fahrzeuge aus Afghanistan zurückgebracht. "Es geht kein Flugzeug aus Afghanistan raus, das nicht Material mitnimmt", sagt Nielson. "Der Nettozufluss an Material ist gestoppt."

Dennoch bleibt die Herausforderung gewaltig, nicht zuletzt, weil der Abzug durch Länder führt, in denen andere Regeln gelten als etwa in Westeuropa. "Die Erfahrung zeigt: Auch auf geschlossene Verträge kann man sich nicht immer verlassen", sagt Vizeadmiral Nielson. Aber das kann einen Seemann nicht erschüttern.

© SZ vom 04.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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