Blog über Vergewaltigung:An der Biegung des Flusses

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Iraks bekannteste Bloggerin berichtet über eine Vergewaltigung - und sendet damit zum ersten Mal seit Monaten Lebenszeichen.

Alex Rühle

Sie lebt! Wenn sie sich länger nicht meldet, wenn ihr Blog über Wochen hin nicht aktualisiert wird, kriecht oft die Angst hoch, dass sie gestorben sein könnte. Der letzte Eintrag stammte vom 31. Dezember, damals empörte sie sich über die Bilder von der Hinrichtung Saddam Husseins. Zählt man all die dpa-Zahlen und Meldungen zusammen, dann sind seither allein in Bagdad mehr als 2000 Menschen durch Bombenanschläge und Selbstmordattentate gestorben . . .

Sie lebt. Am Dienstag hat sie sich zu Wort gemeldet, eine Frau aus Bagdad, die sich am 17. August 2003, kurz nach Ende des Irakkriegs, in ihrem Blog so vorstellte: "Ein bisschen was über mich: Ich bin weiblich, Irakerin und 24. Ich habe den Krieg überlebt. Mehr müsst ihr über mich nicht wissen. Das ist ohnehin alles, was in diesen Tagen zählt."

Drastische und anschauliche Texte

Viel mehr hat sie nicht von sich preisgegeben, nur dass sie als Programmiererin angestellt war. Vor dem Krieg. Heute ist sie arbeitslos, so wie 70 Prozent der Iraker. Ihr Eintrag vom Dienstag nun beginnt mit den Sätzen: "In letzter Zeit kostet es mich unglaublich viel Energie und Willenskraft überhaupt noch zu bloggen. Aber heute nacht muss ich einfach schreiben . . ."

Riverbend - ihr Pseudonym erinnert an die Flussbiegung des Tigris im Zentrum von Bagdad. Und sie schreibt seit 2003 voller Sarkasmus vom Überleben in Bagdad, stenografiert den Zerfall ihres Landes mit oder erinnert sich daran, wie sie es früher genoss, in T-Shirt und Jeans durch die Straßen zu spazieren.

Die Texte sind so anschaulich, so drastisch und gleichzeitig so intelligent und witzig, dass daraus ein Theaterstück kompiliert wurde: "Girl Blog from Iraq". Vor allem aber erschienen die Texte als Buch (Auf deutsch im Residenz-Verlag "Bagdad Burning. Ein Tagebuch", 2006). Die englische Version erhielt den dritten Platz des "Lettre Ulysses Award" für Reportagen.

Vor drei Jahren schrieb sie: "Ich habe das Gefühl, als wären wir mit der Besatzung um 50 Jahre zurückgefallen. Frauen oder Mädchen, die allein auf der Straße gehen, müssen mit allem rechnen, von Beschimpfungen bis zu Entführungen. Jeder Ausgang muss mindestens eine Stunde im Voraus geplant werden. Und immer wieder die Frage, musst du denn wirklich raus, um das zu kaufen? Kann ich es nicht für dich besorgen?"

Nur eine Sunnitin

So sitzt sie, wie alle Iraker, sehr viel vor dem Fernseher. Am Montag war da auf Al-Dschasira plötzlich eine tiefverschleierte Frau zu sehen, weinend, auf einem Bett liegend. Sie schilderte in allen entsetzlichen Details, wie sie von mehreren Polizisten vergewaltigt und erst auf Druck amerikanischer Soldaten wieder freigelassen wurde.

Mord, Vertreibungen, Folter, zerfetzte Körper - über all das wird im Irak täglich berichtet. Über Vergewaltigung nicht. Es sei denn, es geht um Übergriffe amerikanischer Soldaten. So ist dieses Al-Dschasira-Interview in zweifacher Hinsicht ungeheuerlich: Kaum je seit dem Ende des Krieges hat ein Vergewaltigungsopfer selber in der Öffentlichkeit gesprochen. Und in diesen wenigen Fällen ging es um Amerikaner.

Schon deshalb liefen am Montag solche Schockwellen durchs ganze Land, dass sich der Ministerpräsident Nuri al-Maliki zu einer Stellungnahme genötigt sah, durch die er alles aber nur schlimmer machte: Er dementierte umgehend - und ließ den Namen der Frau preisgeben. Das kommt einem Todesurteil gleich. Und er heizte die politischen Spannungen an, indem er betonte, die Frau sei Sunnitin, während die Polizeikräfte vor allem aus Schiiten bestünden. Den drei Polizisten versprach er eine Belohnung als Entschädigung für die Anwürfe der Sunnitin . . .

Riverbends Kommentar: "Wie erwartet, behauptet Maliki, die Vergewaltigungsvorürfe seien nichts als Lügen. Seine Leute haben die beschuldigten Polizisten offenbar gefragt, ob sie Sabrine al-Janabi vergewaltigt haben, was diese verneinten. Ich bin ja so froh, dass das geklärt wurde."

© SZ vom 22.2.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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