Berufssoldaten:Die Seele bleibt im Krieg

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Frank Dornseif war für die Bundeswehr in Bosnien und Afghanistan - er hat Schreckensbilder mit nach Hause gebracht, und er wird sie nicht mehr los. Ein Bericht über Berufssoldaten und ihre psychische Belastung durch Auslandseinsätze.

Constanze von Bullion

Der Krieg ist jetzt also nach Hause gekommen. Er wohnt in einem liebevoll eingerichteten Wohnzimmer und lauert vor den heruntergelassenen Rollläden. Manchmal setzt er sich auch ins Auto und fährt mit durch den Tag. Oder er wartet im Bett, bis Frank Dornseif kommt.

Es ist ein sonniger Vormittag, und das Eder-Bergland liegt im warmen Herbstlicht. Eine Landschaft ist das im Norden von Hessen, die aussieht, als hätte jemand aus einem Märchenbuch eine Seite herausgerissen. Malerische Hügel gibt es hier und alte Dörfer, zwischen Fachwerkhäusern watscheln Gänse, und die Menschen bewegen sich so gelassen, als sei die Zeit längst stehen geblieben.

Frank Dornseif sitzt fast bewegungslos an seinem Esstisch, es ist nicht sehr hell in seiner Welt, das Sonnenlicht hat er ausgesperrt. Dornseif ist 47 Jahre alt und ein freundlicher Familienvater, der in einer ausgebauten Scheune lebt, im Dorf Geismar.

Dornseif ist ein Mensch, der gern und viel redet, aber um Gefühle und so Sachen macht er nicht viel Theater. Er ist Berufssoldat, im Dienstgrad Hauptfeldwebel, und er hat die wohl besten Jahre seines Lebens in Kasernen und unter Kameraden verbracht.

Bis dieser Krieg ausgebrochen ist in seinem Kopf, den er bis heute nicht unter Kontrolle bringen kann. ,,Mein Leben ist versaut'', sagt Frank Dornseif irgendwann, ,,privat, beruflich und sozial.''

Der Anschlag in Kabul

Manchmal überfallen ihn die Bilder im Wartezimmer, in der Schlange vor der Kasse, wenn ein Kind schreit oder sein Wagen im Stau stecken bleibt. Dann hört er wieder die Sterbenden brüllen, riecht den verschmorten Kunststoff, spürt diesen Betonklotz im Rücken, die Sonne und die Todesangst.

,,Wenn ich nicht flüchten kann, dann bin ich da wieder'', sagt Dornseif und meint den 8. Juni 2003, als sein erstes Leben zu Ende ging. Damals wurde ein Bus der Bundeswehr auf dem Weg zum Flughafen in Kabul von einem Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt.

Die Soldaten waren auf dem Weg nach Hause, vier von ihnen starben und etliche wurden schwer verletzt. Wie schwer, das haben manche erst nach Jahren begriffen.

Der Anschlag von Kabul hat vor drei Jahren in Deutschland große Anteilnahme ausgelöst. Es war das erste Mal seit dem Zweiten Weltkrieg, dass deutsche Soldaten bei einem Auslandseinsatz umgekommen waren, und zwar nicht durch einen Unfall, so etwas gibt es öfters, sondern durch einen kriegerischen Angriff.

Inzwischen hat sich das Land daran gewöhnt, dass Deutsche auch sterben bei internationalen Militäreinsätzen, und heute wird darüber gestritten, ob die Bundeswehr nicht viel öfter und in gefährlichere Zonen ausrücken müsste.

Was kaum einer erwähnt in diesen Tagen, in denen die Bilder von deutschen Soldaten die Runde machen, die fröhlich mit Totenschädeln in Afghanistan spielen, ist die Frage, was manche eigentlich heimbringen von so einem Einsatz.

Frank Dornseif hält die Kaffeetasse mit beiden Händen, den Laptop hat er etwas weiter links aufgebaut, in Reichweite hat er auch die Strippe des Rollladens, den er noch ein Stück weiter herunterlässt, sobald sich ein paar Sonnenstrahlen in sein Haus stehlen. Er hat die Dinge gern im Griff, jedenfalls so weit ihm das noch möglich ist.

