Bund-Länder-Zwist bei den Grünen:Wenn Grüne blaue Augen haben

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In zentralen Fragen gibt die Berliner Führung längst nicht mehr den Ton an. Das übernehmen die Politiker in den Ländern. Und das schafft Probleme.

Von Stefan Braun

Simone Peter konnte ihre Freude am Mittwoch kaum bremsen. Nach dem wahrscheinlichen (denn die Basis muss ja noch abstimmen) Koalitionsabschluss in Hamburg würden die Grünen künftig in neun Ländern mit gut sechzig Millionen Menschen regieren, sagte die Co-Vorsitzende der Grünen zufrieden. Das zeige die Relevanz ihrer Partei, schwärmte sie weiter. Ein Rekord, der Rückenwind gebe für die Bundestagswahl in zwei Jahren. Peter im Glück - das steht an diesem Tag außer Frage. Zumal da auch die Bundespartei gut dastehe, wie die Grünen-Chefin weiter ausführte. Zehn bis elf Prozent in bundesweiten Umfragen seien nicht schlecht, außerdem könne da "noch eine Schippe drauf". Man werde in den nächsten Monaten "einiges zuspitzen", die große Koalition eröffne da "jede Menge Möglichkeiten". Kraftvoll klingen - dafür gab es für Peter zuletzt nicht so furchtbar viel Anlass. Umso mehr möchte sie dieses Gefühl wohl nun auskosten.

In den Koalitionsverhandlungen konnte sich die SPD in vielen Belangen durchsetzen. Trotzdem findet Grünen-Chefin Katharina Fegebank das Ergebnis gut. (Foto: Daniel Bockwoldt/dpa)

Einiges daran ist ja auch richtig. So viele Regierungsbeteiligungen hat es noch nie gegeben. Wer nach dem mageren Ergebnis bei der letzten Bundestagswahl schon über eine sterbende Partei schwadronierte (das Schicksal der FDP animierte damals viele), muss lernen, dass das Milieu der Bündnisgrünen viel stabiler ist als das der Freien Demokraten. Dazu kommt eine Entwicklung, die so vor ein paar Jahren auch niemand vorhergesagt hätte: Es gibt in keinem einzigen Land, in dem die Grünen mit an der Macht sind, nennenswerte Konflikte. Weder aus Baden-Württemberg noch aus Hessen, Nordrhein-Westfalen oder Schleswig-Holstein wird von größeren Profilneurosen der Grünen oder ihrer Partner berichtet. Man könnte also glatt glauben, dass stabiles Regieren zum Markenzeichen der Grünen werden könnte.

Winfried Kretschmann

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(Foto: Jörg Carstensen/dpa)

Wie mächtig sind die grünen Landesfürsten? Im partei-internen Zwist um einen Kompromiss mit der Bundesregierung beim Asylrecht siegte der Stuttgarter Regierungschef.

Tarek al-Wazir

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(Foto: Boris Roessler/dpa)

Der Landeschef gilt als Architekt und Garant des bisher gut funktionierenden schwarz-grünen Bündnisses in Hessen. Wichtig in Berlin, aber unabkömmlich in Wiesbaden.

Christian Meyer

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(Foto: Holger Hollemann/dpa)

Niedersachsens Landwirtschaftsminister gehört zu den Linken, steht in der Partei aber auch für vernünftiges Regieren mit dem Koalitionspartner. Das gefällt nicht allen.

Genau das aber wird für Peter und die anderen in der Bundespartei zum Problem werden. Dass Peter weitere Zuspitzungen angekündigt hat, dürfte bei manchem Parteifreund in den Ländern zur Folge haben, dass sich ihm (oder ihr) die Nackenhaare aufstellen. Als Berlin das letzte Mal richtig "zuspitzte", kam es zum Super-Clash zwischen der Bundespartei und dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. Er wurde für den Asyl-Kompromiss mit dem Bund attackiert. Andere Landespolitiker teilten indes seine Abwägung, auch wenn sie sich im Bundesrat enthielten. Der Streit nutzte niemandem, sieht man davon ab, dass Union und SPD damals sehr froh waren, weil sich alle Welt für den Krach bei den Grünen interessierte und niemand den Konflikt in ihren Parteien aufgriff. Erst nachdem sich die Grünen große blaue Augen verpasst hatten, wurde ihnen bewusst, dass sie sich den Streit hätten sparen können und Ähnliches in Zukunft vermeiden müssen.

Immerhin ist eine Wiederholung bislang ausgeblieben. Auch weil der Lernprozess so brutal gewesen ist. "Wir erleben jetzt, was bei SPD und Union seit Jahrzehnten Realität ist", sagt eine prominente Berliner Grüne, "die Prioritäten sind nicht mehr automatisch die gleichen." Anders ausgedrückt: Nicht mehr Berlin gibt in zentralen Fragen automatisch die Linie vor; die muss jetzt immer wieder neu austariert werden. Das macht das Leben für das Führungsquartett Simone Peter, ihren Co-Vorsitzenden Cem Özdemir und die beiden Fraktionschefs Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter schwerer. Im Konflikt mit Kretschmann ums Asyl war das am schlimmsten. Aber tatsächlich geht es jetzt jeden Donnerstagabend vor einer Bundesratssitzung darum, die Interessen auszubalancieren. Aus diesem Grund bekommen manche in Berlin leise Bauchschmerzen, wenn sie Peters Diktum hören, man regiere jetzt mit bei 60 Millionen Deutschen. "Wir müssen wahnsinnig aufpassen, dabei nicht zu viel zu versprechen", warnt ein Mitglied aus der Fraktionsführung.

Den Realos dürfte das leichter fallen als den Linken. Bei einem genauen Blick auf die zentralen Figuren in den Landesregierungen wie dem Hessen Tarek al-Wazir stellt man fest, dass die meisten entweder immer schon zu den Realos gehörten - oder aber jenes "Rendezvous mit der Realität" erleben, über das CDU-Mann Wolfgang Schäuble so gerne doziert. Kaum im Amt, merken sie, dass es mit der reinen grünen Lehre schwer wird, sobald man in einer Koalition steckt. Und noch härter wird es, wenn man Bauern oder Lehrern oder Solarfabrikanten erklären muss, was man für sie tun kann und was nicht.

Wenig überraschen kann deshalb, dass in den internen Abstimmungen der Grünen große Ideen und reale Erlebnisse immer öfter aufeinanderprallen. Öffentlich spricht Parteichefin Peter davon, dass die Grünen mit den Regierungsbeteiligungen ihre Regierungsfähigkeit unter Beweis stellen. In der Bundestagsfraktion dagegen kann man an den garstigen Kämpfen über künftige Steuervorschläge beispielhaft studieren, wie weit die Partei im Bund von einer Regierungsfähigkeit noch entfernt ist. Die Realos warnen davor, Radikales zu beschließen, das die Partei in einer Koalition einholen könnte. Die Linken halten dagegen, dass man für eine Regierungsbeteiligung nicht jetzt schon Überzeugungen schleifen dürfe. Da ist nichts entschieden.

© SZ vom 09.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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