Bundespräsident Gauck in Israel:"Besucher kommen und gehen, das Unverständnis bleibt"

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Israel verliert bei den Deutschen an Ansehen. Dass der Besuch von Joachim Gauck daran etwas ändert, bezweifelt Israel-Experte Michael Wolffsohn. Mit seinen Schön-Wetter-Phrasen trage der Bundespräsident nichts zur besseren Verständigung der Staaten bei.

Antonie Rietzschel

Michael Wolffsohn wurde in Tel-Aviv als Sohn deutsch-jüdischer Emigranten geboren. Heute lebt der 65-Jährige in München und lehrt Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört vor allem das deutsch-israelische Verhältnis.

Israel ist seit Jahrzehnten bei den Deutschen unbeliebt - das liege aber nicht an den Israelis, meint Michael Wolffsohn. (Foto: Privat)

SZ.de: Welche Bedeutung hat der Besuch des Bundespräsidenten Joachim Gauck für das deutsch-israelische Verhältnis?

Michael Wolffsohn: Gar keine. Die Besucher kommen und gehen und das Unverständnis zwischen Deutschen und Israelis bleibt.

SZ.de: Wieso können die beiden Länder sich nicht verständigen?

Wolffsohn: Beide Seiten kommen nicht zusammen, weil sie aus ihrer Geschichte die jeweils richtigen Konsequenzen gezogen haben: Die Israelis, die in ihrer Mehrheit Juden sind, wollen nie wieder Opfer sein. Und das heißt notfalls auch präventiv Gewalt anzuwenden. Die Deutschen wollen dagegen nie wieder Täter sein. Somit ist die Anwendung von Gewalt in den Augen der Mehrheitsdeutschen abzulehnen. Das führt zu einer Grunddistanz der Deutschen zu Israel, die bisher noch nicht thematisiert worden ist.

SZ.de: Wie äußert sich dieses Unverständnis bei den Deutschen?

Wolffsohn: Man hört ja immer wieder die Phrase: "Ausgerechnet die Juden müssten doch wissen, wie man mit Minderheiten umgeht." Das zeugt von einer völligen Verunsicherung darüber, dass ausgerechnet die Opfer der Geschichte kein distanziertes Verhältnis zur Gewalt haben. Dabei wird nicht berücksichtigt, dass die Umwelt der Israelis eine andere ist, als die in Deutschland. Wir hier sind in der glücklichen Situation, von Freunden umgeben zu sein.

SZ.de: Ganz anders Israel.

Wolffsohn: Genau. Angesichts der atomaren Bedrohung durch Iran, die ja nicht eingebildet, sondern faktisch ist, verstärkt sich dieses Ur-Gefühl, nie wieder Opfer sein zu wollen. Daraus ergibt sich für die Israelis, dass sie gegebenfalls gewaltsam zuschlagen müssen.

SZ.de: Unterstützt das israelische Volk eine solche Politik?

Wolffsohn: Vor einem Jahr ist diese Regierung, auch von deutschen Medien, totgesagt worden. Doch Netanjahu ist stärker denn je und seine Regierung hat noch weniger Skrupel als die Regierung unter Führung der israelischen Arbeiterpartei, Gewalt als politisches Mittel anzuwenden.

SZ.de: Ergibt sich daraus auch die geringe Popularität Israels bei den Deutschen?

Wolffsohn: Israels büßte ab 1973 (Beginn des Jom-Kippur-Krieges, Anm. d. Red.) durch das Erstarken der neuen Linken in Deutschland und aufgrund der Besatzungspolitik immer wieder an Popularität ein. Seit 1981 gehört es kontinuierlich zu den drei unbeliebtesten Staaten in den Augen der deutschen Öffentlichkeit. Die Elite, darunter auch Politiker, betont dagegen immer wieder, dass es gute Verbindungen zu Israel gebe. Auch die Elite Israels sieht Deutschland sehr positiv. Gleichzeitig hält aber auch die israelische Öffentlichkeit Deutschland, neben den Vereinigten Staaten, für den besten und zuverlässigsten Freund.

SZ.de: Würden sie sich wünschen, dass Gauck dieses Thema während des Besuches aufgreift?

Wolffsohn: Ja. Gauck wäre auch in der Lage, diese Grundfragen mit dem entsprechenden Intellekt und der entsprechenden Rhetorik zu thematisieren. Aber seine ersten Aussprüche und Reden gehen in die Richtung der Schön-Wetter-Phrasen, die deutsche Politiker zu diesem Thema meist von sich geben. Solange sich das nicht ändert, wird sich die große Distanz zwischen Deutschland und Israel nicht verringern.

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