Bestechung und Vetternwirtschaft:Zahltage in der Ukraine

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Die Korruption ist noch immer allgegenwärtig und der Kampf gegen sie verläuft zäh und undurchsichtig. Doch für weitere Hilfen will der Westen erst Ergebnisse sehen.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Es war einer der ersten Tage des Maidan-Aufstandes, als Taras Sawetschuk im Sender Hromadske TV eine Talkshow zum Thema Korruption sah. Ein emigrierter Ukrainer, der aus den USA zugeschaltet war, forderte, endlich Schluss zu machen mit der ekelhaften, zerstörerischen, demoralisierenden Korruption im Land. Es sei leicht, aus der Ferne Ratschläge zu geben, konterte ein Politik-Experte in Kiew. Der Emigrant war empört: Er habe während der Orangenen Revolution 2004 schon einmal genau dafür gekämpft: dass man Operationen, Medikamente, Jobs, gute Schulen und gute Noten nicht mehr kaufen und Polizisten und Richter nicht mehr bestechen müsse, um zu seinem Recht zu bekommen. Aber nichts habe sich geändert.

Sawetschuk erinnert sich lebhaft an diese Szene. Heute ist er selbst ein Emigrant. Er lebt in Österreich und arbeitet als Hautarzt an einem Wiener Krankenhaus. Auch er hatte 2004 auf dem Maidan gestanden, und 2014 erneut. Dann hat er die Ukraine verlassen. Weil sich, wie der 41-jährige aus Tschernowitz sagt, nichts geändert habe. Und auch so schnell nichts ändern werde.

Das Land stand jahrelang auf einem der hintersten Plätze im internationalen Korruptionsindex: auf Platz 142 von 175 Staaten. In der Ära des gestürzten Präsidenten Viktor Janukowitsch sind nach Berechnungen von Experten jedes Jahr mindestens 37 Milliarden Dollar aus öffentlichen Geldern abgezweigt worden, das entspricht einem Fünftel des Bruttoinlandsprodukts von 2013. Die Kleptomanie der Oligarchen, die Käuflichkeit der Politiker, der rechtsfreie Raum im Justizwesen, die Erpressungen durch die Miliz - all das sollte sich in der neuen Ukraine ändern, auch dafür gingen Zehntausende im Winter 2013 auf die Straßen.

Präsident Petro Poroschenko sagt, "die Front, an der wir gegen Korruption kämpfen, ist genauso wichtig wie die Front, an der unsere Helden im Osten kämpfen." Große Worte. Aber wie groß sind die Taten? Allenthalben wächst die Verbitterung, den Versprechen und Bemühungen der Regierung zum Trotz. Taras Sawetschuk jedenfalls fürchtet sich: Löhne und Gehälter fielen, Ausgaben und Steuern stiegen, Hoffnung kippe in Wut. Und alle fragten sich: Wenn die oben weiter käuflich sind, warum sollen wir uns dann nicht weiter Vorteile verschaffen?

Sawetschuk unterscheidet, darin mehr Philosoph als Mediziner, zwischen "guter" und "schlechter" Korruption. Mit Schmiergeld könne man Gutes bewirken, zum Beispiel einen kompetenten Menschen in eine Position bringen, die sonst ein Dummkopf bekäme. So ist es bei ihm selber daheim gelaufen. Der Chefarzt wollte ihn, der Personalchef nicht. Also habe er den Personalchef bestechen müssen, um den Job zu kriegen. "Sonst wäre ich auf ewig von der Krankenhausverwaltung drangsaliert worden." Schlechte Korruption - das sei umgekehrt, wenn sich ein Dummkopf ein Amt kaufe, oder ein dummes Kind einem begabten den Schulplatz wegnähme.

Hat sich etwas geändert, im Alltag, in der Gesellschaft? Ja, sagt Sawetschuk sarkastisch. Heute werde oft kein Bestechungsgeld mehr gefordert, heute laufe das meiste über "freiwillige Spenden". Mit einem Brief von der Schule etwa, dass man Geld für neue Fenster im Schulgebäude brauche. Die Eltern zahlten, damit das Kind gute Noten und die Schule neue Fenster bekomme. Und ein Teil des Geldes fließe an die Lehrer, nicht in den Umbau.

