BND-Bespitzelungsaffäre:Sie wussten, was sie taten

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Eigentlich ist der BND im Umgang mit Affären routiniert - trotzdem ist der Fall der bespitzelten Spiegel-Journalistin ein Skandal der besonderen Art. Für BND-Chef Uhrlau steht die Ampel jetzt auf dunkelrot.

Hans Leyendecker

Unternehmen, Behörden (und auch Redaktionen) sind Biotope mit eigenen Regeln, die Außenstehende nicht auf Anhieb durchblicken, aber die Welt der Geheimdienste ist ein noch viel speziellerer Lebensraum. Zur Behördenkultur des Bundesnachrichtendienstes (BND) etwa gehören nicht nur Geheimhaltung, sondern auch Geheimniskrämerei und Wichtigtuerei.

"Bedauerlicher Beifang": BND-Chef Ernst Uhrlau (Foto: Foto: ddp)

Im Dunkeln ist gut munkeln, das weiß schon das Sprichwort. Ab und zu blubbern dann im Biotop große Blasen, es riecht plötzlich übel und die Öffentlichkeit reibt sich erstaunt die Augen: Man hat ja manches für möglich gehalten, aber das?

Derzeit fängt es wieder in Berlin und Pullach an zu stinken, geheimes, illegales Material ist im Rückstau verfault. Eine Journalistin des Spiegel ist ausgeforscht worden. Da ist niemandem etwas unterlaufen, niemand hat etwas übersehen, sondern der Gesetzesverstoß wurde vorsätzlich riskiert. Das macht diesmal den Skandal aus. Eigentlich ist der BND im Umgang mit Affären routiniert. Diesmal reagiert er hektisch, was ein Hinweis auf die Bedeutung des Falles ist.

Die Kritiker haben dem Geheimdienst seit dessen Gründung vor gut einem halben Jahrhundert abwechselnd alles und nichts zugetraut, und dieser hat die Kritikaster in ihren Erwartungen weder so noch so enttäuscht. Das Glück kennt keinen Plural, wohl aber das Unglück, und Unglücke sind ein Synonym für die Tätigkeit des Auslandsdienstes geworden.

Seine wechselvolle Geschichte ist eine chronique scandaleuse der Bundesrepublik: Sie beginnt mit dem selbsternannten "Schöpfer" des Dienstes, dem ersten Präsidenten Reinhard Gehlen, in dessen Panzerschrank Dossiers über 54 deutsche Politiker gefunden wurden, und endet - vorläufig - mit der Ausforschung einer Journalistin und der Rolle des zehnten Präsidenten Ernst Uhrlau.

Immerhin: Umsturzversuche oder "nasse Sachen" - ein Euphemismus für Mordaufträge - gehören im Gegensatz zu den amerikanischen und russischen Diensten nicht zum Repertoire des BND. Auch ist dessen Unterhalt vergleichsweise günstig. Während die USA für ihre 16 oder 17 Dienste rund 44 Milliarden Dollar im Jahr ausgeben, kostet der BND nur 430 Millionen Euro pro Jahr und ist dafür Auslandsgeheimdienst, technischer Abhördienst und militärischer Nachrichtendienst in einem.

Ein Schnäppchen also, wenn er nicht so viel Ärger machen würde. Zum Wesen des deutschen Auslandsdienstes gehören Seilschaften und Indianerspiele. Teile des Dienstes haben immer ein Eigenleben geführt. Als der achte Präsident, Hansjörg Geiger, damit begann, Decknamen und Deck-Autokennzeichen abzuschaffen, hatte er intern verloren.

Fortan wurde gegen ihn Material gesammelt. Auch Uhrlau hat, so scheint es, den Laden nicht im Griff. Der Umzug nach Berlin macht im Haus Ärger, die Zusammenlegung der Bereiche Beschaffung und Analyse auch. Alte kämpfen gegen die Jungen, Referate führen ein Eigenleben.

Die Erkenntnis, dass große Organisationen fehlerhafte Betriebssysteme haben können und dass die Mitarbeiter Fehler machen, ist so neu nicht - von Pullach bis zum Wittelsbacherplatz in München, wo die Siemens-Zentrale angesiedelt ist, sind es nur ein paar Kilometer.

Die Besonderheit des neuen BND-Skandals liegt aber darin, dass es sich nicht um einen Vorfall nach dem üblichen Pech-Pleiten-Pannen-Schema handelt, und das wirft die Frage nach der Verantwortung auf. Justament, als sich die Republik darüber aufregte, dass der Dienst Journalisten ausgeforscht hatte, war er schon wieder hinter einer Journalistin her. Alle Schwüre, dass so etwas nie mehr vorkommen werde, dass es ein sehr bedauerlicher Einzelfall sei, waren voreilig oder geheuchelt.

Starke Untertreibung

Von einem "Schandfleck" auf der Weste des BND hatte Uhrlau gesprochen und beteuert, dass Medienleute "nicht als Fliegenfänger benutzt werden" dürften. Schon war die Weste wieder besudelt. Verharmlosend hat der Präsident in diesen Tagen noch von einem "Beifang" gesprochen, der dem Dienst bedauerlicherweise ins Netz gegangen sei.

Das ist eine starke Untertreibung: Es war ein Fang. Referatsmitarbeiter sammelten systematisch die E-Mail-Korrespondenz eines Kabuler Ministers mit einer Spiegel-Journalistin. Sie diskutierten, ob ihr Handeln mit dem sogenannten G-10-Gesetz vereinbar sei (der Grundrechtsartikel schützt das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis) und sammelten dennoch weiter.

Sie wussten, was sie taten. Der Präsident bekam nichts mit, das Kanzleramt wurde nicht informiert. Erst spät hat der zuständige Abteilungsleiter die Notbremse gezogen, viel zu spät hat sich der Präsident bei der Journalistin entschuldigt, zu spät das Parlament informiert.

Dass dies kein Unfall war, macht den Fall zum Fall Uhrlau. Natürlich hat auch die Kontrolle versagt. Immer wieder erfahren Kontrolleure erst aus der Zeitung, was sie längst hätten wissen müssen. Dieser Skandal belebt die Diskussion über die fällige Reform der Aufsichtsorgane, aber das reicht diesmal nicht. Wie im Fall einer Verkehrsampel hat der Bundesnachrichtendienst die Welt in drei Signalstufen eingeteilt: rot, gelb, grün. Von jetzt an steht die Ampel auf dunkelrot für den Präsidenten.

© SZ vom 25.04.2008/aho - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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