Britische Außenpolitik:London ignorierte Gefahr russischer Einflussnahme

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Parlamentsbericht zeigt, dass die britische Regierung kaum Anstrengungen unternahm, um Brexit-Referendum zu schützen.

Von Alexander Mühlauer, London

Zehn Monate lang hatte der britische Premierminister Boris Johnson einen Parlamentsbericht zur mutmaßlichen Einmischung Russlands beim Brexit-Referendum unter Verschluss gehalten. Am Dienstag wurde das Ergebnis der Untersuchung veröffentlicht: Nach Ansicht des Geheimdienstausschusses hat die damalige britische Regierung keine ernsthaften Anstrengungen unternommen, die Volksabstimmung im Jahr 2016 vor den Gefahren einer russischen Einflussnahme zu schützen.

"Der Report offenbart, dass niemand in der Regierung wusste, ob Russland sich einmischte oder versuchte, das Referendum zu beeinflussen, weil sie es nicht wissen wollten", sagte das Ausschussmitglied Stewart Hosie bei der Vorstellung des parteiübergreifenden Berichts. Damalige konservative Minister hätten es "aktiv vermieden", nach Beweisen für mögliche Interventionen aus Moskau zu suchen, erklärte der Abgeordnete der Schottischen Nationalpartei (SNP). Dem Parlamentsausschuss sei es daher unmöglich zu beurteilen, ob der Kreml erfolgreich in das Brexit-Referendum eingegriffen habe oder nicht. Die Briten hatten vor vier Jahren mit etwa 52 Prozent für den EU-Austritt gestimmt.

Der Bericht stellte auch die Rolle der britischen Geheimdienste infrage. So hätte etwa beim MI5 "extreme Vorsicht" geherrscht, sich in die Politik einzumischen. "Die Verteidigung demokratischer Prozesse schien so etwas wie ein heißes Eisen zu sein", heißt es in dem Report. Keine Organisation sei offenbar bereit gewesen, eine Bewertung möglicher russischer Einflussnahme vorzunehmen. Dies müsse sich nach Ansicht des Ausschusses ändern. Das Gremium schlug vor, dass die Geheimdienste die Vorgänge rund um das Brexit-Referendum rückblickend untersuchen sollten. Doch das lehnte die Regierung ab.

Laut dem Bericht ist das Vereinigte Königreich schon lange eines der Top-Ziele für russische Einflussversuche im Westen - dies sei die "neue Normalität". Doch trotz entsprechender Berichte, wonach der Kreml das schottische Unabhängigkeitsreferendum im Jahr 2014 beeinflusst haben soll, habe die britische Regierung es versäumt, die Angelegenheit zu untersuchen.

Die Autoren kritisierten zudem, dass Oligarchen aus Russland in Großbritannien "mit offenen Armen" empfangen würden. In London würden Anwälte, Buchhalter und Immobilienmakler als De-facto-Agenten des russischen Staates arbeiten. So könnten Gesetzgebungsprozesse vom Kreml beeinflusst worden sein. "Bemerkenswert ist zum Beispiel, dass eine Reihe von Mitgliedern des Oberhauses Geschäftsinteressen haben, die mit Russland verbunden sind", heißt es in dem Bericht.

Moskau reagierte harsch. "Russland hat sich nie in irgendeinen Wahlprozess eines anderes Landes der Welt eingemischt - weder in den USA noch in Großbritannien", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Die Sprecherin des Außenministeriums, Maria Sacharowa, bezeichnete den Londoner Bericht als "keine Sensation". Das Vorgehen sei von Russenfeindlichkeit und Falschnachrichten geprägt.

© SZ vom 22.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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