Bürgerschaftswahl 2011:Guerilla in Bremen

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Bei den Bürgern ist sie beliebt, politische Gegner hingegen belächeln sie gerne: Finanzsenatorin Karoline Linnert, die Spitzenkandidatin der Grünen in Bremen, versucht seit Jahren, den hochverschuldeten Stadtstaat zu sanieren. Der Kampf gegen die Pleite ist die eigentlich spannende Geschichte in diesem Wahlkampf.

Jens Schneider

Das Wort klingt nach Büroklammern und dreifachen Durchschlägen. Es ist, da dürften alle Wahlkampfstrategen einig sein, absolut unsexy: Reisekostenabrechnungen. Karoline Linnert schert das nicht. Gerade hat die rothaarige Diplom-Psychologin an ihrem Arbeitstisch mit zwei schnoddrigen Sätzen rhetorisch politische Gegner filetiert. Nun kommt sie zum Eigentlichen. Sie erklärt dem Besucher ihre Mission, deshalb: die Reisekostenabrechnungen.

Grünen-Spitzenkandidatin Karline Linnert mit der Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Bundestag, Renate Künast. (Foto: dapd)

Die Bremer Finanzsenatorin Karoline Linnert und ihre Mitarbeiter haben sich die Reisekostenabrechnungen vorgenommen. Sie haben entdeckt, dass nichts einheitlich war. "Wir haben sogar ein Ressort gefunden, wo eine Reisekostenabrechnung durch sieben Hände ging." Sie haben das Verfahren zentralisiert. Die 52-Jährige nickt kurz: Darum geht es.

Der Schritt sparte Geld, sie können Angestellte anders einsetzen. Jetzt könnte sie noch davon reden, dass sie die Kopierer nun fürs Land zentral einkaufen, das hat die Kosten immerhin halbiert. Das sind alles kleine Geschichten, und die Schulden des Bundeslandes sind so gewaltig groß. "Aber es geht nicht darum zu zaubern, was wir machen, das ist einfach harte Arbeit."

Dies ist die wirklich spannende Geschichte im Wahlkampf des Landes Bremen, der sonst nicht viel Spannung bringt, weil Rot-Grün der Sieg sicher scheint. Es ist die Geschichte vom Kampf gegen die Pleite des mit mehr als 17 Milliarden Euro hoch verschuldeten Stadtstaates, den viele für unrettbar pleite halten. Es ist mehr als dreißig Jahre her, da gründete sich eine ziemlich wilde Partei, die stritt ums Gewaltmonopol des Staates, gegen die Herrschaft des Patriarchats und blockierte gegen Pershings.

Mittendrin steckte die junge Studentin Karo. Sie gründete die Grünen in Bremen mit. Frauenpolitik zählte zu ihren Anliegen. Das hat sie nicht vergessen, sie freut sich, dass in Bremen einige Frauen gerade wichtige Führungsposten übernommen haben. Niemand aber hätte sich damals vorstellen können, dass diesen Grünen einmal die Finanzpolitik anvertraut würde - und dass eine von ihnen das leidenschaftlich machen würde. Linnert versucht seit vier Jahren, die maroden Finanzen des Landes zu sanieren und zählt dennoch zu den beliebtesten Politikern Bremens. Die eigenen Leute haben sie mit einem Traumergebnis zur Spitzenkandidatin gewählt. Es sieht aus, als würde sie am Sonntag mit den Grünen an der CDU vorbeiziehen, erstmals bei einer deutschen Landtagswahl.

Als sie anfing, hatten die Bremer Jahrzehnte einer Politik der Regierungen von SPD und CDU hinter sich, die immer neue Schulden anhäuften. "Natürlich ist hier früher viel Geld versenkt worden", sagt Linnert, die sich schon als Abgeordnete einen Namen als Finanzexpertin gemacht hatte. "Da war manches abenteuerlich." Sie wollte eine sparsame Finanzpolitik, damit der Staat handlungsfähig bleibt. "Das ist keine Geheimwissenschaft für schlecht gelaunte alte Männer", erklärte Linnert ihren Leuten: "Komm, du kannst das verstehen."

Oft wird sie auf der Straße auf die Haushaltslage angesprochen. Und erklärt, wie sie alles unter die Lupe nehmen will. Sie muss Stellen abbauen. Nach ihren Plänen werden nur zwei von drei Stellen, die aus Altersgründen frei werden, wieder besetzt. Linnert ist resolut, aber will keine Sparkommissarin sein: Von oben den Bleistift auf einen Namen im Stellenplan fallen lassen, der dann weg soll, das sei nicht ihr Weg.

Linnert lehnt auch Schnitte im Sozialhaushalt ab. "Man darf nicht so tun, als ob es keine Hemmungen beim Sparen gibt. Ich versuche zu zeigen, dass es Grenzen gibt und man mir nicht alles zutrauen kann." Viele Änderungen lösen wenig Aufregung aus. "Aber sie bringen Ersparnis und Bewegung in die inneren Strukturen des Staates." Fast klingt das wie zu Grünen-Gründerzeiten: "Das ist so eine Art Guerilla-Taktik."

Für all das braucht sie einen langen Atem, und ein Einbruch wie bei der jüngsten Weltfinanzkrise reicht, um die Bemühungen zunichtezumachen, so wie im vorigen Jahr. Die Spitzenkandidatin der CDU, Rita Mohr-Lüllmann, rechnet Linnert vor, dass sie 2010 jeden Monat 100 Millionen Euro neue Schulden gemacht hat. Sie lacht über Linnert und den SPD-Bürgermeister Jens Böhrnsen, der sparen wolle, ohne dass die Leute es merken.

"Es geht nicht um Brutalität", antwortet die Senatorin. "Die CDU tut immer so, als ob es möglichst blutig und mit viel Getöse vonstattengehen muss. Das ist nicht mein Weg." Zwischen beiden könnte die Distanz kaum größer sein. Wenn Linnert neben der CDU-Frau auf einem Podium sitzt, guckt sie bald genervt in die Ferne.

Wird sie dann gefragt, ob sie angesichts der Umfragewerte nun mit Hilfe der CDU Bremer Bürgermeisterin werden will, zischt die Grüne: "Ja, in meinem nächsten Leben werde ich Prinzessin." Sie findet die Frage abwegig. "Was denken die Leute von mir, die so was fragen? Das wäre doch reine Machtgier. Es geht nicht um Posten, sondern um Inhalte." Mit der CDU gebe es keine Gemeinsamkeiten, "sie ist in einem traurigen Zustand. Die können gar nicht regieren".

Nun hat sie gerade einen Haushalt vorgelegt, der den Vorgaben der Schuldenbremse entspricht. Im Gegenzug gibt es von den Geberländern 300 Millionen Euro Unterstützung für den weiteren Sanierungsweg. Mit diesem Erfolg stellt Linnert sich allen entgegen, die nicht an ihr Sparziel glauben, weil Bremen einfach zu viele Schulden hat.

"Es gibt Leute, die sagen: Die arme Irre. Die glaubt ja auch noch selbst, dass sie diesen Haushalt sanieren kann." Die "zucken mit den Schultern, und sagen: Finanzsenatoren kommen und gehen. Das geht auch vorüber". Sie verspricht nicht, dass die Sanierung klappen wird. "Wir können die Schuldenbremse bei einer guten Einnahmeentwicklung schaffen", sagt sie nur. Aber der Defätismus sei nur eine Begründung, sich nicht anzustrengen.

© SZ vom 17.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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