Hat sich etwas geändert? Nein, sagt Sergej Leschtschenko. Er ist Parlamentsabgeordneter für den Block Poroschenko, die Partei des Präsidenten; früher war der 34-Jährige einer der bekanntesten investigativen Journalisten des Landes. Im Grunde ist er das immer noch, denn auch als Neu-Parlamentarier setzt Leschtschenko alles daran, die endemische Korruption zu bekämpfen, welche die Beziehungen in Politik und Verwaltung, aber auch zwischen Politikern und Wirtschaftsbossen prägt. Wobei: Wer kann genau sagen, wo sie anfängt und endet, die politische Macht der Oligarchen, die sich ganze Gruppen von Abgeordneten halten, so wie sich reiche Sponsoren Fußballclubs oder Rennställe kaufen? Dieser Tage hat in Kiew endlich der Chef des Nationalen Antikorruptionsbüros seine Arbeit aufgenommen. Aber noch sind Artem Sytnyk, vormals Staatsanwalt im Bezirk Kiew, und sein Stellvertreter, ein Georgier, in ihrer Behörde allein auf weiter Flur. Das Amt wird erst aufgebaut, bis zum Herbst sollen 700 Mitarbeiter eingestellt sein und "die Ukraine umdrehen".

Leschtschenko lobt, dass nun demnächst immerhin Staatsdetektive Vermögen und Einnahmen von Staatsbediensteten durchforsten dürften. Andere Experten teilen seinen vorsichtigen Optimismus nicht. Der Spezialist für internationale Kriminalität an der New York University etwa, Mark Galeotti, hat massive Zweifel an der Bereitschaft der Staatsspitze, sich mit den eigentlich Mächtigen anzulegen - und nicht nur mit kleinen Fischen oder ein paar Vize-Ministern. "Um die organisierte Kriminalität anzugehen, muss Kiew einem Teil der eigenen Eliten den Krieg erklären. Das zu tun, wäre ein wirklich mutiger Akt. Aber Poroschenko ist nicht mutig, er will geliebt werden."

Die einen halten Poroschenko für den Bremser, weil er selber ein Oligarch ist. Die anderen wiederum halten Premier Arsenij Jazenjuk für korrupt, obwohl auch der sich als Kämpfer gegen das Krebsgeschwür Korruption inszeniert und argumentiert, ohne Erfolge auf diesem Gebiet werde der Westen bald die Lust verlieren, weitere dringend benötigte Finanzhilfen zu schicken. Aber so war das schon immer in der Ukraine: ein Lager gegen das andere, nur die Abhängigkeiten wechseln.

Oligarch Dmitro Firtasch etwa, der jüngst in Österreich einer Auslieferungsklage in die USA entkam, wird vor allen vom Falken Jazenjuk bekämpft. Firtasch hat seine ersten Milliarden, wie Recherchen von Reuters ergaben, mit Unterstützung des Kreml gemacht. Poroschenko attackiert vor allem Rinat Achmetow, der im Donbass ein undurchsichtiges Spiel spielt. Mit dem Ex-Gouverneur und mächtigen Stahlbaron Ihor Kolomojskij scheint der Präsident hingegen eine Abmachung getroffen zu haben; ihn braucht er noch.

Oligarch vor Gericht: Dmitro Firtasch beim Prozess in Wien. Die USA hätten ihn gern, doch die Richter lehnten eine Auslieferung ab. (Foto: Heinz-Peter Bader/Reuters)

Reiche Geschäftsleute schöpfen angeblich noch heute Profite von Staatsfirmen ab

Apropos Kolomojskij: An seinem Beispiel listet Leschtschenko auf, wie ambivalent die Korruptionsbekämpfung von Staatsseite ist. Oligarchen wie er schöpften bis heute in Staatsfirmen ungehindert Profite ab - von denen dann ein Teil als Kickback-Zahlungen in die Hände von Politikern fließe. Einerseits wurde kürzlich ein Gesetz erlassen, das Kolomojskijs Einfluss auf den halbstaatlichen Energiekonzern Ukrnafta begrenzen sollte. Aber: Noch immer sitzen dessen Manager in Schlüsselstellen. Bis heute habe niemand etwas dagegen unternommen, dass Kolomojskij Öl aus staatlichen Leitungen abzapfen und in seine privaten Anlagen umleiten lasse, um dann dem Staat die Lager-Kosten in Rechnung zu stellen. Bis heute gebe es einen Vertrag, der festlege, dass der Energiekonzern, an dem der Staat 51 Prozent hält, seine Geschäftskonten bei Kolomojskijs Bank haben müsse.

Aber es gibt auch andere Nachrichten. Auf Leschtschenkos Wutliste stand auch dies: Bis heute habe die Regierung Kolomojskij nicht gezwungen, Millionen an Dividenden herauszurücken, die er bei Ukrnafta einbehalten habe - und mithin dem Staat schulde. Auf der Regierungswebseite wird aber am Freitag verkündet, man werde die überfällige Rückzahlung an die Staatskasse jetzt erzwingen. Gleich daneben diese Nachricht: Dmitro Firtasch müsse hohe Strafgebühren zahlen, weil er illegal staatliche Gasnetze genutzt habe.

Vielleicht sind das weitere Zeichen eines internen Machtkampfes zwischen den Lagern der Profiteure. Vielleicht aber geht ja doch etwas voran.

© SZ vom 16.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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