Bürgerversicherung:Diagnose richtig, Rezept falsch

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Ja, es gibt eine zwei-Klassen-Medizin in Deutschland - aber nicht nur in der von der SPD festgestellten Form. Und was sie nun vorschlägt und gegen die Union durchsetzen will, löst nichts von den Problemen, welche in Wahrheit die drängendsten sind.

Von Kristiana Ludwig

Bevor sie in eine neue Koalition eintreten, wollen die Sozialdemokraten unbedingt die Zwei-Klassen-Medizin abschaffen. Sie wollen, dass das deutsche Gesundheitssystem gerechter wird, und sie haben das größte Übel bereits ausgemacht: die ungleiche Behandlung von Kassenpatienten und Privatversicherten. Gesundheit sollte nicht vom Geldbeutel der Patienten abhängig sein, so lautet die Botschaft der SPD.

Die Realität sieht in Deutschland aber leider genau so aus. Zu oft entscheidet das Einkommen darüber, wie gut ein Mensch medizinisch versorgt ist. Wer arm ist und Schulden hat, ist nachweislich häufiger krank und geht seltener zum Arzt. Oft können diese Leute die Zuzahlungen für Medikamente nicht aufbringen. Gerade Zahnbehandlungen sind teuer: Armut zeigt sich meist dann, wenn ein Mensch den Mund öffnet.

Wer alt wird und Hilfe braucht, ist erst recht auf ein finanzielles Polster angewiesen. Familien mit wenig Geld trifft ein Pflegefall besonders hart. Sie können sich keine private Pflegekraft für daheim leisten, keine komfortable Seniorenresidenz voller ausgeruhter Pflegekräfte. Selbst für Bürger, die ihr Leben lang gearbeitet haben, zahlt am Ende oft das Sozialamt ein Zimmer im Altenheim; in einer jener freudlosen Einrichtungen, in denen bundesweit Personal fehlt.

Das alles erschreckt und bewegt die Menschen. Doch eine Bürgerversicherung, wie sie die SPD will, wird an diesen Problemen gar nichts ändern. Um mehr Gerechtigkeit im Gesundheitswesen zu schaffen, fehlt den Sozialdemokraten ein echtes Konzept. Sie wollen ein solidarisches Krankenkassensystem einführen, das auch wohlhabende Bürger an den Gesundheitsausgaben beteiligt. Langfristig soll die Bürgerversicherung bewirken, dass die Sozialabgaben für alle erschwinglich bleiben. Doch um Reiche zur Kasse zu bitten, schlägt die Partei nicht einmal ein besonders strenges Verfahren vor: Das tatsächliche Vermögen der Bürger soll für ihren Beitrag keine Rolle spielen, sondern nur ihr Verdienst. Firmenchefs aber können ihr Einkommen leicht kleinrechnen. Und mit Medikamenten-Zuzahlungen wiederum befasst sich diese Versicherung nicht einmal.

Der Ort, an dem die Wähler das neue SPD-System dann spüren sollen, ist die Arztpraxis. Wären alle Menschen gleich versichert, würde es sich für Ärzte nicht mehr lohnen, Privatpatienten zu bevorzugen. Das wäre sicher ein Erfolg. Doch in den Regionen, wo Bürger die größten Schwierigkeiten haben, einen Arzttermin zu bekommen oder sehr weit zur nächsten Praxis fahren müssen - dort sind die Privatversicherten überhaupt nicht das Problem. Auf dem Land, vor allem in Ostdeutschland, fehlen schlicht die Mediziner. Eine neue Krankenversicherung allein wird sicher keinen Neurologen oder Hals-Nasen-Ohren-Arzt motivieren, in den Osten umzuziehen.

Um allen Bürgern den gleichen Zugang zum Gesundheitssystem zu sichern, braucht es kluge Lösungen für ländliche Regionen - etwa zentrale Kliniken, in denen auch Hausärzte praktizieren. Es fehlt ein Plan, wie Pflegeheime zu erträglicheren Orten werden können. Wenn sich hier nichts ändert, dann werden die Abgehängten, von denen Sozialdemokraten in ihren Gerechtigkeitsreden stets erzählen, weiterhin abgehängt bleiben.

© SZ vom 30.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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