Beziehungspflege:Jenseits von Erdoğan

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Noch kann die Kultur die deutsch-türkische Freundschaft pflegen.

Von Christiane Schlötzer

Kinder schreiben Parolen an die Wand ihrer Schule, in einer Kleinstadt der Türkei. Ihr Protest richtet sich gegen den autoritären Schuldirektor, der die gewählte Schulsprecherin abgesetzt hat. Die Aktion löst keinen Bürgerkrieg aus - wie die Schülergraffiti 2011 in Syrien. Und das Ganze ist auch nur ein Spielfilm, der reale Begebenheiten verarbeitet. Er heißt " Mavi Bisiklet " (Das blaue Fahrrad) und wurde am Wochenende zum Auftakt der Türkischen Filmtage in München gezeigt. Das Festival ist fester Bestandteil des Münchner Kulturkalenders, es findet zum 28. Mal statt, ist etabliert. Aber im türkisch-deutschen Verhältnis ist nichts mehr normal, so sind die Sinne geschärft für alles, was auf und vor der Leinwand geschieht.

" Ortak Yapım ı", Gemeinschaftsproduktion, türkisch-deutsch, heißt es im Vorspann zu "Mavi Bisiklet". Regisseur Ümit Köreken sagte, ihm sei zu Hause zu einer rein türkischen Produktion geraten worden, er sei aber froh, dass er es anders gemacht habe, weil sich so für seine jungen Darsteller mehr Türen öffneten. Mit anderen Worten: weil sie über den türkischen Tellerrand schauen dürfen.

Wohl nie war der kulturelle Austausch mit der Türkei wichtiger als heute, für alle, die dort Angst haben, dass ihr Land in einen albtraumhaften Winterschlaf versinkt, in eine kulturelle Eiszeit, ohne Aussicht auf ein Frühlingserwachen. Jede Koproduktion, nicht nur fürs Kino, ist da ein Silberstreif am Horizont. Es gibt sie ja noch, die Neugierigen, die mit Hoffnung nach Europa blicken, wo sich frei denken und gestalten lässt, wo keine Anklage wegen Terrorismus droht für Regimekritik oder vermutete Gegnerschaft zu einem Präsidenten, der für die Wiedereinführung der Todesstrafe plädiert.

Es gibt nun auch Angriffe in der Türkei auf jene, die das Gemeinsame pflegen, auf deutsche Stiftungen zum Beispiel, die dort seit Jahrzehnten mit verschiedensten türkischen Partnern in engem Austausch stehen. Für nationalistische Scharfmacher ist das verdächtig. In der islamistischen Zeitung Akit war jüngst zu lesen, 51 deutsche Stiftungen, darunter Ebert-, Adenauer- und Böll-Stiftung, würden als Spione und Aufwiegler agieren, als "Trojanisches Pferd". Belegt wurde dies mit Programmen zur Förderung von Demokratie und Frauenrechten.

Bislang bleiben die großen Stiftungen präsent, und auch das Interesse an einem kulturellen Jugendaustausch ist nach wie vor "erstaunlich groß", wie es bei der hier aktiven Mercator-Stiftung heißt. Aber es wurden auch schon Tagungen abgesagt. Türkische Akademiker beklagen, dass immer weniger Wissenschaftler zu ihnen kommen. Sie fühlen sich isoliert und bedauern, dass sich viele ihrer eigenen Kollegen, notgedrungen, auf die Flucht gemacht haben und nun das akademische Leben in Toronto oder Berlin bereichern, aber nicht mehr in Istanbul und Izmir.

Tapfer halten auch türkische Institutionen dagegen, wie die private "Istanbuler Kulturstiftung", die für die Biennale im Herbst plant. Die Frau des Regisseurs Köreken, Nursen Çetin, die am Drehbuch für "Mavi Bisiklet" mitschrieb, sagte in München: Filmemacher hätten nicht die Macht von Politikern, aber sie könnten zeigen, "dass sich eine gerechtere und freiere Welt" gestalten lässt. Langer Applaus im Saal.

© SZ vom 20.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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