Rauskommen aus dem Dorf

Überhaupt wirkt dieser Soldat bei näherem Hinsehen nicht sonderlich militärisch, und wer ihm zuhört, wie er aus seinem Leben erzählt und eine Flut von Bildern und Worten loslässt, der ahnt, dass hier einer auf der Flucht ist vor seinen eigenen Erinnerungen.

Frank Dornseif ist gelernter Bäcker und im Eder-Bergland aufgewachsen, in einer idyllischen, stillen Landschaft und einer Familie, in der der Krieg schon seit Generationen wütet. Der erste Ehemann seiner Mutter ist in Russland verschollen, der zweite verlor an der Ostfront ein Bein und starb, als sein Sohn Frank 14 Jahre alt war.

Frank Dornseif hat früh gelernt, dass man nicht jammern soll, und weil er ein lebhafter Kerl war und unternehmungslustig, ging er mit 19 zur Bundeswehr. ,,Das war die Chance, endlich rauszukommen aus meinem Dorf.''

Berufssoldat zu sein hier im Raum Frankenberg an der Eder, wo eine große Kaserne liegt, das gilt was, und Frank Dornseif war nicht nur stolz, sondern begeistert. Er hat auch sofort Ja gesagt, als sie ihn 1998 fragten, ob er nach Bosnien wolle.

Damals war er Oberfeldwebel im Bereich Versorgung, und weil er einer ist, der gut kann mit den Menschen und auch im letzten Winkel der Welt noch seltene Ersatzteile auftreibt, haben sie ihn nach Mostar geschickt. ,,Da waren Ruinen, zerbombte Häuser. Wenn man da hinkommt, ist man geschockt.''

Vier Monate später hat der Bäckergeselle aus dem Eder-Bergland Bosnien wieder verlassen - und damals mit den Tränen gekämpft. Weil ein Einsatz zu Ende ging, der ihn erfüllt hat. ,,Das war das erste Mal seit der Grundausbildung, dass ich wieder diesen Zusammenhalt erlebt habe'', sagt er und erzählt, wie sie miteinander in Containern geschwitzt haben, wie sie gefeiert, Feldküchen gebaut und Armenküchen unterstützt haben, wie die Leute ihnen Kirschen geschenkt haben und sie den Leuten ein wenig Zuversicht.

Anja Dornseif ist zur Tür hereingekommen, sie hat sich geräuschlos an den Esstisch gesetzt und beobachtet ihren Mann, wie er redet und redet, wie seine Hände unterm Tisch verschwinden, sich da unten ineinander krallen, während er sich oben in Serpentinen dem Moment nähert, in dem sein Leben explodiert ist.

Sie kennt ihren Mann 16 Jahre, sie weiß die Schweißperlen auf seiner Stirn zu deuten, aber den Menschen, der sich hinter der Stirn verbirgt, erkennt sie manchmal kaum wieder. ,,Ich habe meinen Mann weggebracht und einen Fremden zurückgekriegt'', wird sie später sagen.

Wo Kameradschaft endet

Posttraumatische Belastungsstörung, kurz PTBS, heißt die Diagnose, mit der Frank und Anja Dornseif leben müssen. Die Krankheit, die im Ersten Weltkrieg ,,Kriegszittern'' genannt wurde, hat auch die Bundeswehr befallen.

Das Verteidigungsministerium hat das Leiden lange beschwiegen, inzwischen räumt es ein, dass 1550 deutsche Soldaten nach Auslandseinsätzen wegen psychischer Störungen behandelt wurden, 640 wegen PTBS, die meisten nach Rückkehr aus Afghanistan. Die Zahl der Fälle hat sich in den letzten Jahren verdreifacht.

Frank Dornseif kam 2003 nach Afghanistan, und er hat schnell begriffen, dass der Einsatz härter war als alles, was er kannte. Im Camp lebten sie wie in einer Wagenburg, mit Sandsäcken vorm Fenster, die Soldaten saßen manchmal Stunden im finsteren ,,Bunker'', wenn das Lager beschossen wurde.

,,Die Blicke der Afghanen, die Missachtung, das war bedrückend'', sagt Dornseif. Er sah, wie junge Soldaten einander angifteten und die Helden spielten, um ihm später heimlich zu gestehen, dass ihnen zu Hause die Freundin weggelaufen war. Auch er schrieb immer seltener Briefe. Als es heimging, war er froh und hat noch gelacht im Bus.

Was dann kam, kann Hauptfeldwebel Dornseif nur in Bruchstücken beschreiben. Den Schlag, die Dunkelheit, das warme Blut im Gesicht - und die Ruhe, die da in ihm war. Er hatte das Taxi nicht bemerkt, das mit 150 Kilo Sprengstoff in die Bundeswehrkolonne raste. Er sah auch die Kameraden nicht, die rund um ihn schrien, sich wanden, starben.

Dornseif hatte die Reste seiner Sonnenbrille in den Augen, ein Lid war abgerissen, Metallsplitter steckten im Gesicht, im Hals und in den Beinen. Auf ihm lag die Gepäckablage, und als sie ihn rauszerrten und an diesen Betonblock lehnten, brannte seine Sicherung durch. Jemand brüllte ihn an und wollte ihn offenbar ersticken.

Frank Dornseif wehrte sich, dachte noch an seine Familie, ,,ich wollte da nicht verrecken''. Bis er endlich begriff, dass da einer ,,Breathe!'' schrie - ,,Atme!''. Es war ein Brite, der ihn mit einem Beatmungsgerät am Leben hielt. Fragt sich bloß, was für ein Leben.

"Atme!"

Gut drei Jahre ist das alles her, Frank Dornseif hat die Operationen überstanden, er hat sich daran gewöhnt, dass er auf dem linken Ohr wenig hört und es auch im rechten dauernd piept. Er weiß, welche Pillen er gegen Durchfall nehmen muss, kennt seine Schmerzmittel, Schlaftabletten, die Antidepressiva.

Dornseif kann nicht mehr schlafen, oft tagelang, kämpft mit Migräne und geht nur ungern unter Menschen. Monate hat er in psychiatrischer Behandlung verbracht und ließ sich erklären, was Trigger sind, also Auslöser für sogenannte Intrusionen, die ihn zurückreißen in sein Trauma.

Manchmal ist es nur die Sonne auf seiner Haut, und Dornseif sitzt wieder an diesem Betonblock in Kabul, spürt die Panik und erstarrt. Es gab Zeiten, da war er wie tiefgefroren, wollte sterben oder fühlte sich so aggressiv, dass er sich vor sich selbst fürchtete. ,,Wenn mich da jemand in den Arm genommen hätte, den hätte ich weggestoßen.''

Er hat es nicht gemerkt, aber seine Frau hat er lange kaum angeguckt. ,,Kalt war er, eiskalt. So abgewandt'', sagt Anja Dornseif. Es gab Monate, in denen sie verzweifelt ist an diesem Mann, der nicht mehr ihrer war.

Hauptfeldwebel Dornseif hat es jetzt hinter sich. Die ,,Auskleidung'' und den Abschied von der Bundeswehr. Man hat ihn für dienstuntauglich befunden und eine Abfindung gezahlt, jetzt ruft ihn keiner mehr aus der Kaserne an und auch niemand mehr von denen, die im Bus saßen.

Das mit der Kameradschaft war vorbei, als der Kampf ums Geld losging, erzählt er, und die Bundeswehr wird ihn wohl auch aus ihrer Therapie entlassen, schließlich hat er seine Schuldigkeit getan. Frank Dornseif ist ziemlich enttäuscht von der Truppe. Und würde es doch wieder tun. Zur Bundeswehr gehen, auch nach Afghanistan. Selbst den Anschlag möchte er nicht missen, ,,weil man plötzlich sieht, wie verwundbar man ist''.

Er beugt sich über seinen Laptop, nestelt daran herum, da läuft ein seltsamer Stummfilm los. Es sind Aufnahmen von dem Anschlag in Kabul, von zerfetzten Autos, toten Menschen, Körperteilen. Frank Dornseif hat die Bilder damals nicht gesehen, weil seine Augen verletzt waren.

Man hat sie ihm gezeigt, damit sein Kopf aufhört nach ihnen zu suchen. Der Film läuft noch, als Dornseif und seine Frau das Zimmer verlassen haben. Sie brauchen sich das nicht mehr anzusehen. Der Krieg ist jetzt sowieso immer da.

© SZ vom 2.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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